Die Begrenzung der Zusatzbeiräge wird aufgehoben. Den Kassen könnten die Mitglieder in Scharen davon laufen. Sie sprechen von einer “Todesspirale“.
In der Chefetage einer großen Krankenkasse schüttelt man den Kopf. Eine „Todesspirale“ für Kassen in Geldnot setze Schwarz-Gelb in Gang, sagt ein Vorstandsmitglied. Was den ansonsten ruhige Mann in Rage bringt, sind die Pläne für unbegrenzte Zusatzbeiträge mit Sozialausgleich. Direkt nach der Sommerpause dürfte das Ringen um die geplanten Gesundheitspauschalen wieder losgehen.
Erwartet wird, dass Philipp Rösler noch im September einen Entwurf für die Gesundheitsreform vorlegt. Der FDP-Gesundheitsminister freut sich seit der mühsamen Koalitionseinigung auf den „Umstieg in ein anderes System“. In der CSU ist man weniger euphorisch. „Bei der Umsetzung der Eckpunkte müssen wir sehr sorgfältig vorgehen“, mahnt der Unionsfraktionsvize Johannes Singhammer (CSU).
Die Koalition will den Kassen ab Januar kräftig unter die Arme greifen. Um 0,6 Punkte auf 15,5 Prozent erhöhte Beiträge, frisches Steuergeld und Einsparungen sollen Zusatzbeiträge zunächst nach Möglichkeit vermeiden helfen. Doch zugleich soll der Aufschlag auf den normalen Beitrag unbegrenzt steigen können. Ab 2012 soll es damit allmählich losgehen. Die von Kasse zu Kasse unterschiedlichen Pauschalen müssen sämtliche Mitglieder direkt in Euro und Cent überweisen. Niemand soll aber mehr als zwei Prozent des Einkommens zahlen müssen – der Ausgleich aus Steuermitteln soll so laufen, dass die normalen Abzüge für die Krankenkasse auf dem Konto etwas sinken.
Singhammer macht auf mögliche heikle Punkte aufmerksam. „Wir werden darauf achten, dass der Sozialausgleich zielgenau realisiert wird.“ Den Ausgleich solle nur erhalten, wer ihn auch brauche. „Das Gerechtigkeitsempfinden darf dabei nicht verletzt werden.“ Für die SPD ist bereits ausgemacht, dass unterschiedliche Einkommens- und Rentenarten nicht ausreichend berücksichtigt werden können.
Wer soll vom Sozialausgleich profitieren? Der Chef des Ersatzkassenverbands vdek, Thomas Ballast, warnt vor „falschen Ansätzen“. Selbst Kassenmitglieder sollen etwas bekommen können, wenn sie gar keinen Zusatzbeitrag zahlen. Denn bei der Berechnung zählt nicht der tatsächliche Aufschlag einer Kassen, sondern ein vorher festgelegter Wert. Er soll widerspiegeln, wieviel alle Kassen in einem Jahr im Schnitt brauchen.
Das Angst-Szenario mancher Kassen-Chefs: Die Leute könnten ihrer Versicherung in Scharen weglaufen – zu Versicherungen, die noch mehr Rücklagen haben und auf die Erhebung des Obolus länger verzichten können. Denn die Finanzlage der einzelnen Kassen ist alles andere als einheitlich. Gesundheitsökonom Jürgen Wasem sagt: „Die Zusatzbeiträge werden steigen, und die Spannbreite zwischen den Krankenkassen wird wachsen.“
Schon die ersten Zusatzbeiträge von DAK, KKH-Allianz und 14 Betriebskrankenkassen brachte Bewegung in die Branche. Im ersten Halbjahr wechselten Hunderttausende. Mit den Zusatzbeiträgen soll der Preis für die Krankenversicherung immer stärker zum Kriterium für die Kassenkunden werden.
Hunderttausende Mitglieder wechseln
Die DAK verließen bis 1. Juli rund 241.000 Mitglieder, wie ein DAK-Sprecher bestätigte. Inklusive beitragsfrei Mitversicherten gibt es sogar 307.000 weniger Menschen mit dem orangefarbenem DAK-Kärtchen. Rund 60.000 der Mitglieder seien der Kasse nicht durch Kündigungen verloren gegangen, sondern durch Todesfälle oder den Wechsel in die beitragsfreie Familienversicherung, so die DAK.
Die KKH-Allianz verlor 147.000 Versicherte, davon 116.000 Mitglieder. Erstmals hätten auch viele Rentner und Hartz-IV-Empfänger gewechselt, sagte eine KKH-Allianz-Sprecherin. Früher zogen fast nur jüngere Gutverdiener zu Kassen mit niedrigeren Beitragssätzen.
Nimmt die Krankheitsabsicherung weiter Züge des aufgeregten Marktes von Handytarifen an? In der Branche macht bereits die Runde, dass manche Kassenvertreter auf Kundenfang wenig seriös vorgehen und offen über angeblich bevorstehende Zusatzbeiträge der Konkurrenz spekulieren.
„Die Kassen in einen Preiswettbewerb zu hetzen, aber ihre Möglichkeiten für unterschiedliche Angebote zu begrenzen, kann für schwächere Versicherungen bald zum Problem werden“, meint Wasem. Heute sind den Kassen oft die Hände gebunden, zum Beispiel wenn sie mit Kliniken besondere Verträge abschließen wollen. Rösler hat den „planwirtschaftlichen Strukturen“ im Gesundheitswesen zwar den Kampf angesagt. Was der FDP-Mann hier auf den Weg bringt, ist aber noch offen.