Die Preissteigerungen für viele Rohstoffe der vergangenen Jahre waren immens. Bei einigen Grundgütern erwarten Experten 2012 eine Entspannung.

Hannover/Frankfurt/Berlin. Was den Getreideimporteur plagt, kann im Extremfall auch dem Brötchenkäufer auf den Magen schlagen. Lange kannten die Preise für eingeführten Weizen nur eine Richtung: weiter aufwärts. Dass massive Kostenzuwächse bei landwirtschaftlichen Rohstoffen 2012 auf Nahrungsmittel umgelegt werden könnten, hält Europas zweitgrößter Agrarhändler Agravis aber für unwahrscheinlich.

"Die mit der Mühlenindustrie vereinbarten Weizenpreise für Lieferungen im nächsten Jahr liegen wieder auf deutlich niedrigerem Niveau“, sagt Alfred Reisewitz. Der Getreide-Chef des Unternehmens aus Hannover und Münster glaubt nicht, dass die Höchststände des Frühjahres 2011 übertroffen werden: „Wir sind jetzt bis zu 30 Prozent unter dem Vorjahr.“ Für Anfang 2012 hätten Händler an der Pariser Terminbörse Kontrakte über spürbar billigere 176 Euro je Tonne Weizen geordert. Der schwankende Markt fange sich. „Täglich geht es noch um 3 bis 4 Euro in die eine oder andere Richtung“, berichtet Reisewitz.

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Vor einem Jahr war das ganz anders. Nachdem Russlands Regierung nach den schweren Wald- und Torfbränden des Sommers 2010 Exporte gestoppt hatte, sorgte die „Putin-Hausse“ für eine anschwellende Weltmarktnachfrage nach europäischem Getreide. „Das hat die Märkte damals ordentlich in Wallung gebracht“, meint der Großhändler. Die Entspannung werde sich nun wohl auch 2012 fortsetzen – vorausgesetzt, dass die Saaten auf der Nordhalbkugel gut durch den Winter kommen.

Die Rohstoffexperten der Commerzbank versuchen ebenfalls zu beruhigen. „Es ist ein Irrtum zu glauben, dass die Preisfindung an den Börsen direkt auf die Lebensmittel durchschlägt“, sagt Analyst Eugen Weinberg. Bei Backwaren entfalle nur ein Bruchteil dessen, was der Kunde im Laden bezahlt, auf Rohstoffe. Unabhängig davon erwartet der Branchenkenner nicht, dass eine neue Kostenspirale droht: „Der Markt ist noch unentschieden. Aber seit dem ersten Quartal 2011 sind die Preise stark zurückgekommen, zum Teil um bis zu 40 Prozent.“

Einen Grund für die Hoffnung, dass der Einfluss der Spekulation mit Agrarzertifikaten ab- und die Orientierung der Händler an den tatsächlich verfügbaren Mengen zunimmt, sieht Weinberg in den wieder ausgeweiteten Anbauflächen. „2012 gehen wir von einer Stabilisierung aus“, erläutert er. Komplizierter sei es beim Mais, dessen Boom wegen der Biosprit- und Biogasproduktion anhalte – ganz zu schweigen von Chinas weltweiten Einkaufstouren beim Soja und anderen Rohstoffen.

Die Angst vor einer verschärften Verknappung spezieller Metalle in der Hightech-Industrie – den sogenannten Seltenen Erden – findet der Commerzbank-Mann übertrieben: „Viele dieser Stoffe liegen 30 Prozent unter ihrem bisherigen Hoch.“ Dagegen dürfte der Ölmarkt empfindlich reagieren, sollte sich der Konflikt zwischen Großbritannien, Israel, den USA und dem Iran zuspitzen: „Wir müssen uns warm anziehen, wenn da wirklich was passiert.“ Durch die Straße von Hormus am Persischen Golf geht ein Großteil der international verschifften Erdölexporte.

Beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) in Berlin gibt man sich abwartend. „2011 ging es teilweise turbulent zu: einen Tag rauf, den nächsten wieder runter“, beschreibt der Abteilungsleiter für Energie und Rohstoffe, Carsten Rolle, die Achterbahnfahrt der Preise. Risiken blieben, auch angesichts der möglichen Folgen der massiven Staatsverschuldung in Europa und den USA seien die Unternehmen skeptisch. „Das ist nicht wegzudiskutieren“, sagt Rolle. „Abgesehen von den Herausforderungen, die sich mit den Schuldenkrisen einiger Länder stellen, sehen wir jedoch keinen Anlass zur Sorge.“

Mehr schon treibt den BDI die Politik einiger Förderländer um. Die Exportzölle hätten sich in den vergangenen drei Jahren verdreifacht. „Da steckt vielfach industriepolitisches Kalkül dahinter. Und diese Erhöhungen müssen die Hersteller nachher auch mit einpreisen – sofern dies überhaupt möglich ist“, sagt Rolle. Zielscheibe der Kritik ist abermals China: Das Riesenreich habe 2010 bei den Seltenen Erden die Produktion um 40 Prozent gedrückt.

Für viele Firmen ist es deshalb alles andere als abenteuerliche Zukunftsmusik, wenn die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe die Erschließung von Metall-Lagerstätten in den Ozeanen mit einer sicheren Versorgung der rohstoffarmen Bundesrepublik verbindet.

Wie im Agrargeschäft muss sich jedenfalls auch die Stahlbranche stärker gegen die Kapriolen der launischen Märkte wappnen. Verträge würden von langfristigen auf kurzfristige Lieferzeiten umgeschichtet, heißt es beim zweitgrößten deutschen Anbieter Salzgitter: „Wir gehen davon aus, dass sich die Preise für Eisenerz und Kokskohle mäßigen werden. Es kann aber auch sein, dass sich alles wieder dreht.“ (dpa/abendblatt.de)