EU-Kommission wollte vor allem die Macht der größten Ratingagenturen beschränken. Die Gesetzesvorhaben bräuchten jedoch mehr Zeit.
Straßburg/Brüssel. Die EU-Kommission hat ihre Gesetzesvorschläge zur Regulierung der umstrittenen Ratingagenturen in letzter Minute entschärft. EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier sagte am Dienstag in Straßburg, der Entwurf umfasse nicht mehr die zeitweise Aussetzung der Benotung von kriselnden Eurostaaten. Vor Ende des kommenden Jahres werde aber voraussichtlich keine Entscheidung fallen. Brüssel wollte schärfere Vorschriften für die gefürchteten Bonitätsprüfer angesichts der Euro-Schuldenkrise. Die EU-Kommission für den Binnenmarkt wollte vor allem die Macht der drei größten Ratingagenturen Moody's, Standard&Poor's und Fitch Ratings deutlich beschränken und deren Urteile transparenter machen.
+++Kommentar: Ratingagentur als Prügelknabe+++
„Wir brauchen mehr Zeit“, sagte der Franzose. Es habe in der Kommission eine längere Debatte darüber gegeben. „Es war vielleicht ein bisschen zu innovativ“, räumte er ein. „Der wichtigste Teil meiner Vorschläge wurde angenommen.“ EU-Staaten und Europaparlament müssen den Vorschlägen noch zustimmen – das dürfte nicht vor Ende kommenden Jahres der Fall sein.
Das Benotungsverbot sollte Euro-Länder schützen, die Kredite von den Europartnern oder dem Internationalen Währungsfonds erhalten und durch die Herabstufung ihrer Kreditwürdigkeit zusätzlich an den Finanzmärkten unter Druck geraten könnten. Derzeit wären das Griechenland, Irland oder Portugal.
Der Benotungsbann sollte auch für Staaten gelten, die erst noch über Hilfen verhandeln. Die Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA sollte die Erlaubnis erhalten, die Beurteilung für bis zu zwei Monate zu verbieten. Den Agenturen war vorgeworfen worden, sie würden trotz internationaler Hilfen Euro-Länder zu negativ bewerten.
Die jüngste Panne der Ratingagentur Standard & Poor's hat den Druck auf die Branche noch einmal deutlich erhöht. S&P hatte irrtümlicherweise eine Mitteilung über die angebliche Herabstufung der Kreditwürdigkeit Frankreichs verschickt und damit für Unruhe an den Märkten gesorgt. Frankreich hat bisher eine Einsernote. Barnier brandmarkte die Panne als einen „schwerwiegenden Vorfall“. Er will klären, ob Ratingagenturen ausgewählte Marktteilnehmer vor anderen informieren. „Ich werde mir das genau anschauen.“
Erstmals sollen Investoren, die durch vorsätzlich fehlerhafte Ratings Geld verloren haben, gegen die Agenturen vor Gericht ziehen können. „Ratingagenturen sind sehr wichtig, vielleicht zu wichtig“, sagte Barnier. Die Abhängigkeit des Finanzsektors von Ratingagenturen solle sich verringern. Die Agenturen bewerten die Kreditwürdigkeit von Unternehmen und Staaten. Laut Barnier sollen Staaten künftig alle sechs Monate benotet werden; bisher sind es in der Regel 12 Monate.
Die ESMA solle Standards für eine einheitliche Ratingskala erarbeiten, damit die Urteile vergleichbar werden. Künftig soll ein Auftraggeber eine Ratingagentur nur noch maximal drei Jahre in Folge beauftragen dürfen. Für Staaten gilt dies nicht. Die Unternehmen müssen zudem ihre Preispolitik offenlegen.
Standard & Poor's warnte in einer Stellungnahme davor, durch neue Regeln, die nicht im Einklang mit anderen Regulierungsrahmen stünden, Ratings als global einheitlichen Maßstab für Kreditwürdigkeit zu beschädigen. Dadurch würde der Zugang der europäischen Unternehmen zu Finanzierungsmöglichkeiten an den Anleihemärkten behindert, während die Kreditvergabe von Banken in Europa immer mehr eingeschränkt werde. Die Ratingagentur unterstütze aber mehr Wettbewerb.
Die Kommission schlägt allerdings nicht die Gründung einer neuen europäischen Ratingagentur vor. Das fordern unter anderem die Sozialdemokraten in der europäischen Volksvertretung. Deren Fraktionsvorsitzender Martin Schulz sagte: „Wir brauchen eine europäische Ratingagentur.“
Mit Material von dpa/dapd/reuters