Lange Käuferschlangen vor Abercrombie & Fitch werden immer seltener. Die Exklusivität der Kleidung schwindet durch zahlreiche neue Filialen.
Hamburg. So schnell geht das. Die Sweatshirts mit dem kaum zu übersehenden Aufdruck "Abercrombie & Fitch" auf der Brust scheinen die Hype-Phase hinter sich zu lassen. Die US-Marke war über Jahre nur bei Shoppingtrips in New York oder London zu bekommen, die Klamotten entwickelten sich zu begehrten Mitbringseln, zu einem knappen Gut wie dereinst angesagte West-Schallplatten für DDR-Bürger. Der Kaufrausch in den Läden mit dem schummrigen Höhlenlook war bis in die vergangenen Monate hinein immens, ein Kult mit Kreischfaktor.
Doch heute erntet Abercrombie & Fitch mit den Geschäften in Hamburg oder Düsseldorf bei vielen Menschen der Internetgeneration nur noch ein gelangweiltes Gähnen. "Der Kram ist bestenfalls Durchschnitt, hat in den USA den Zenit längst überschritten und wir sollen hier gemolken werden", murrt Knudel 1 in einem Internetforum über die Kapuzenpullis und Shorts, die das Unternehmen in Deutschland heute rund 30 Prozent teurer anbietet als im Heimatland USA. Solche Tricks sprechen sich schnell herum in den Schulen des Bürgertums, wo heute ein Jahr im Ausland zur Bildung dazugehört wie früher die musikalische Früherziehung am Xylofon.
"A&F hab ich getragen, als man das Zeug nur über ebay.com & Co. importieren konnte", schreibt sich auch Asura im Netz ihren Ärger von der Seele und meckert noch etwas weiter: "Inzwischen find ich die meisten Designs nicht mehr nur zu unspektakulär, sondern es stört auch ungemein, dass inzwischen gefühlt jeder Vierte damit rumrennt."
Vor dem pompösen Hamburger Shop von Abercrombie & Fitch in der Poststraße stehen sich die Fashion-Jünger inzwischen nicht mehr jeden Tag die Beine in den Bauch, und so manche Menschenansammlung vor dem Geschäft dürfte sogar eine Marketing-Masche gewesen sein: "Die Schlangen vor der Tür lassen natürlich nach ... ich hab schon mal fünf Minuten draußen gestanden und dann war im Shop nix los. Wie lustig", schreibt ein weiterer A&F-Kritiker im Netz. Zur Eröffnung des Geschäfts in der Nähe des Rathauses vor einigen Monaten waren noch Teile der Hamburger Innenstadt abgesperrt worden. Hunderte aufgeregte Jugendliche hatten sich zum Teil Stunden vorher hier eingefunden, um auf jeden Fall zu den ersten Privilegierten zu gehören, die hier ein Sweatshirt für rund 100 Euro einkaufen dürfen. Die ganze Modebranche hatte den Ansturm mit Bewunderung beobachtet. Händler wie Karstadt, Hertie oder Otto sind bei den jüngeren Kunden schon lange ins Abseits geraten und suchen nach Strategien, um die Jugend zurückzugewinnen.
Dass es jetzt ruhiger geworden ist um die muskelbepackten, halb nackten Jungs, die als lebende Werbefiguren vor der Tür von Abercrombie & Fitch stehen, wundert Branchenexperten allerdings nicht: "Der Hype war anfangs riesengroß", sagt Jürgen Dax vom Bundesverband des deutschen Textileinzelhandels. "Aber der Reiz von Abercrombie und der ebenfalls zum Konzern gehörenden Marke Hollister ebbt allmählich ab. Die künstliche Verknappung und damit der Kult hatten ein Ende, als die Amerikaner die ersten Shops in Deutschland eröffneten", sagt der Verbandschef dem Abendblatt. "Und letztlich haben sie ja nur Produkte, die viele andere auch anbieten". Ähnliche Baumwollshirts gibt es auch, etwas günstiger, von Hilfiger, Adidas oder Venice Beach, zu ähnlichen Preisen bei gaastra oder Polo Ralph Lauren.
Abercrombie & Fitch, vor mehr als 100 Jahren als Campingausrüster gestartet, steht im Umfeld dieser legeren Styles für einen sportlichen College-Stil. Idealbild sind junge, sportliche Menschen, die sich dem kalifornischen Lebensstil verschrieben haben und in den Tag hinein leben wollen. A&F-Manager Mike Jeffries sagte einmal der "Süddeutschen Zeitung" in einem der ganz wenigen Interviews: "Wir entwerfen für die coolen Kids, mit denen jeder befreundet sein will, sie sind sportlich, attraktiv, allseits beliebt und beneidet."
Die etwas günstigere Marke Hollister setzt weniger auf College-Outfits als auf einen eher entspannten Surfer-Look. Die Versprechungen der Mode und der großformatigen Poster mit Strandschönheiten in den Shops zielen auf ewige Jugend, Sommer und Perfektion. Diese Benefits bieten mehr oder weniger auch Marken mit Streetwear und Beachlooks wie billabong oder Quiksilver.
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Das Besondere, die bewunderte Pionierleistung bei A&F war aber das Event-Shopping, die Kunst, eine geheimnisvolle, fast erotische Stimmung in den Geschäften zu erzeugen. Haben die Jungs mit den Sixpacks den Kunden einmal hereingenickt, steht der erst einmal im Dunkeln. Nur die Mode wird dezent angestrahlt, es gibt Videoleinwände und überlaute Popmusik. Selbst in den wenigen Kabinen kommt man sich vor, als hätte man vergessen, die Sonnenbrille abzusetzen. Eine grüne Jogginghose ist in dem Dämmerlicht von einer roten kaum zu unterscheiden.
Die Läden sind verschachtelt, Gänge enden unvermittelt als Sackgasse, und die Models sind nicht als Verkäufer zum Beraten eingestellt, sondern verhalten sich eher wie auf einer Party: Abwechselnd schallt dem Kunden ein "Hey, guys" oder "Hi, how are you?" aus den dunklen Ecken entgegen, eine Endlosschleife, die im Internet ebenfalls schon zu Belustigung führt: "nach kurzem rundgang will man den mädels und jungs bereits von sich aus 'hey, whats going on!' oder ,ich kaufe hier ein und was machst du so?' entgegenbrüllen, aber denkt an seine guten manieren", witzelt ein Besucher.
Neben der Akustik fällt der Geruch auf, der bei der Suche nach dem Hollister-Geschäft im etwas unübersichtlichen Alstertal-Einkaufszentrum (AEZ) helfen kann, wenn man einfach immer der Nase folgt. Es ist ein süßlicher Duft, "Marke Puffnebel", meint ein Kunde. Der Geruch vervollständigt das Gesamtkonzept der Warenpräsentation bei A&F, die alle Sinne anspricht. Ein revolutionärer Weg, an den sich andere Unternehmen bisher einfach nicht herangetraut haben. "Die Strategie ist genial und wird seit Jahren kopiert, etwa von Esprit oder Springfield ", sagt Jörg Nowicki, Experte bei der Fachzeitschrift "Textilwirtschaft", über das Marketing der Amerikaner. Bei anderen Herstellern wie gap oder banana republic könne man auch Sweatshirts und Hoodies kaufen, die Läden schafften bei A&F aber ein Alleinstellungsmerkmal, ergänzt Handelsexperte Dax. Und dass sich viele Menschen über 30 dort eher unwohl fühlten, habe eben den Attraktivitätsfaktor für die Jüngeren erhöht.
Inzwischen aber spreche sich herum, dass die Kleidung in New York oder San Francisco viel günstiger verkauft werde, begründen Branchenkenner den abebbenden Hype. Außerdem scheint der Markt gesättigt, diagnostiziert auch die Zielgruppe selber, die das Internet längst zu ihrem Trendguide gemacht hat: "Traurigerweise rennen zurzeit an meiner Uni ,alle' damit rum", schreibt "noncompromise" im Netz und vergleicht A&F mit Apple: "die Marketingabteilungen solcher Firmen leisten wirklich ganze Arbeit!"
"Abercrombie hat immer auf Exklusivität gesetzt", sagt Joachim Stumpf von der Handelsberatung bbe. Ein riskanter Weg, findet der Branchenkenner, und die Reaktionen im Internet zeigen, dass sich die Kunden den Weg von A&F zur Massenware durchaus bewusst machen: "Warum wollen eigentlich alle immer Uniformität? Warum ist Geschmack immer von dem abhängig, was mein Nachbar trägt?", fragt Hansmaulwurf in einem Forum.
Handelsexperte Nowicki rechnet damit, dass die Firma die Preise in Europa senken wird. Bei Abercrombie hüllt man sich wie meist gegenüber der Presse in Schweigen. Auch eine Anfrage des Abendblatts wurde nicht beantwortet. Es dringen allerdings Anzeichen für ein Ende der starken Expansion an die Öffentlichkeit. So wurde das Geschäft in Tokio bereits geschlossen. Und in Deutschland soll nach der Eröffnung eines A&F-Ladens im Herbst in München die Zahl der Geschäfte nicht weiter steigen. Es bleiben weltweit 279 Abercrombie-Geschäfte, davon 15 außerhalb der USA. Das Wachstum der günstigeren Marke Hollister, die 491 Standorte unterhält, geht indes weiter.
"Das ist eben auch eine Sache des Preises", sagt Dax. Für Menschen, die Trendklamotten zu Schnäppchenpreisen suchen, dürfte in nicht allzu ferner Zukunft übrigens ein neuer Kultladen eröffnen: Der Modehändler primark aus Großbritannien, der stylische Shirts, Hosen oder Röcke günstiger als H&M anbietet, kommt laut Branchengerüchten nach Hamburg, sobald ein passender Standort verfügbar ist.