Bei aller ökologischen Vernunft: Es sind nach wie vor die Emotionen, die unser Verhältnis zum Pkw beherrschen. Ein Rundgang über die IAA.
Wer weiß, wann Danielas Mazda MX-5 das letzte Mal eine Waschanlage von innen gesehen hat. Wahrscheinlich irgendwann in den 90er-Jahren, als der dritte Gang noch nicht ruckelte und "Autokanzler" Gerhard Schröder noch lupenreiner Sozialdemokrat war. Egal, Daniela stellt mir nicht nur eine Schlafstatt, sondern auch den Beifahrersitz zur Verfügung und fährt mich durch Frankfurts morgendlichen Berufsverkehrskollaps zur Internationalen Automobil-Ausstellung IAA. Mehrere mausgraue Oberklasse-Limousinen überholen uns energisch rechts, die Zeit rennt, Bremsen jammern in Agonie, der Wagen steht im Stau, nur Fluchkaskaden rollen noch. Ich lasse den Blick über die vergilbten Ledersitze (Raucherauto) und angestoßenen Armaturen schweifen. "Sag mal, liebst du dein Auto eigentlich?", frage ich und rechne mit einer weiteren Schimpftirade. Aber ihre Antwort ist begeisternd entgeistert: "Was? Natürlich!"
Liebe ist die mächtigste aller Emotionen, und wohl keine Nation ist so eng und mit Liebe dem Auto verbunden wie unsere. Die Macht kam von der Straße, das Wirtschaftswunder stand mühsam erarbeitet und stets gewienert in den Garagen und Vorgärten. Vom bescheidenen Käfer bis zum noblen Benz. Dass demnächst am Billhorner Röhrendamm in Hamburg eine von der Zapfsäule bis zur Goldrand-Kaffeetasse liebevoll rekonstruierte Retro-Tankstelle im Stil der 50er-Jahre eröffnet, spricht für den prägenden Geist dieser automobilen Ära des kollektiven Aufbruchs und der Freiheit.
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Seitdem wurde indes viel dafür getan, die Liebe zum Mobil abkühlen zu lassen. Die Ölkrise, der Smogalarm, die Benzinpreise. Der vernünftige Umweltgedanke als Kontrast zum Stigma des Fahrzeugs als unvernünftiger Schadstoffschleuder und Ressourcenfresser. Und nicht zuletzt die Scheußlichkeiten der Massen-Motorisierung der 80er- und 90er-Jahre mit ihren schwarzen, öden Innenraum-Plastikwüsten.
Die Bedeutung des Autos als Statussymbol nimmt dementsprechend ab. Ikonen des Designs und des technischen Fortschritts entwerfen und bauen andere. Teure Geräte mit einem Apfellogo rasen auf Datenautobahnen in Sekundenschnelle unkompliziert um die Welt, während noch teurere Geräte mit Stern- und Blitzlogo oft nur stockend über das Maschener Kreuz hinauskommen. Die Zeiten, in denen selbst eine Isetta die Postkarte aus Rimini überholte, sind längst vorbei.
Aber 42 Millionen Pkw sind in Deutschland zugelassen, das heißt: Jeder verbindet etwas mit einem Gefährt, und sei es auf dem Beifahrersitz. Und wenn Fahren etwas Gefühliges ist, von Abscheu über nüchterne Ratio bis zu enthemmter Sinnenfreude, dann ist die Frankfurter IAA seit 1951 eine Erotikmesse. Voller Verheißung und Versprechen, Wahrheit und Blendung. Lack und Leder.
Gut 1000 Aussteller präsentieren dieses Jahr noch bis zum 25. September ihre aktuellen Modellflotten, Neuheiten und Zukunftskonzepte. Es ist ein Jahrmarkt der Eitelkeiten, der einen nach dem Aussteigen aus dem altgedienten Mazda schier blendet. Mit wild geschnittenen Imagefilmen, direkten Ansprachen und indirekten Lichtspielen wird auch das biederste Vehikel auf polierten Unterböden, langsam rotierenden Drehscheiben und armdicken Flauschteppichen in den rechten Glanz gesetzt. Wo kein Chrom die Strahlen bricht, da schluckt mattes Carbon den geworfenen Schein.
Im Opel-Bereich geht es funky zu. Aus den Boxen wummert der Song "White Knuckle Ride" von PS-Narr Jamiroquai, und Vorstandschef Karl-Friedrich Stracke wirft mit einer leidenschaftlichen Rede den Hut von der Ablage in den Ring. Er spricht von Vision und Revolution und meint Hoffnung auf Marktanteile. Die von ihm zitierten Modelle Corsa, Insignia, Ampera und RAK e stehen stellvertretend für die diesjährigen IAA-Schwerpunkte - der Kampf im Kleinwagensegment, neue Ambitionen in der oberen Mittelklasse, alternative Antriebe und innovative Zukunftsideen. Tatsächlich zeigt vor allem der Ampera, was ab November auf der Straße möglich ist: Bis zu 80 Kilometer legt die auch optisch angenehm ungewöhnliche Limousine elektrisch zurück, bevor ein herkömmlicher Verbrennungsmotor zugeschaltet wird. Dabei ist der Ampera im E-Modus so leise, dass man ihm im IAA-Außenbereich mehrfach fast vor die Probefahrer-Nase läuft.
Aber eine Revolution sind der Ampera und sein US-Pendant Chevrolet Volt nicht. Reichweite, Gewicht und Ökobilanz von Lithium-Ionen-Batterien - hinter der Steckdose geht es ja noch weiter zum Kraftwerk - sind weiterhin ein Problem der Ingenieure, Brennstoffzellen ebenso.
Auch wenn viele Hersteller reine Elektro-Mobile oder zumindest Hybrid-Motoren im Angebot haben, sind alternative Antriebe noch nicht verlockendes Argument genug, um auf diesen zukunftsweisenden Droschken aufzusitzen. So schätzt auch Opel-Chef Stracke, dass im Jahr 2020 weltweit noch 90 Prozent der Autos von Diesel und Benzin betrieben werden. Er wirkt dabei tatsächlich fast so traurig wie die "Halle der Elektromobilität", die den Charme einer Staubsaugermesse vermittelt und an den Pressetagen wenig besucht wird.
Großes Gedränge herrscht hingegen bei Ferrari. Ein Image-Film zelebriert den neuen 458 Spider mit orchestralem Pomp wie die Höllenmaschine eines Bond-Bösewichts. Ferrari-Boss Luca di Montezemolo rasselt danach allerdings die Fakten in der IAA-Verkehrssprache ("Faifhandretseventi Horssäpauer") herunter wie ein Gebrauchtwagenhändler gegenüber einem "Nur mal gucken"-Kunden. Er weiß: Ferrari ist Ferrari. Fahre, was da wolle.
So brauchen die Flundern aus Modena oder die Maserati-SUV-Studie Kubang auch nicht den Zierrat der benachbarten italienischen Hersteller. An den Ständen von Fiat, Alfa Romeo und Lancia fährt Mann mehr Hostessen auf als Fahrzeuge. Models statt Modelle. Auf Schuhen so hoch wie Hebebühnen rekeln sich jeweils zwei farblich und figürlich auf ihre Deltas und Giuliettas abgestimmte Schönheiten auf und um Fahrgestelle. Fotografen führen Grabenkriege, bestellen Posen - Sex sells. Tatsächlich herrscht aber eine verkehrte Welt. Die Hostessen sind nicht nur Verkaufsargument, sondern Verkäuferinnen. Freundlich und geduldig erklärt eine bildhübsche Laura mir jedes Detail, jede Funktion und jede Variante des neu aufgelegten Lancia-Zwergs Ypsilon - vom USB-Anschluss bis zu den Swarovski-Kristallen auf den Fußmatten. "Das richtet sich natürlich an die weibliche Kundschaft", kichert sie. Ich steige äußerst erheitert aus, ihr Wohlgeruch weicht der schweißtreibenden Hitze in der Halle.
Wer einen männlichen IAA-Mitarbeiter sucht, findet diesen meist als Putzkraft. Während ein Heer von Tausenden internationalen Journalisten jeden Knopf, jeden Hebel, jede Zarge drückt, berührt und nachfühlt, versuchen Horden von Staubwedel-Schwingern und Politur-Sprühern Sisyphos gleich, den Glanz hoch zu halten.
Und sie haben viel zu tun. Bei Volkswagen muss der Besucher Schlange stehen, um in den neuen Kleinwagen up! zu steigen. Von außen ein kantiger Elefantenrollschuh, innen überraschend hochwertig erscheinende Applikationen in Klavierlack-Optik und Leder mit Kontrastnähten. Spät, aber wohl nicht zu spät entdeckt VW den Trend zum Kleinwagen mit Flair. Angeregt durch die Erfolge von Mini und Fiat 500, die besonders in Metropolen an jeder Ecke stehen und fahren, überbieten sich die Hersteller mit verspielten Zwergen. Alfa Mito, Citroën DS3, Lancia Ypsilon, Toyota iQ Collection und Audi A1 sind keine Brot- und Butter-Autos mehr, sondern Designer-Häppchen. Ellenlange Ausstattungslisten, Details von Lederlenkrad bis Parfümspender verwirren den Interessenten - der bei 10 000 Euro einsteigen und bei 30 000 Euro längst nicht aussteigen darf. Sogar der Fiat Punto, einst Sinnbild für rollende Benzinkanister, entdeckt jetzt Spaß am Innenraum für Übermütige.
"Mit der Kraft eines Sumo-Ringers und dem Appetit von Super-Models", so beschreibt Daimler-Chef Dieter Zetsche seinen Fuhrpark. Das mit dem Appetit mag Wunschdenken bleiben, aber das Extravagante, Üppige ist auch in höherklassigen Segmenten en vogue. Dabei sind es nicht nur spektakuläre - nicht unrealistische - Studien wie der Ford-Flügeltürer Evos, Daimlers Concept A Class oder Audis geplante A2-Neuauflage. Schon jetzt kann man wieder verstärkt polarisieren und provozieren in einem Land, das eher den nüchternen Golf zu schätzen weiß. So teilen sich beispielhaft die begeisterten wie erschrockenen Blicke am DS5. Citroëns neuer Mittelklasse-Kombi protzt mit hügeligen Lederlandschaften, futuristischen Intarsien, avantgardistischen Linien. Am Dachhimmel findet man ebenso viele Knöpfe wie an der Mittelkonsole, ein an Jagdbomber erinnerndes Head-up-Display verstärkt den Flugzeugcharakter. Auch Cadillac pfeift auf den Inbegriff amerikanischer Luxus-Spießigkeit und führt das CTS-V Coupé auf. Die Pferdestärken dieses Tarnkappen-Räumpanzers werden von der Hostess so girrend ins Ohr geflüstert, dass die Zahl 564 einem unmoralischen Angebot gleichkommt.
Nach sieben Stunden IAA nimmt der Gast jede Einladung zum Probesitzen dankbar an. Ich "rollenspiele" angehende Familienväter, die ermüdete Beraterinnen vom Blasenpflaster-Austausch abhalten, und erfrage Kofferraum-Literzahlen, CO2-Ausstoß, kombinierten Verbrauch, Kopffreiheit. Innere Werte, auf die es eigentlich ankommt. Ich erkunde Farbvarianten des neuen Mini-Zweisitzers und der VW-Beetle-Neuauflage. Äußere Werte, so banal wie begehrt. Es ist pures Speed-Dating. Einsteigen. Aussteigen. Verlieben oder Vergessen. In der Masse der Modelle, der Models und der wuselnden Anzug-Pinguine mit ihren Rollkoffern verschwimmt der Blick - und wächst die Paranoia vor Staubwedeln und anschleichenden Amperas.
Das Letzte, was jetzt fehlen würde, wäre ein Abreisestau. Ich fahre zum Glück im erstaunlich leeren ICE zurück nach Hamburg und denke nach. Autos und Emotionen. Ich rufe Katia an, die vor wenigen Wochen ihren 16 Jahre alten, völlig verlebten 3er-BMW verkauft hat. Ob sie traurig ist? "Was? Natürlich! Ich habe eine Viertelstunde geheult." Liebe war. Liebe ist.