Der Referenzsatz Libor gilt als wichtiges Finanzinstrument und ist Basis für zahlreiche Transaktionen wie Kreditkartenzahlungen oder Hypotheken.
London. Das Epizentrum des weltweiten Banken-Skandals um die Manipulation von Marktzinsen bilden fünf Buchstaben: LIBOR. Sie stehen für London Interbank Offered Rate - das ist ein Referenz-Zinssatz, der als Basis für Finanztransaktionen im Umfang von 360 Billionen Dollar dient.
Wegen der nun ans Tageslicht gekommenen Manipulationen hat seine Reputation zwar heftig gelitten, aber ersetzt werden kann das weltweit wichtigste Finanzinstrument so schnell nicht. Das würde an den Märkten ein riesiges Chaos verursachen und auch große juristische Probleme aufwerfen, sagen Experten. Realistischer ist daher eine Reform der Art und Weise, wie der Libor ermittelt wird. Doch auch das ist leichter gesagt als getan, wie die bisherigen Bemühungen zeigen.
„Der Libor hat als Referenzsatz und Barometer eine Menge an Glaubwürdigkeit eingebüßt“, sagt Chris Huddleston, Geldmarkt-Experte des Instituts Investec. „Doch es war immer klar, dass das System missbrauchsanfällig und großen Interessenskonflikten ausgesetzt ist.“ Der Libor sei aber viel zu wichtig, um ersetzt werden zu können. „Da hängt einfach zuviel Geld dran.“ Daher haben sich bislang auch noch keine echten Alternativen zum Libor etablieren können. Und damit rechnen Experten in den nächsten Jahren auch nicht.
Der Libor wird täglich für zehn Währungen und 15 Laufzeiten ermittelt und ist Basis für zahlreiche Transaktionen wie Kreditkartenzahlungen, Hypotheken oder komplexe Derivateprodukte. Er beruht auf den Angaben der Banken, die mitteilen, zu welchen Sätzen sie sich ohne Sicherheiten von anderen Instituten Geld beschaffen können. Und hier liegt einer der größten Schwachpunkte des Systems: Der Libor beruht nicht auf echten Transaktionen, sprich den nachprüfbaren Kosten für einen Kredit im Interbankenhandel, sondern auf den Meldungen der Banken. Das war das Einfallstor für die mutmaßlichen Manipulationen durch einige Geldhäuser in der Finanzkrise. Die britische Großbank Barclays ist deswegen zu einer Strafe von knapp einer halben Milliarde Dollar verdonnert worden. Gegen mehr als ein Dutzend Institute, darunter die Deutsche Bank, wird noch ermittelt.
Damit bleibt nur der Reformweg: Der Chef der Bank von England, Mervyn King, hatte unlängst schon einmal einen Weg aufgezeigt. „Die Zeit ist gekommen, vom System der Meldungen wegzukommen und stärker auf Beobachtungen und tatsächliche Markttransaktionen abzustellen“, sagte er. Das Problem ist aber, dass speziell in der derzeitigen Euro-Schuldenkrise kaum eine Bank einer anderen ohne Sicherheiten Geld leiht. Daher gibt es nur wenige Transaktionen, die Preise sind entsprechend verzerrt. „Wenn es nicht genug Deals gibt, man aber dennoch dringend eine Art Index braucht, muss man irgendeinen Kompromiss finden“, sagt ein Londoner Geldmarkthändler. „Man kann den Libor also etwas verbessern, aber es gibt keinen Zauberstab zur Lösung aller Probleme.“
Es gibt auch Überlegungen, die Zahl der meldenden Banken zu erhöhen, um den Einfluss Einzelner zu reduzieren. Doch Analysten haben Zweifel, dass sich nach dem Skandal viele neue Institute dafür begeistern können, bei der Libor-Ermittlung mitzumachen. Am Erfolg versprechendsten scheinen daher Vorschläge zu sein, die Banken mit finanziellen Anreizen zu locken. So könnte man als Regel einführen, dass die Banken nach der täglichen Festlegung des Satzes nur noch diesen verwenden dürfen, wenn sie sich von anderen Instituten Geld leihen. Ansonsten müssten sie an diesem Tag dem Interbankenhandel fern bleiben.
Der britische Bankenverband BBA, der seit 1986 die Libor-Festsetzung beaufsichtigt, hat im März Änderungen an dem System angekündigt. Ein Sprecher wollte sich nicht zum Stand der Prüfung äußern. Die Zeit drängt – nicht nur wegen des Reputationsverlustes, sondern auch, weil die Finanzaufsicht FSA im Herbst ihre Pläne zur Libor-Reform vorstellen will. Der Auftrag dazu kommt von der britischen Regierung – und die greift wegen des Skandals bei dem Thema hart durch.