Wie der Alltag im Wertpapierhandel in Hamburg aussieht: Das Parkett gibt es heute längst nicht mehr, doch die Hektik ist geblieben.
Hamburg. Mit angestrengtem Blick sitzt Gerd Schliephake vor seinen sieben Monitoren. Chartverläufe, Zahlenkolonnen, Excel-Tabellen - für den außenstehenden Betrachter ein undurchsichtiger Wust an Informationen. Ein permanentes Stimmengewirr umgibt die 25 Kollegen, die gemeinsam in dem Großraumbüro schräg gegenüber vom Rathausmarkt sitzen. Jedes Mal, wenn Schliephake eine sogenannte Order erreicht, macht sich sein Computer mit einem "Tusch" bemerkbar. Dann muss er schnell reagieren, kaufen, verkaufen - und dabei immer die Kurse im Blick behalten. Besonders in den vergangenen Monaten war der Arbeitsalltag der Makler an der Hamburger Börse außerordentlich nervenaufreibend. Spektakuläre Kurseinbrüche, die Rezessionsangst und enorme Unruhe auf dem Aktienmarkt haben ihnen anstrengende Tage beschert. "Manchmal hätte ich mir im August wirklich gewünscht, ich wäre Gärtner geworden", gibt Detlef Lübbe zu. Als Vorstand der mwb fairtrade Wertpapierhandelsbank AG, die neben dem Aktien- und Renten- auch den Fondshandel an der Börse Hamburger betreibt, muss er die grundlegenden Entscheidungen treffen, die an diesen Tagen nicht immer einfach zu fällen sind.
Verantwortungsvoll war sein Job als junger Börsenmakler in den 70er- Jahren zwar auch schon. Ansonsten erinnert der Arbeitstag eines Aktienhändlers der Gegenwart kaum noch an das, was der Normalbürger sich unter dem Leben an der Börse vorstellt.
+++ Bulle oder Bär? +++
Niemand telefoniert mehr mit drei Hörern gleichzeitig. Kein Makler ruft einem möglichen Käufer sein Angebot quer durch den Börsensaal zu. Und auch die Kurstafeln gehören längst der Vergangenheit an. Sie braucht man nicht mehr. Computer genügen - denn sie übernehmen einen Großteil der Arbeit. "Das Gefühl, das man früher auf dem Parkett hatte, gibt's nicht mehr", sagt der 53-jährige Schliephake, der seit 1985 bereits viele verschiedene Börsensäle kennengelernt hat. "Hektisch war es schon immer. Aber natürlich beschleunigt der elektronische Handel das Geschäft massiv - und sorgt dann möglicherweise für stärkere Kursschwankungen." Und das bedeutet mehr Stress für Gerd Schliephake und seine Kollegen, sodass er und die anderen Makler manchmal wirklich froh sind, wenn ihr Arbeitstag zu Ende ist.
Seit 1999 haben die Börsen Hamburg und Hannover eine gemeinsame Trägergesellschaft. Zusammen waren sie 2010 die drittgrößte Börse in Deutschland. Die Börse Hamburg ist zudem der älteste deutsche Börsenplatz. Gegründet als Versammlungsort der Hamburger Kaufleute im Jahr 1558, fand der Handel bis zum Jahr 2001 im Börsensaal der heutigen Handelskammer am Adolphsplatz statt.
Heute arbeiten die Makler im 1899 erbauten Geschäftshaus Rathausmarkthof in der Kleinen Johannisstraße. Um das altehrwürdige Flair zu erhalten, wurden einige Räume mit Mahagoni eingerichtet, die Türen besitzen Messingknäufe. Im Handelssaal dominieren jedoch moderne Computer, die Makler tragen Jeans und keine Anzüge.
Und genau diese Computer machen das Leben des Maklers einerseits einfacher, sind nach Meinung von Makler Gerd Schliephake aber auch ein Grund dafür, dass sein Beruf eine aussterbende Zunft sein dürfte. Mittlerweile werden über 90 Prozent des gesamten Aktienhandels an den deutschen Börsen über das Handelssystem Xetra abgewickelt.
Der gesamte Ablauf wird elektronisch geregelt, alle Kauf- und Verkaufsaufträge der Händler werden gegenübergestellt. Stimmen Stückzahl und Preis überein, werden die Aufträge automatisch zusammengeführt. Zwar werden auch in Hamburg rund 10 000 verschiedene Wertpapiere gehandelt, dennoch muss sich die Regionalbörse viel einfallen lassen, um konkurrenzfähig zu bleiben. "Bei unserem Geschäft ist es nicht so einfach, Emotionen bei den Kunden zu wecken und somit attraktiv zu sein", sagt Kay Homann, Prokurist bei der Hamburger Börsen AG. Deshalb legen die Verantwortlichen großen Wert auf die Besonderheiten des Standorts. "2002 haben wir als erste deutsche Börse den Handel mit Investmentfonds eingeführt. Heute sind wir Marktführer in diesem Bereich", so Homann. Im Angebot ist inzwischen unter anderen eine Policenbörse, eine Plattform für den Handel mit "gebrauchten" Lebensversicherungsverträgen.
Die Nähe zum Kunden will die Börse zudem durch Kurse und Seminare für Anleger fördern, in denen Experten über verschiedene Bereiche der Geldanlage und des Wertpapiergeschäfts informieren. "Besonders junge Menschen wollen wir sensibilisieren und ihnen deutlich machen, dass die Arbeit an der Börse nicht gleichzusetzen ist mit riskantem Spekulieren", sagt Detlef Lübbe. Viele Missverständnisse und falsche Investitionen würden zustande kommen, weil der Anleger selbst nicht genug informiert sei.
"Wenn man eine Kaffeemaschine oder ein Auto kauft, dann verlässt man sich auch nicht nur auf die Meinung des Verkäufers, sondern liest sich Testergebnisse durch oder macht eine Probefahrt", so Lübbe. "Natürlich sollte man seinem Bankberater vertrauen, aber es ist schon besser, wenn man nachvollziehen kann, was mit dem eigenen Geld wirklich passiert."