Junge Fachkräfte wie George Stathoulopoulos kommen nach Deutschland. Ob sie bleiben oder wieder zurück gehen, wissen sie oft nicht.
Hamburg. Ein Kosmopolit war George Stathoulopoulos, 23, quasi von Geburt an. In Bonn kam der Sohn eines griechischen Diplomaten 1988 zur Welt, noch vor dem Fall der Berliner Mauer und gut sieben Jahre nach dem Beitritt Griechenlands zur Europäischen Union. Seither hat sich die europäische Welt dramatisch verändert. Deutschland und Europa überwanden ihre Teilung, die Bürger der EU schöpften Zuversicht aus der Perspektive eines geeinten Kontinents. Doch im Jahr 2008 machte die Weltwirtschafts- und -finanzmarktkrise die Aufbruchsstimmung zunichte. Vor allem in Griechenland platzte die Hoffnung, dass Europa dem Land dauerhaften Wohlstand bringen könnte. Derzeit erscheinen die EU und besonders Deutschland in Hellas vor allem als ökonomischer Zuchtmeister für das abgewirtschaftete Land.
Wohin ihn die kommenden Jahre führen werden, vermag Stathoulopoulos nicht zu sagen. "Man kann in Griechenland auf mittlere Sicht derzeit nicht planen", sagt er in einem Computerraum des Unternehmens Implico in Barmbek. Seit Juli macht der Wirtschaftsstudent aus Athen in Hamburg ein Praktikum. Zunächst waren drei Monate verabredet, nun will und kann Stathoulopoulos bis zum kommenden Sommer an der Elbe bleiben. In Hamburg fühlt er sich wohl, in seiner Wohngemeinschaft in Hoheluft Ost wie auch im Unternehmen. "Hamburg ist eine großartige Stadt, und bei Implico herrscht eine sehr gute Arbeitsatmosphäre." Mit rund 250 Mitarbeitern in mehreren Ländern erarbeitet Implico Softwarelösungen für die Organisation von Geschäftsprozessen in Unternehmen, vor allem in der Mineralölwirtschaft. "Diese Erfahrung hier ist ein echtes Pfund", sagt Stathoulopoulos in bestem Deutsch, "auch für eine berufliche Zukunft in Griechenland."
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Auch nach dem teilweisen Schuldenerlass durch die Gläubiger in der Euro-Zone steht Griechenland ökonomisch auf der Kippe. Die Wirtschaft des Landes schrumpft, das wiederum erschwert den Schuldendienst. Vor allem aber hat Griechenland kaum Spielraum, seine wirtschaftlichen Strukturen - von den Unternehmen bis zur öffentlichen Verwaltung - auf einen zeitgemäßen Stand zu bringen. "In Griechenland wurden so viele Fehler gemacht, von der wachsenden Korruption bis hin zur mangelnden Steuer- und Zahlungsmoral", sagt Stathoulopoulos. "Wir haben lange Zeit über unsere Verhältnisse gelebt. Aber viele Griechen stecken noch immer in dem Bewusstsein, es besser zu wissen als der Rest Europas."
Viele junge Griechen sind gut ausgebildet - doch die Arbeitslosigkeit im Land bewegt sich auf die 16-Prozent-Marke zu, bei der Jugendarbeitslosigkeit sind die 30 Prozent überschritten. Griechenland braucht motivierte, qualifizierte junge Menschen für einen Neubeginn. Doch genau diese Gruppe der Bevölkerung findet in ihrer Heimat derzeit am allerwenigsten eine berufliche Chance - das Ausland bietet eine Alternative für die Karriere.
Statistisch ist die Abwanderung griechischer Berufsanfänger nach Deutschland bislang noch nicht zu sehen. Seit Jahren sinkt die Zahl griechischer Staatsbürger, die hierzulande einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit nachgehen. Auch deshalb, weil viele griechische Einwanderer aus der älteren Generation mittlerweile im Ruhestand sind. Doch Experten, die den Arbeitsmarkt genau beobachten, sehen einen klaren Trend: "Ich bekomme ständig Anfragen aus Griechenland, ob ich Arbeitskräfte in deutsche Unternehmen vermitteln kann, besonders von jüngeren Menschen", sagt Stavros Konas, Geschäftsführer des Hamburger Unternehmens Global Oil und Generalsekretär der Deutsch-Griechischen Juristenvereinigung. "Manchmal kann ich helfen, manchmal nicht. Aber die Arbeitsagenturen haben da natürlich noch ganz andere Möglichkeiten."
Wachsendes Interesse aus Griechenland verzeichnet die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) in Bonn, die Auslandsorganisation der Bundesagentur für Arbeit. "Wir sind schon lange in Griechenland aktiv", sagt ZAV-Sprecherin Beate Raabe. "Früher konzentrierte sich das Interesse an einer Arbeit in Deutschland stärker bei den medizinischen Berufen, jetzt verzeichnen wir Andrang vor allem in den technischen Disziplinen. Deutschland ist als Technologieland bei griechischen Arbeitskräften sehr gefragt."
Griechische Partnerorganisationen der ZAV veranstalten vor Ort Informationsseminare und versuchen, Arbeitskräfte für einen Jobwechsel nach Deutschland zu motivieren. Allerdings stößt die ZAV in Griechenland auf dasselbe Problem wie in anderen vor allem südeuropäischen Ländern. "Deutsch ist dort nicht erste, oft auch nicht zweite Fremdsprache", sagt Raabe. "Die Sprache ist für viele junge Arbeitnehmer eine hohe Hürde."
Für George Stathoulopoulos allerdings nicht. Er bekam die Mehrsprachigkeit in die Wiege gelegt. Unter anderem lebte seine Familie auch für einige Jahre in der Türkei. Seit 2007 ist er an der Universität von Athen im Fach Management Sciences eingeschrieben. Im kommenden Sommer will er sein Studium dort abschließen und seinen neunmonatigen Wehrdienst ableisten. Viele seiner Altersgenossen dächten derzeit über eine Arbeit im Ausland nach, sagt er. "Ich liebe mein Land, aber die Aussichten am griechischen Arbeitsmarkt sind völlig ungewiss. Vielleicht ergibt es sich, dass ich später bei einem deutschen Unternehmen in Griechenland arbeiten kann."
Zwischen Griechenland und Europa wachse derzeit die Entfremdung, so jedenfalls nimmt Stathoulopoulos seine Eindrücke aus vielen Gesprächen wahr. "Es mangelt auf allen Seiten an der Bereitschaft, einander zu verstehen. Die Europäische Union ist eben noch lange keine politische Einheit."
Auch die Nähe zur Türkei bietet Griechenland aus der Sicht des Studenten derzeit keine Rückendeckung. Als Kind erlebte er den wirtschaftlichen Aufschwung des Landes mit. Mit einer niedrigen Bewertung der türkischen Lira und mit geschickter Wirtschaftspolitik zog die Türkei etliche ausländische Unternehmen an. Mittlerweile gilt sie als ökonomisches Boomland in der Region. Aber die alte politische Rivalität mit Griechenland ist längst nicht überwunden, glaubt Stathoulopoulos. "So lange die Türkei nicht Mitglied der Europäischen Union ist, wird es mit der Annäherung schwierig bleiben."
Die Mittagspause geht zu Ende, Stathoulopoulos muss wieder zurück ins Büro. Die Dame am Empfang bei Implico fragt ihn, wie lange sein Praktikum im Unternehmen denn noch dauere und woher er eigentlich stamme. "Du bist doch in Deutschland aufgewachsen oder?", mutmaßt sie angesichts seiner fehlerfreien Deutschkenntnisse. Das muss der Praktikant zwar verneinen. Aber das freut ihn eher, als dass es ihn stört. Stathoulopoulos ist Grieche und Europäer mit einer engen Verbindung nach Deutschland und mit viel Zuneigung für Hamburg. Das ist in diesen Tagen nicht das schlechteste Fundament für einen erfolgreichen Start in das Arbeitsleben.