Der EU-Ratspräsident gilt als talentierter Schlichter, nun könnte er bald Vorsitzender einer neuen EU-Wirtschaftsregierung werden.

Brüssel. EU-Ratspräsident Herman van Rompuy gehört nicht zu denen, die sich in den Vordergrund drängen. Nur mit viel Überredungskunst erklärte er sich 2008 bereit, das Amt des belgischen Regierungschefs zu übernehmen. Nun wünschen sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy den 63-Jährigen als Vorsitzenden für die von ihnen vorgeschlagene gemeinsame Wirtschaftsregierung der 17 Länder der Eurozone.

„Wir haben unserem Wunsch Ausdruck verliehen, dass Du diese Aufgabe übernimmst“, heißt es in dem Schreiben von Merkel und Sarkozy an den erfahrenen belgischen Politiker, der neben Niederländisch, Französisch und Englisch auch Deutsch spricht.

Als in den Medien Anfang August über Van Rompuy als Sprecher der Gemeinschaftswährung spekuliert wurde, wurde noch abgewiegelt. Das seien Spekulationen, zu denen man keine Stellung nehmen wolle, sagte sein Sprecher.

Er wolle „dieses Leben nicht führen“ hatte Van Rompuy gesagt, als König Albert II. ihn 2008 nach dem Rücktritt der Regierung Yves Leterme als neuen Ministerpräsidenten vorschlug. Bereits 1994 hatte Van Rompuy das Angebot, Regierungschef zu werden, ausgeschlagen. Als er es 14 Jahre später doch wurde, wenngleich nur für ein Jahr, stellte er sein Geschick unter Beweis, zerstrittene Parteien an einen Tisch zu holen.

Den Sprachenstreit zwischen Wallonen und Flamen in Belgien konnte er zwar nicht beilegen, dennoch wurde der flämische Politiker auch von den Wallonen akzeptiert, und die Bilanz von Van Rompuys knapp einjähriger Regierungszeit fiel dementsprechend positiv aus: statt Chaos eine Politik der ruhigen Hand, konstruktiv, stabil, kompromissbereit und verlässlich.

Merkel und Sarkozy haben daher mit ihrem Wunschkandidaten sicherlich nicht die schlechteste Wahl getroffen. Nicht nur als Brückenbauer, auch als Sparer hat Van Rompuy Erfolge zu verbuchen - kein unwichtiger Aspekt angesichts der derzeitigen Schuldenkrise: Als Haushaltsminister Anfang der 1990er Jahre gelang es ihm, das belgische Staatsdefizit drastisch zu reduzieren. Zudem war Van Rompuy maßgeblich am Euro-Beitritt Belgiens beteiligt.

Als Van Rompuy Ende 2009 zum ersten ständigen Präsidenten des Europäischen Rates gewählt wurde, galt er nicht als erste Wahl von Frankreich und Deutschland. Frankreich wollte lieber den ehemaligen britischen Premierminister Tony Blair, Merkel doch lieber Luxemburgs Ministerpräsident Jean-Claude Juncker, wie es hieß. Man einigte sich auf Van Rompuy.

Dass Berlin und Paris ihn nun als „Mr. Euro“ vorschlagen zeigt, wie zufrieden beide mit dem Kompromisskandidaten sind. Kritiker zweifelten daran, dass Van Rompuy mit seiner zurückhaltenden Art Europa auf der politischen Weltbühne lautstark genug vertreten könne. Innerhalb Europas ist es Van Rompuys Stärke, dass er alle Signale aus den Hauptstädten hört und zu Kompromisspaketen schnüren kann.

Der bekennende europäische Föderalist, als Sohn eines Wirtschaftsprofessors in Brüssel geboren, studierte Betriebswirtschaftslehre und Philosophie in Löwen und ging schon mit Mitte 20 in die Politik. Auch seine Geschwister sind politisch engagiert: Sein Bruder, der ebenfalls der Christdemokratischen Partei (CD & V) angehört, war mehrere Jahre Minister in der flämischen Regionalregierung. Seine Schwester trat bei den Europawahlen 2009 für die kommunistische Arbeiterpartei PTB+ an.

Am (heutigen) Donnerstag stand ein Norwegen-Besuch auf Van Rompuys Agenda. In Oslo legte der gläubige Katholik und Vater von vier Kindern einen Kranz für die Opfer der Anschläge Ende Juli nieder und traf sich mit Regierungschef Jens Stoltenberg.

Noch hat sich Van Rompuy, der Bücher schreibt und auf seiner Homepage Gedichte veröffentlicht, nicht geäußert, ob er „Mr. Euro“ werden möchte. Vermutlich wird er sich Bedenkzeit erbeten, denn für ein schnelles Ja oder Nein war Van Rompuy in der Vergangenheit nicht zu haben. (dapd)