Reeder leiden unter Preiskampf und hohen Spritpreisen. Börsengang von Hapag-Lloyd immer unrealistischer
Hamburg. Hamburgs Traditionsreederei Hapag-Lloyd kommt erneut unter wirtschaftlichen Druck. Auch im zweiten Quartal 2011 fuhr das Schifffahrtsunternehmen einen Nettoverlust ein. Unter dem Strich stehen minus 10,6 Millionen Euro. Noch deutlicher wird die heraufziehende Branchenkrise beim operativen Ergebnis (Ebit-bereinigt): Für das zweite Quartal verbucht Hapag-Lloyd 26 Millionen Euro Gewinn - gegenüber rund 211 Millionen Euro im zweiten Quartal 2010.
In den Jahren 2009 und 2010 hatte sich Deutschlands führende Linienreederei angesichts der Weltwirtschaftskrise aus einer existenzbedrohenden Lage befreit - mit harter Rationalisierung, frischem Kapital der Eigner und mit öffentlichen Bürgschaften. 2010 fuhr das Unternehmen das beste Ergebnis seiner Geschichte ein.
Doch nun gibt es kaum noch Faktoren, die man in der Konzernzentrale am Ballindamm beeinflussen könnte: Die internen Einsparpotenziale sind weitgehend ausgereizt, die Brennstoffkosten für die Flotte steigen - von Januar bis Juni 2011 von 480 auf 630 Dollar je Tonne Schweröl. Obendrein drohen die weltgrößten Linienreedereien Maersk, MSC und CMA CGM mit ihren neuen Großfrachtern einen erneuten Preiskampf auf den Strecken zwischen Europa und Fernost anzuzetteln. Während die Angst vor einer neuen Weltwirtschaftskrise wächst, setzen die Marktführer und eine Reihe von Charterreedereien immer neue Megaschiffe mit mehr als 10 000 Containereinheiten (TEU) Ladekapazität in Fahrt - Schiffe, die sie teilweise schon vor Jahren bestellt hatten. Hapag-Lloyd übernimmt seine ersten Frachter mit mehr als 10 000 TEU Kapazität aber erst von Juli 2012 an. Bislang fährt die Reederei auf den Fernostrouten Schiffe mit unter 9000 TEU Kapazität. Je größer die Frachter, desto billiger lässt sich jeder einzelne Container transportieren - sofern die Schiffe gut ausgelastet sind.
Wolfgang Driese, Chef der auf Schiffsfinanzierungen spezialisierten Frankfurter DVB Bank, fürchtet eine schlimmere Branchenkrise als die zurückliegende: "2008 sind die Reeder mit großen Liquiditätspolstern in die Krise gegangen und haben sie deshalb glimpflich überstanden. Diesmal gab es nur ein gutes Jahr dazwischen."
Zwar wächst der Containerumschlag in den kommenden zwei bis drei Jahren, über alle Schiffsgrößen gerechnet, mit acht bis zehn Prozent im Jahr, erwarten Experten wie Professor Burkhard Lemper vom Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) in Bremen. Im Segment der Großfrachter mit mehr als 10 000 TEU aber drängen 20 bis 40 Prozent neue Transportkapazität an den Markt: "Bis Ende 2014, Anfang 2015 kommen nach heutiger Planung 162 Schiffe mit mehr als 10 000 TEU Kapazität neu an den Markt. Allein 86 sind derzeit bis Ende 2012 geplant", sagt Lemper. "Ein großer Unterschied zur Situation vor etwa zwei Jahren ist: Als die ersten Großfrachter mit mehr als 10 000 TEU Ladefähigkeit in Betrieb kamen, konnten die Reedereien diese Kapazitäten durch geringere Geschwindigkeiten und den Einsatz von mehr Schiffen in ihre Flotten quasi einfädeln. Jetzt ist der Effekt durch das sogenannte Slow Steaming ausgereizt, sodass echte zusätzliche Kapazität an den Markt kommt." Die Folge ist womöglich ein neuer Kampf um die Frachtraten, die Transportpreise für die Container.
Vor diesem Hintergrund will der Touristikkonzern TUI aus Hannover in absehbarer Zeit endgültig bei Hapag-Lloyd aussteigen. Die schlechten Perspektiven verengen die Optionen für den Verkauf der 38,4 Prozent, die TUI noch an Hapag-Lloyd hält. TUI-Finanzvorstand Horst Baier mochte gestern einen Börsengang in absehbarer Zeit zwar nicht ausschließen. Aber am Finanzmarkt räumt diese Variante kaum jemand eine Chance ein. Konkrete Hinweise auf strategische Investoren für Hapag-Lloyd gibt es derzeit nicht, obwohl TUI auch diese Option betont: "Wir sprechen weiterhin mit potenziellen Investoren", sagte ein TUI-Sprecher gestern dem Abendblatt.
Die dritte Variante ist ein sogenanntes Andienungsrecht von TUI an das Hamburger Konsortium Albert Ballin um den Logistikunternehmer Klaus-Michael Kühne und die Stadt Hamburg. Es hält 61,6 Prozent an Hapag-Lloyd. Von 2012 an kann der Touristikkonzern seine Anteile nach Hamburg verkaufen. Wenn das Konsortium nicht zugreift, darf TUI die Mehrheit an Hapag-Lloyd an einen anderen Investor veräußern. Albert Ballin müsste dann einige eigene Anteile abgeben. Und damit auch die Kontrolle über die Reederei.
Der Druck zum Ausstieg bei TUI jedenfalls ist hoch. Gestern gab der Konzern einen Nettoverlust von 40 Millionen Euro für das zurückliegende Quartal an - bedingt auch durch die roten Zahlen bei Hapag-Lloyd.