Weltwirtschaftsforscher Thomas Straubhaar fordert Entmachtung der Ratingagenturen. Sie operieren ohne jegliche Aufsicht.
Hamburg. Der Hamburger Weltwirtschaftsforscher Thomas Straubhaar fordert die "brutale Entmachtung" von Rating-Agenturen. Die Agenturen wären Europa durch die USA „aufgedrängt und übergestülpt“ wurden, sagt der Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI). Ratingagenturen seien mittlerweile zu „Göttern in Nadelstreifen“ aufgestiegen. Die dominierenden US-Rating-Agenturen würden völlig ohne Aufsicht staatlicher Behörden operieren. Sie könnten ihre Bewertung platzieren, ohne die Grundlagen dafür offen legen zu müssen, sagte Straubhaar: „Sie treiben die Politik vor sich her und erzeugen dadurch nicht mehr, sondern weniger Stabilität.“ Sie könnten Probleme nicht lösen, sondern verursachten neue.
Zuletzt legte Standard & Poor’s den Wert griechischer Anleihen auf Ramsch-Status "CCC" - und senkte damit die Bonität um drei Stufen. Straubhaar sieht dies als Provokation, die zu den Massendemonstrationen sowie Pleite-Gerüchte geführt hätten. Straubhaar appellierte an die Bundesregierung, schnellstmöglich die Dominanz der US-Rating-Agenturen zu beenden und dazu in der EU-Kommission einen Vorstoß zu starten. Er plädierte für einen Wettbewerb vieler gleichgestellter Agenturen. Urteile einzelner Rating-Agenturen sollten nur noch eine Meinungsäußerung von mehreren sein. Darauf solle nur hören wer will.
Hintergrund: Was machen Ratingagenturen?
Ratingagenturen bewerten die Kreditwürdigkeit von Firmen und Staaten, aber auch die Qualität von Fonds und anderen Wertpapieren. Ihre Einstufung entscheidet darüber, zu welchen Konditionen Konzerne, Banken oder Länder auf den Kapitalmärkten Geld leihen können. Den Bewertungsagenturen kommt damit eine enorme Macht zu. Je besser die Einstufung, also die erwartete Rückzahlungsfähigkeit, desto niedriger die Zinsen. Umgekehrt führt eine Herabstufung dazu, dass der potenzielle Schuldner Geld nur zu höheren Zinsen aufnehmen kann. Dies trifft auf Griechenland, Irland und Portugal zu. Üblich ist eine Herauf- oder Herabstufung um eine Stufe. Eine Herabstufung um fünf Stufen wie im Dezember bei Irland durch Moody’s ist extrem selten.
Auf dem Weltmarkt sind drei Agenturen mit weitem Abstand bestimmend: die US-Unternehmen Standard & Poor’s (S&P) und Moody’s sowie die britische Agentur Fitch Ratings. Firmen, die in den USA auf dem Kapitalmarkt agieren wollen, müssen sich von mindestens zwei dieser drei von der Börsenaufsicht SEC allein zugelassenen Agenturen bewerten lassen. Die Abstufung lässt sich mit Schulnoten vergleichen. Eine Eins plus entspricht dem besten S&P-Rating AAA. Der Kreditgeber nimmt ein Ausfallrisiko von 0,02 Prozent im wörtlichen Sinn „in Kauf“. Je niedriger das Ausfallrisiko, umso geringer muss der Kredit mit Eigenkapital der Bank hinterlegt sein. Umso mehr Verhandlungsspielraum hat auch der Kunde.
Beim AAA-Rating eines Unternehmens beträgt die Eigenkapitalquote 1,6 Prozent. Note Zwei gibt es bei AA+ (besser als AA) bis AA- (schlechter als AA), und so weiter bis hinab zu D, was einer „Acht“ bei Schulnoten entspräche. Bei D wird mit 20 Prozent Ausfallrisiko oder einem Totalausfall kalkuliert, der Kredit – wenn er überhaupt noch gewährt wird – muss mit 12 Prozent Eigenkapital der Bank unterlegt sein. Die Bewertungsagenturen sind auf Gewinn ausgerichtete Privatfirmen. Kritik entzündet sich nicht erst seit der Finanzmarktkrise daran, dass die Unternehmen, die von den Agenturen bewertet werden, diese auch bezahlen. Seit längerem gibt es Gedankenspiele in der EU, eine eigene Bewertungsagentur zu gründen. Sie sind aber bislang nicht Wirklichkeit geworden.
In der Finanzmarktkrise wurde den Ratingagenturen vorgeworfen, Asset Backed Securities (ABS, forderungsbesicherte Wertpapiere) mit Höchstnoten bewertet zu haben, die später durch den Einbruch des US-Hypothekenmarktes massiv verloren. Banken konnten aber zuvor mit den Höchstnoten bewertete ABS an andere verkaufen, um Geld für neue Geschäfte zu bekommen. (abendblatt.de/epd/dapd)