Antisemitische Hassparolen, Lobgesänge auf Hitler und Mordaufrufe: Nutzer von Facebook und Twitter hetzen im Internet gegen Juden.

Die Militäraktion von Israels Marine gegen das Schiff der Gaza-"Solidaritätsflotte" am vergangenen Montag hat international massive Kritik ausgelöst. In den sozialen Online-Netzwerken Facebook und Twitter äußern Antisemiten aus Deutschland und anderen Ländern ihre Entrüstung über das Stürmen der "Mavi Marmara" seit Tagen mit antisemitischen Hass-Kommentaren. Einige Nutzer rufen sogar dazu auf, Juden zu ermorden. Wegen der Hasspropaganda hat die Berliner Staatsanwaltschaft bereits Ermittlungen aufgenommen.

Es gebe "Hinweise auf Straftaten zum Nachteil jüdischer Mitbürger", sagte ein Justizsprecher in Berlin. Die Staatsanwälte gingen dem von sich aus nach. Die Jüdische Gemeinde zu Berlin hat außerdem vor, Anzeige zu erstatten. Die Vorsitzende Lala Süsskind sprach von "antisemitischer Hetze in ihrer übelsten Form".

Wer zurzeit auf Facebook oder Twitter nach Worten wie "Juden" oder "Israel" sucht, erhält erschreckende Einblicke in das Weltbild einer anti-jüdischen Minderheit, die ihrem Hass im Netz freien Lauf lässt. Diese Nutzer unterscheiden in keiner Weise zwischen dem Staat Israel und dem jüdischen Volk. Auffällig ist auch: Offensichtlich islamistisch geprägte User bekennen sich schamlos zu nationalsozialistischem Gedankengut.

So meint Facebook-User Eren K. aus Köln: "mir beibt nichts übrig ausser nazi zu sein alle juden sind wie hefe denn ich schlag sie zu brei" [sic]. Ileri R. aus Wiesloch zitiert aus Hitlers "Mein Kampf" und Ilyas D. hat als Profibild eine Hakenkreuz-Flagge. Ganz ähnlich sieht die Hetze auf der Microblogging-Seite Twitter aus: Viele User schüren Hass gegen Juden, stellen Hitler-Zitate online. Prof. Dr. Hajo Funke, Antisemitismus-Experte am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft in Berlin, sagt: "Diese Leute scheinen sich zum Teil tatsächlich mit neonazistischer Ideologie zu identifizieren - das ist grotesk."

Doch die sozialen Netzwerke sind im Grunde machtlos, gegen die antisemitische Hetze vorzugehen. Deren schnelle Ausbreitung lässt sich nämlich kaum kontrollieren. Auf Twitter etwa können Gleichgesinnte Hass-Kommentare mit einem einzigen Mausklick durch einen sogenannten "Retweet" weiterleiten - bestimmte Einträge werden so extrem oft vervielfältigt.

Auch auf Facebook ist die Hetze kaum in den Griff zu kriegen. Zwar sagte ein Facebook-Sprecher WELT ONLINE, dass man bemüht sei, grundsätzlich alle "hasserfüllten, bedrohlichen und pornografischen" Inhalte umgehend zu löschen. Doch tatsächlich ist Facebook stark darauf angewiesen, dass die User das Netzwerk selbst moderieren und anstößige Kommentare von sich aus melden. Doch im Fall der antisemitischen Hetze ist dies offenbar nicht ausreichend geschehen.

Aaron Buck, Pressereferent der Israelitischen Kultusgemeinde München, hält es durchaus für möglich, dass die Hetze zur Gefahr werden könnte, nämlich dann, "wenn sich die User der entsprechenden Portale gegenseitig anstacheln und sich die Diskussion unappetitlich hochschaukelt". Dies komme aber nicht nur wie zurzeit auf Facebook und Twitter vor: Leider verberge sich hinter "heftiger Israel-Kritik" häufig "handfester Antizionismus". "Und der Antizionismus moderner Prägung ist nichts anderes als scheinbar salonfähiger Antisemitismus", so Buck zu WELT ONLINE.

Auch Dr. Gregor Hopf, Professor an der Hamburg School of Business Administration und Experte für soziale Netwerke, hält die antisemitsche Hetze für gefährlich: "Die Werte und Ansichten von Jugendlichen und jungen Leuten bis Mitte 20, den sogenannten 'digital natives', werden zu einem großen Teil in sozialen Netzwerken geformt oder zumindest beeinflusst."

Hopf glaubt nicht, dass die sozialen Netzwerke etwas gegen die Hass-Propaganda bewirken können. "Jede technische Lösung würde eine Art Kontrollstaat nach sich ziehen, denn das Netz kann man nicht nur oberflächlich überwachen - wenn, dann wird jedes Bit und Byte überprüft. Und dass kann nicht im Interesse unserer demokratisch Gesellschaft sein." Der Experte ist sich sicher: Wirksam könne nur "von unten" gegen die Hetze vorgegangen werden. "Politiker etwa, aber auch jeder einzelne User sind gefragt - die Gesellschaft muss selbst aktiv in diesen Medien vertreten sein, um Leuten, die Inhalte wie Antisemitismus, Fremdenhass oder Homophobie verbreiten, nicht das Feld zu überlassen."

Immerhin: Auf Facebook formiert sich schon Widerstand gegen die antisemitische Hetzkampagne. So fragt Nutzer Patrick C.: "Sind bei Facebook alle gestört?"

Quelle: Welt Online