Eine Aufstockung des Rettungsschirms wird ausgeschlossen. Die Frage sei nur: “Wie weit kommen wir mit dem Sprit, den wir haben?“

Berlin/Athen/Brüssel. Das Bundesfinanzministerium hat eine weitere Erhöhung deutscher Hilfszahlungen an klamme Eurostaaten ausgeschlossen. Die Obergrenze des Rettungsschirms EFSF liege bei 440 Milliarden Euro, Deutschland trage davon 211 Milliarden, sagte Ministeriumssprecher Martin Kotthaus am Mittwoch in Berlin. „Über die 440 Milliarden Euro hinaus gibt es keine Diskussion, basta.“

In den Bundestagsfraktionen sorgen Berichte über eine sogenannte Hebelung des EFSF, um weiteres Kapital für klamme Schuldenstaaten zu mobilisieren, für Unruhe. Kotthaus betonte, eine Hebelung bedeute nicht, den Garantierahmen des EFSF zu erhöhen, sondern den Rettungsschirm unter den klar definierten Obergrenzen maximal effizient zu nutzen. Dazu liefen produktive und konstruktive Gespräche. „Es geht um nichts anderes als um die Frage, wie weit kommen wir mit dem Sprit, den wir haben.“

Er sei sich im übrigen sicher, dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble mit Blick auf eine Hebelung keine konkrete Zahl genannt habe. Allenfalls könnte dies im Rahmen einer Modellrechnung geschehen sein. In Medienberichten hatte es zuvor geheißen, Schäuble habe in der Unionsfraktion eine Summe von einer Billion Euro genannt. Dies wurde von einem Fraktionssprecher aber dementiert. Kotthaus sagte, über die Risiken einer Hebelung wolle er nicht spekulieren. Die Bundesregierung werde die Fraktionen so früh wie möglich über den EFSF-Entwurf informieren, über den die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfel am Sonntag in Brüssel entscheiden werden. Eine Frist für die Unterrichtung könne er aber nicht nennen. Die Unionsfraktion plant für Donnerstag eine Sondersitzung, um über den Entwurf zu beraten, auch die FDP erwägt dies.

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Hintergrund: Wie funktioniert der „Hebel“ zur Euro-Rettung?

Zur Bekämpfung der Staatsschuldenkrise in Europa sollen die Mittel des Euro-Rettungsschirms EFSF „gehebelt“ werden. Was verbirgt sich dahinter und welche Risiken könnten daraus für die Steuerzahler erwachsen? Im Folgenden ein Überblick:

WARUM BRAUCHT DER EFSF EINEN HEBEL?

Dem Rettungsschirm stehen künftig 440 Milliarden Euro zur Verfügung, um überschuldeten Euro-Ländern unter die Arme zu greifen, wenn sie sich kein frisches Geld mehr am Kapitalmarkt besorgen können. Davon sind zehn Prozent bereits für Irland und Portugal verplant. Außerdem soll das noch ausstehende zweite Hilfspaket für Griechenland vom EFSF finanziert werden. Sollte ein zusätzliches Land wie Italien oder Spanien ins Schlingern geraten, wären die EFSF-Mittel sehr schnell erschöpft. Der „Hebel“ soll helfen, das Geld möglichst effizient einzusetzen.

WIE FUNKTIONIERT DER HEBEL?

In den Verhandlungen der Euro-Länder über die Leitlinien für den konkreten Einsatz der EFSF-Milliarden zeichnet sich ein Versicherungsmodell ab: Begibt ein Euro-Land eine neue Staatsanleihe, könnte der EFSF eine Garantie geben, einen Teil des Ausfallrisikos zu übernehmen. Gedacht wird dabei an 20 bis 30 Prozent des Emissionsvolumens. Dadurch würde sich das Risiko der Käufer (Banken, Versicherungen, etc.) verkleinern und damit der Anreiz vergrößert, bei der Anleihe kräftig zuzugreifen. Im Ergebnis würden die Zinsen sinken, die das Land bezahlen muss.

Der „Hebel“ besteht also darin, dass durch eine staatliche Teil-Ausfallversicherung privates Kapital mobilisiert wird. Das ist effektiver als wenn der EFSF alleine die Anleihe kaufen würde, was seine Mittel überstrapazieren würde. Die Milliarden des EFSF, also die 440 Milliarden Euro, würden dadurch nicht erhöht oder „gehebelt“, er gibt lediglich Ausfallgarantien ab.

Ein Beispiel: Das Land X begibt eine neue Staatsanleihe über zehn Milliarden Euro, hat aber Zweifel, ob es sie am freien Kapitalmarkt zu einem verkraftbaren Zinssatz losschlagen kann. Deshalb wendet sich die Regierung von X-Land an den EFSF. Der Schirm gibt die Garantie ab, für die ersten 20 Prozent der Verluste zu haften, falls das Land doch pleitegehen sollte. Die weiteren Verluste müssten dann die Investoren tragen. Für diese Teil-Kaskoversicherung müsste X-Land voraussichtlich eine Gebühr an den EFSF zahlen. Geht alles gut und kann X-Land Zins und Tilgung normal bedienen, macht der EFSF sogar ein Geschäft.

GIBT ES VARIANTEN?

Wie genau der Hebel eingesetzt werden könnte, ist noch nicht klar. Nach Informationen von Reuters ist aktuell neben der Variante, dass der EFSF das erste Verlustrisiko übernimmt, auch im Gespräch, dass der EFSF erst in zweiter Linie haftet. So könnten zum Beispiel die ersten zehn Prozent der Verluste von den privaten Investoren übernommen werden, die nächsten 15 Prozent vom EFSF und der Rest wieder von den Investoren.

Theoretisch sind bei der Ausgestaltung alle möglichen Varianten denkbar. Sehr wahrscheinlich ist, dass über die genaue Ausgestaltung einer EFSF-Teilgarantie erst bei Bedarf und im Einzelfall entscheiden wird, um maximal flexibel zu bleiben.

Zeitweise diskutierte Alternativen, wie den EFSF mit einer Banklizenz auszustatten, damit er selber Kredite bei der Europäischen Zentralbank aufnehmen kann, sind nach Reuters-Informationen vom Tisch, weil die EZB dabei nicht mitmacht.

WAS BEDEUTET DAS FÜR DIE STEUERZAHLER?

An der Kapitalausstattung des EFSF ändert sich nichts. Der EFSF muss nicht einmal den Betrag, den er für Ausfallgarantien zur Verfügung stellt, in bar in der Kasse haben. Erst wenn X-Land seine teilbesicherte Staatsanleihe nicht mehr bedient, tritt der Garantiefall ein. Für die 440 Milliarden Euro des EFSF stehen die deutschen Steuerzahler mit maximal 211 Milliarden Euro gerade – ebenfalls in Form von Garantien an den EFSF. Gelingt die Operation, entstehen keine Verluste. Macht der EFSF Verluste, reicht er sie an die Steuerzahler weiter.

EU-Staaten suchen Mittel gegen Euro-Infarkt: Griechenland bestreikt, Spanien abgewertet, Europa gestresst: Der EU-Gipfel am Sonntag ist zum Handeln verdammt.

Berlin/Athen/Brüssel (dpa) – Europa sucht fieberhaft eine wirksame Therapie gegen die Euro-Schuldenkrise. Doch vor dem EU-Gipfel an diesem Sonntag in Brüssel streiten die Regierungen weiter, wie der Rettungsschirm EFSF am besten verstärkt werden kann. Dass die Eurozone zunehmend an Vertrauen verliert, attestiert die US-Ratingagentur Moody’s: Sie stufte Spaniens Kreditwürdigkeit herunter. Im von der Pleite bedrohten Griechenland begehrt das Volk gegen die Regierung auf: Massenstreiks legen das Land lahm.

Zum ersten Krisentreffen kommen am Freitag die 17 Finanzminister der Eurozone in Brüssel zusammen. Am Samstag werden die Finanz- und Außenminister aller 27 EU-Staaten in die Debatte eingreifen. Bundeskanzlerin Angela Merkel und die anderen Staats- und Regierungschefs wollen dann am Sonntag ein Maßnahmen-Bündel verabschieden, das die Banken – notfalls mit frischem Kapital - stützt, das Griechenland rettet und das Vertrauen der Finanzmärkte wiederherstellt. „Wir sind an einem entscheidenden Moment nicht nur für den Euro, sondern auch für die Zukunft Europas“, sagte EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso am Mittwoch in Brüssel.

Gegen hochriskante Börsengeschäfte geht die Europäische Union nun strikt vor: Spekulationen auf Staatsanleihen werden eingeschränkt. Es geht um den Handel mit ungedeckten Kreditausfallversicherungen (CDS) auf Anleihen. Von November 2012 an sind diese nur noch in Ausnahmefällen möglich, wie EU-Kommission, Europaparlament und die EU-Staaten in Brüssel vereinbarten.

Deutschland hatte bereits 2010 sogenannte ungedeckte Leerverkäufe verboten. Dabei wetten Spekulanten auf den Verfall einer Währung, Aktie oder Anleihe und verkaufen das Produkt, ohne es zu besitzen - in der Hoffnung, es später zu einem niedrigeren Kurs zurückkaufen zu können und so Gewinne einzustreichen. Andere Länder wie Frankreich, Italien, Spanien und Belgien waren gefolgt.

Das Wetten auf eine schlechtere Bonität von Schuldnern wird jetzt EU-weit verboten, weil diese Praktiken nach gängiger Meinung den Kursverfall von Staatsanleihen künstlich beschleunigt und die Krise Griechenlands verschärft haben. Die komplizierten Produkte gelten auch als Hauptauslöser für die weltweite Finanzkrise.

Diesen Teufelskreis durchlebt derzeit auch Spanien. Die Ratingagentur Moody’s stufte dessen Kreditwürdigkeit herab – wie zuvor die beiden anderen großen Agenturen Fitch und Standard & Poor’s (S&P). Doch Moody’s ging härter vor: Spanien verlor gleich zwei Noten seiner Bonität – „Aa2“ auf „A1“. Auch der Ausblick sei negativ. Zugleich stufte S&P das Rating von 24 italienischen Banken herab.

Am 7. Oktober hatte bereits die Ratingagentur Fitch die Bonität Spaniens abgestuft, es folgte S&P. Beide Agenturen bewerten das Land mit der vierthöchsten Note „AA-“, also einer noch guten Bonität. Für Länder wie Banken gilt: Je schlechter die Bonität eingeschätzt wird, desto höher ist die Risikoprämie, die Geldgeber verlangen: Spanien muss nun vermutlich mehr Zinsen für seine Kredite bezahlen.

Hinter den Kulissen suchen die Unterhändler der Euro- und EU-Staaten fieberhaft nach überzeugenden Antworten auf die Euro- und Bankenkrise. Umstritten blieb nach dpa-Informationen der Plan, den Rettungsschirm mit Hilfe eines Hebel-Mechanismus’ zu vergrößern. Eine Einigung über den Umfang und Instrumente steht weiter aus.

Ein Sprecher der Unionsfraktion stellte in Berlin klar, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble habe in Sitzungen der CDU/CSU-Fraktion keine konkreten Zahlen und Modelle genannt. Medienberichte, wonach das Ausleihvolumen des EFSF-Fonds von 440 Milliarden Euro mit Hilfe eines „Hebels“ auf eine Billion oder zwei Billionen Euro vervielfacht werden könnte, wurden zurückgewiesen.

Mit einem Hebel-Mechanismus könnte die Finanz- und Schlagkraft des Fonds tatsächlich deutlich erhöht werden: Nach dem derzeit diskutierten Modell würde der Fonds nur einen Teil der Staatsanleihen kriselnder Euro-Länder und nicht 100 Prozent versichern. Davon könnten vor allem Länder mit angeschlagenem Ruf wie Spanien und Italien profitieren, denn die Botschaft der Hebel-Lösung wäre: Der Fonds ist auch stark genug für große Volkswirtschaften.

Der Rettungsschirm ohne Hebel könnte demnächst 440 Milliarden Euro an Notkrediten bereitstellen. Mit Hilfe eines Hebels könnte das Nothilfe-Volumen deutlich steigen: Würde ein Teil – zum Beispiel 30 Prozent – der Anleihen versichert, könnte das Vertrauen zusätzlicher Geldgeber gewonnen werden.

Solche Überlegungen spielen für Griechenland keine entscheidende Rolle mehr: Das Land kämpft mit drastischen Einsparungen und unpopulären Reformen gegen die Pleite. Zehntausende Griechen antworteten mit dem größten Streik seit vielen Jahren und legten das öffentliche Leben weitgehend lahm. Der Flugverkehr brach am Mittwochvormittag komplett zusammen. Tausende Reisende – auch aus Deutschland – waren betroffen. Vor dem Parlament in der Hauptstadt Athen machten Tausende ihrer Wut Luft. Ein Radiosender nannte den Arbeitskampf den „größten Streik seit Jahrzehnten“, der Nachrichtensender Skai sprach von der „Mutter aller Streiks“. (dpa/dapd/rtr)