Die gemeinsame Antwort von Merkel, Schäuble, aber auch FDP-Chef Philipp Rösler und Außenminister Guido Westerwelle lautet – mehr Europa, mehr Abstimmung.
Berlin,. Als Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble am Donnerstag in der Unions-Fraktionsvorstandsklausur sagte, er halte eine Änderung des EU-Vertrages für nötig, erwischte er viele auf falschem Fuß. Gerade hatte die CSU sich gegen weitere Integrationsschritte in Europa ausgesprochen. Viele der Unions-Parlamentarier sind von den monatelangen Debatten der Schuldenkrise und den ständig neuen Kompromissen auf EU- oder Euro-Zonen-Ebene sichtlich erschöpft. Mit Mühe und Not versucht die schwarz-gelbe Regierung bei der Abstimmung über den reformierten Euro-Rettungsschirm EFSF am 29. September eine eigene Mehrheit zustande zu bringen. Und nun soll auch noch der erst am 1. Dezember 2009 in Kraft getretene Lissabonner EU-Vertrag wieder geändert und noch mehr nationale Kompetenzen abgetreten werden?
Am Freitag bremsten die Sprecher von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Schäuble deshalb sofort. „Im Moment geht es darum, innerhalb der bestehenden Verträge zu handeln“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Schäubles Sprecherin sprach von mittel- bis langfristigen Überlegungen. Der Hintergrund: Merkel selbst hatte vor wenigen Tagen darauf verwiesen, dass seit Inkrafttreten des EU-Vertrages auch ihre europäischen Partner erschöpft seien. „Als er fertig war, haben sich alle erst einmal erschöpft in den Sessel gesetzt und gesagt: Wir wollen zu unsere Lebzeiten keine Vertragsänderung mehr“, sagte sie vor wenigen Tagen in Paris. Tatsächlich war das ganze Management in der Schuldenkrise in der Euro-Zone von dem Wunsch geprägt, auf jeden Fall eine Vertragsänderung zu vermeiden. Nur eine winzige Vertragsänderung für den dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM – für die keine Referenden nötig sind - konnte Merkel ihren genervten EU-Kollegen abringen.
Aber auch Merkel betont, dass die Debatte für sie damit nicht beendet ist: „Ich habe das immer skeptisch gesehen“, sagte sie in Paris zu der Änderungs-Verweigerung der EU-Partner. Die EU-Integration sei schließlich ein dynamischer Prozess. In Wahrheit spricht Schäuble also nur aus, was viele in der Bundesregierung denken. Hinter den Kulissen wurde in der Regierung schon vor Wochen entschieden, dass man das tägliche Krisenmanagement an eine visionäre Linie, eine klare Perspektive in der Europapolitik koppeln müsse.
Die gemeinsame Antwort von Merkel, Schäuble, aber auch FDP-Chef Philipp Rösler und Außenminister Guido Westerwelle lautet – mehr Europa, mehr Abstimmung. Westerwelle und Arbeitsministerin Ursula von der Leyen reden gar von den „Vereinigten Staaten von Europa“ als Fernziel. Zwar liegt die offizielle Betonung weiter darauf, zunächst die Abstimmung und „Koordinierung“ zwischen den 17 Euro-Regierungen zu verstärken. Aber nicht nur die Juristen der Regierung warnen, dass eine verbindliche Abstimmung etwa der Haushaltspolitik in den 17 Euro-Staaten letztlich mit einer Vertragsänderung abgesichert werden muss.
Und plötzlich kommt auch aus dem Bundestag Druck: So fürchtet der stellvertretende Unions-Fraktionschef Michael Meister, dass ohne einen neuen EU-Vertrag die Rechte der Parlamente schleichend ausgehebelt werden. „Wir leben seit Mitte 2007 in einem permanenten Ausnahmezustand und brauchen nun die Rückkehr zu festen Regeln“, sagte er Reuters. Das Krisenmanagement betrieben letztlich die Regierungen. So sei das europäische Semester, bei dem die nationalen Parlamente ihre Haushalte in Brüssel zur Begutachtung vorlegen sollen, inhaltlich zwar ebenso richtig wie die Aufforderung der Kanzlerin, die nationalen Parlamente sollten Änderungswünsche der EU-Kommission dann auch beachten, meint der CDU-Politiker. Aber demokratietechnisch sei dies schwierig. „Nur eine Vertragsänderung könnte deshalb eine demokratische Kontrolle der Parlamente festschreiben“, mahnt Meister.
Damit ist er längst nicht mehr allein. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin forderte am Freitag, man müsse sich von der Vorstellung verabschieden, dass der Lissabon-Vertrag die letzte Änderung an den Grundlagen der europäischen Zusammenarbeit gewesen sei. Die SPD drängt ebenfalls.
Vor allem Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy wird unterstellt, eine intergouvernmentale Abstimmung anzustreben. „Die Institutionen, deren Reform wir vorschlagen, sind nicht vom Vertrag erfasst“, frohlockte Sarkozy nach dem Treffen mit Merkel kürzlich. „Dadurch ist es möglich, dass viel bessere Veränderungen vorgesehen werden können als die im Vertrag vorgesehenen, die zu diesen immensen Diskussionen über den Vertrag von Lissabon geführt haben.“ Das von Meister beklagte Demokratiedefizit beseitigt dieses Verfahren aber nicht. (rtr/abendblatt.de)