Ab 2014 sollen Geschäfte an den europäischen Finanzmärkten besteuert werden. Auch Privatanleger wären davon betroffen.
Hamburg. Ob neue Möbel oder die Rechnung vom Klempner: Jeder Kauf und jede Dienstleistung kostet den Bürger bis zu 19 Prozent Umsatzsteuer. Nur an den Finanzmärkten, wo jeden Tag Billionenumsätze gemacht werden, gelten andere Regeln. Wer mit Aktien, Fonds oder Anleihen sein Geschäft macht, muss keine Umsatzsteuer mehr entrichten. 1991 wurde in Deutschland eine Steuer auf Wertpapierkäufe und -verkäufe mit dem "Finanzmarktförderungsgesetz" abgeschafft.
Doch jetzt sollen die Geschäfte an den europäischen Finanzmärkten besteuert werden, kündigte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso vor an. Die EU habe seit Beginn der Krise 4,6 Billionen Euro an Hilfen und Garantien für den Finanzsektor zur Verfügung gestellt. "Es ist jetzt an der Zeit, dass der Finanzsektor der Gesellschaft einen Beitrag zurückzahlt", sagte Barroso. Das Abendblatt erklärt die Folgen der Finanztransaktionssteuer.
Warum wird eine solche Abgabe geplant?
"Neben den zusätzlichen Einnahmen geht es um eine Lenkungsfunktion", sagt Kerstin Bernoth vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. "Denn es gibt viele Geschäfte, die losgelöst von jedem wirtschaftlichen Hintergrund nur betrieben werden, um Gewinne aus kleinsten Kursdifferenzen zwischen Kauf- und Verkaufskursen zu erzielen." So werden täglich Währungen im Wert von vier Billionen Dollar gehandelt, obwohl nur ein Bruchteil davon durch Warengeschäfte erforderlich ist. Experten sprechen vom Hochfrequenzhandel. Computerprogramme erkennen profitable Situationen und starten in Sekundenbruchteilen die Transaktionen. Ohne solche Geschäfte sollen die extremen Ausschläge an der Börse vermieden werden.
Wie hoch wird die Steuer sein, und was bringt sie ein?
Aktien und Anleihen sollen vom Jahr 2014 an mit 0,1 Prozent des Auftragswertes besteuert werden. Für Derivate, das sind Finanzprodukte, die Wetten auf Kursentwicklungen von Aktien, Währungen, Anleihen oder Rohstoffen darstellen, gilt ein Satz von 0,01 Prozent. Auch Zertifikate sind Derivate. Die EU rechnet mit Einnahmen von bis 57 Milliarden Euro im Jahr. Das Geld soll in den EU-Haushalt fließen. Als Ausgleich sollen die Regierungen weniger Beiträge nach Brüssel überweisen.
Wie sind Privatanleger von der Finanztransaktionssteuer betroffen?
Die Kommission will nur Geschäfte zwischen professionellen Finanzinstituten wie Banken, Versicherungen oder Fondsgesellschaften erfassen, unabhängig davon, ob sie über eine Börse oder direkt untereinander abgewickelt werden. Das heißt aber nicht automatisch, dass Privatanleger nicht betroffen sind. Es hängt davon ab, ob die Bank die Steuer an ihre Kunden weitergibt. Würde sie das tun, müsste ein Anleger mit einem Aktiendepot von 100 000 Euro, das er einmal im Jahr komplett umschichtet, mit zusätzlichen Kosten von 200 Euro pro Jahr rechnen. Lebensversicherer Allianz rechnet vor, dass bei jährlichen Einzahlungen von 1000 Euro nach 30 Jahren Laufzeit rund 75 Euro Finanztransaktionssteuer fällig wären. Kredite oder Überweisungen sind von der Steuer aber nicht betroffen.
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Kann die Steuer umgangen werden?
"Es ist heute nur ein Mausklick, und ich habe meine Order statt in Frankfurt an der New Yorker Börse aufgegeben", sagt Finanzexperte Wolfgang Gerke. "Ich erwarte daher Ausweichmanöver der Betroffenen." Die schwedische Börse erlitt in den 90er-Jahren wegen einer solchen Steuer einen Umsatzrückgang von 85 Prozent. Die Kommission will Ausweichmanöver verhindern, indem die Steuer auch dann fällig wird, wenn die Transaktion außerhalb der EU abgewickelt wird, ein beteiligtes Unternehmen aber seinen Sitz in der EU hat.
Gibt es Vorbilder für eine Abgabe auf Börsengeschäfte?
China nimmt jährlich sechs Milliarden Euro ein mit einer Abgabe von 0,1 Prozent am Börsenplatz Shanghai. Von Abwanderungsbewegungen ist nichts bekannt. Auch Großbritannien hat eine Börsenumsatzsteuer, die allerdings nur auf Aktien von Unternehmen erhoben wird, die ihren Hauptsitz in Großbritannien haben.
Kann eine solche Steuer eine Finanzkrise verhindern?
"Das ist nicht zu erwarten, denn dazu sind umfangreichere Regulierungen erforderlich", sagt Bernoth. "Aber im Idealfall dämpft die Steuer die Spekulation deutlich ein, weil sich dann viele Geschäfte nicht mehr lohnen, und das wäre schon ein deutlicher Fortschritt. Gerke würde den Hochfrequenzhandel lieber anders eindämmen: Mit einer Mindesthaltezeit der Position von mindestens zehn Sekunden im Orderbuch. "Denn die Finanztransaktionssteuer wird schwierig durchzusetzen sein", sagt Gerke.
Wie sicher ist, dass die neue Steuer wirklich kommt?
Der Vorschlag müsste einstimmig von den 27 Mitgliedstaaten angenommen werden. Doch Großbritannien hat bereits sein Veto angekündigt. Auch Schweden und die Niederlande haben Bedenken, und in Deutschland sträubt sich die FDP gegen die Pläne.