Aussagen der kritisierten Großbank Barclays bringen die britische Notenbank in Bedrängnis. Zurückgetretener Chef Bob Diamond vor Ausschuss.

London. Der Skandal um die Manipulation von Marktzinsen wird in Großbritannien immer stärker zu einem politischen Pulverfass. Jüngste Erklärungen der Großbank Barclays werfen ein Schlaglicht auf die Rolle der Bank von England und Regierungsvertretern in der Affäre: Dem Institut zufolge war es 2008 davon ausgegangen, dass die Notenbank falsche Angaben des Geldhauses zur Ermittlung des Referenz-Zinssatzes Libor gutheiße. So habe man nach der Pleite von Lehman Brothers weitere Unruhe an den Märkten wegen steigender Refinanzierungskosten der Banken vermeiden wollen. Der wegen des Skandals zurückgetretene Barclays-Chef Bob Diamond dürfte am Mittwoch für noch mehr Zündstoff sorgen, wenn er ab 15.00 Uhr MESZ vor einem Untersuchungsausschuss des britischen Parlaments aussagt.

Weltweit laufen in der Sache Ermittlungen gegen mehr als ein Dutzend Großbanken, darunter auch die Deutsche Bank und UBS. Ihnen wird vorgeworfen, von 2005 bis 2009 den Zinssatz Libor und andere Marktzinsen mit falschen Angaben manipuliert zu haben, um ihre wahren Refinanzierungskosten zu verschleiern und Handelsgewinne einzustreichen. Der Libor wird einmal täglich in London ermittelt und zeigt an, zu welchen Konditionen sich Banken untereinander Geld leihen. Er basiert auf den individuellen Angaben der Großbanken und dient als Referenzsatz für Kredite an Unternehmen, Privatpersonen und weitere Finanztransaktionen in einem Volumen von 360 Billionen Dollar.

Barclays hat als erstes Geldhaus ein Fehlverhalten einiger Händler eingeräumt. Die Bank wurde von Behörden in den USA und Großbritannien zu einer Strafe von fast einer halben Milliarde Dollar verdonnert. Neben Diamond mussten auch Verwaltungsratschef Marcus Agius und der fürs Tagesgeschäft zuständige Vorstand Jerry del Missier ihren Hut nehmen. In einem jetzt veröffentlichten neunseitigen internen Bericht äußert die Bank ihr „tiefes Bedauern“ über die Vorfälle. Das hätte niemals passieren dürfen, heißt es in dem Dokument, das einen Tag vor Diamonds Anhörung veröffentlicht worden ist. Das Institut habe zur Aufarbeitung des Skandals in einer internen Untersuchung mehr als drei Jahre lang 22 Millionen Dokumente durchforstet und mehr als 75 Interviews geführt. Insgesamt habe das gut 100 Millionen Pfund (125 Millionen Euro) gekostet.

+++ Zinsaffäre stürzt Barclays ins Chaos +++

Sprengstoff haben in dem Bericht aber vor allem die Passagen, in denen es um die regelmäßigen Kontakte mit Notenbankvertretern geht. In einer Chronik zeigt Barclays auf, wann Manager mit Zentralbankern gesprochen haben. Besonders pikant ist dabei eine Notiz von Diamond, der damals noch an der Spitze der Investmentbanking-Sparte stand: Darin verweist der US-Amerikaner auf ein Gespräch mit dem Vize-Gouverneur der Bank von England, Paul Tucker, in dem dieser berichtet habe, dass ihn Regierungsvertreter angerufen hätten, um zu fragen, warum Barclays so hohe Zinsen bei der Libor-Festsetzung angebe. „Herr Tucker meinte, die Anrufe seien von hochrangigen Personen gekommen. Zudem meinte er, dass wir zwar bestimmt keinen Rat brauchten, es aber sicher nicht immer nötig sei, dass wir so hohe Zinsen wie zuvor angeben“, schrieb Diamond dem Dokument zufolge in einem Brief an den damaligen Bankchef John Varley. Daraus habe die Bank abgeleitet, dass es durchaus genehm sei, niedrigere Zinsen zu übermitteln.

Die Bank von England äußerte sich nicht dazu. Der damals zuständige Finanzminister Alistair Darling wies die Darstellung aber zurück: „Ich fände es absolut verwunderlich, wenn die Notenbank eine solche Empfehlung abgegeben hätte und ich kann mir auch keine Umstände vorstellen, in denen jemand speziell in meinem Verantwortungsbereich – dem Finanzministerium – so etwas getan hätte“, sagte er dem TV-Sender Channel Four. (reuters/abendblatt.de)