Heftig umstritten ist, wie Banken und Versicherungen an den Kosten für ein neues Hilfspaket beteiligt werden. Brüsel will Entscheidung
Brüssel/Paris/Athen. Dass den Griechen erneut geholfen werden muss, ist fast unumstritten. Nur auf das "wie" konnten sich die EU-Partner nicht einigen. Die Finanzminister des Eurogebiets verzichteten am Dienstag in Brüssel auf die zunächst geplante gemeinsame Erklärung, die zur Beruhigung der äußerst nervösen Finanzmärkte gedacht war. „Das ist ein sehr schwieriges Thema“, resümierte der finnische Ressortchef Jyrki Katainen nach stundenlangen Debatten.
Heftig umstritten ist vor allem, wie Banken und Versicherungen an den Milliardenkosten für einen neuen Rettungsplan beteiligt werden. Gerade Deutschland dringt auf einen Beitrag privater Gläubiger. Das Paket soll laut Spekulationen einen Umfang von 90 bis 120 Milliarden Euro haben. Am Sonntag dieser Woche (19. Juni) sollen die Verhandlungen in Luxemburg fortgesetzt werden – einen Tag früher als zunächst geplant. „Die Gespräche gehen weiter“, sagte der Vorsitzende der Ministerrunde, Luxemburgs Jean-Claude Juncker. Laut Diplomaten gab es Bewegung, eine Einigung sei aber noch nicht absehbar.
Die deutsche Sichtweise trifft mit den weitgehenden Plänen zur Beteiligung von Privatgläubigern auf erheblichen Widerstand der Euro-Partner. Zwar sind die meisten Euro-Länder bereit, auch private Gläubiger einzubeziehen. Allerdings wollen sie bei einer sanften Umschuldung nicht so weit gehen wie Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, wie das Treffen ergab. Die Bundesregierung fordert, dass die Banken ihre alten griechischen Staatsanleihen freiwillig gegen neue mit längerer Laufzeit von sieben Jahren umtauschen.
Der Finne Katainen sagte vor dem Krisentreffen: „Die meisten Länder haben angedeutet, dass sie für eine wie auch immer geartete Einbindung des privaten Sektors sind.“ Die Details seien aber noch unklar: „Wie wir das machen sollen, weiß ich im Augenblick nicht.“ So sind einige Länder dafür, es den privaten Gläubigern selbst zu überlassen, ob sie mitmachen oder nicht. „Die Beteiligung des Privatsektors muss freiwillig sein“, fordert der belgische Finanzminister Didier Reynders. Würde man Banken, Versicherungen und Rentenfonds zwingen, könne dies das gesamte Finanzsystem des Euro-Gebiets ins Wanken bringen. Der Anteil der Privaten am Notpaket wird auf etwa 30 Milliarden Euro geschätzt.
Die Lösung für Griechenland könnte laut Experten so aussehen, dass Banken auf freiwilliger Basis neue griechische Anleihen kaufen, falls alte auslaufen. Vorbild ist die sogenannte Wiener Initiative, bei der sich 2009 Großbanken im Rahmen eines Hilfsplans des Internationalen Währungsfonds IWF bereiterklärt hatten, auslaufende Engagements in Ländern Mittel- und Osteuropas bei Fälligkeit zu erneuern. „Etwas Ähnliches werden wir hoffentlich hier auch zustande bringen“, sagte die österreichische Ressortchefin Maria Fekter. Dies dürfe von den Ratingagenturen aber nicht als Zahlungsausfall gewertet werden. Inzwischen ist es ausgeschlossen, dass Athen wie geplant von 2012 an wieder selbst Geld am Kapitalmarkt aufnehmen kann. Griechenland war im Mai 2010 als erstes Euro-Land mit einem 110 Milliarden Euro schweren Hilfsprogramm von den übrigen Euro-Ländern und dem IWF vor der Pleite gerettet worden.
Schäuble unterstrich erneut, private Gläubiger bei einem neuen Hilfspaket für Griechenland besonders weitgehend zur Kasse bitten zu wollen. Die Beteiligung sei „natürlich Bestandteil“ des Pakets, sagte er vor dem Treffen. Die Europäische Zentralbank (EZB) ist gegen weitgehende Umschuldungsszenarien. Ihr designierter Präsident Mario Draghi warnte erneut vor den Kosten eines solchen Schritts. Sollten griechische Banken zusammenbrechen, werde dies Auswirkungen auf das gesamte Euro-Finanzsystem haben – vergleichbar mit der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers: „Wir möchten diese Erfahrung nicht wiederholen.“
Französische Banken teilen EZB-Bedenken in Griechenland-Krise
In der Diskussion über eine Umschuldung Griechenlands teilen die französischen Geldinstitute die Bedenken der Europäischen Zentralbank. Das sagte der Chef des Branchenverbandes, Francois Perol, am Dienstag der Nachrichtenagentur Reuters. Zwar sei wegen einer Beteiligung der privaten Gläubiger noch niemand bei dem Verband vorstellig geworden. Allerdings müsse jeder Vorschlag alle Marktteilnehmer gleich behandeln. Die EZB wendet sich gegen alle Konzepte, die nicht auf eine freiwillige Mitwirkung der Privatwirtschaft setzen, damit es nicht zu einem Zahlungsausfall mit gravierenden Folgen am Finanzmarkt kommt.
Brüssel pocht auf Entscheidungen
Ein neues Rettungspaket mit der von Deutschland geforderten, aber bisher noch heftig umstrittenen Beteiligung privater Geldgeber könnte später folgen. Ein endgültiger Beschluss ist nach Angaben aus Verhandlungskreisen von Donnerstag auch erst im September möglich - vor der nächsten Kredittranche an Athen. Für den von Berlin erhofften Kompromiss zur Beteiligung von Banken bestünde dann mehr Zeit.
EU-Währungskommissar Olli Rehn sagte in Brüssel, die Euro-Finanzminister sollten bei ihrem nächsten Treffen am Sonntag und Montag in Luxemburg die Auszahlung der von Athen dringend benötigten Juli-Hilfszahlung beschließen. Erst am 11. Juli solle von den Ressortchefs über zusätzliche Griechenland-Hilfen über das berits laufende Programm hinaus entschieden werden: „Damit vermeiden wir das Szenario eines Zahlungsausfalls ...“, so der Finne.
Auch die Bundesregierung hofft trotz anhaltender Differenzen zur Beteiligung privater Geldgeber auf eine Einigung zumindest auf Eckpunkte eines zweiten Hilfspakets. Der Rahmen für ein zweites Programm sollte von den Euro-Finanzministern bereits bei diesem Luxemburger Treffen vereinbart werden, hieß es.
Einen Tag vor seinem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel verlangte Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy einen Kompromiss. Nur auf diese Weise ließe sich die Stabilität des Euros gewährleisten, sagte er nach einem Bericht der französischen Nachrichtenagentur AFP in Paris. „Ich rufe alle dazu auf, Verantwortung und Kompromissbereitschaft zu zeigen“, sagte Sarkozy. Er verstehe, dass jedes Land seine Interessen verteidige, aber letztlich komme es auf eine einheitliche Haltung an, fügte er hinzu. Frankreich hat sich bislang gegen eine Umschuldung unter Beteiligung privater Investoren ausgesprochen.
Auf Basis von Eckpunkten für ein zweites Hilfspaket könnte die Anfang Juli fällige Hilfszahlung aus dem aktuellen Hilfsprogramm des Internationalem Währungsfonds (IWF) und der Euro-Partner an Athen ausgezahlt werden. Denn dann wäre hinreichend gesichert, dass das griechische Programm – wie vom IWF gefordert – für ein Jahr durchfinanziert sei. Ein endgültiger Beschluss über das zweite Hilfspaket für Athen könnte dann später fallen, hieß es in Berlin. Dies könnte bis zur Auszahlung der nächsten, im September anstehenden Hilfstranche aus dem laufenden 110-Milliarden-Euro-Rettungspaket der Fall sein.
Nach Angaben von Rehn wird am Sonntag und Montag auch über das neue Programm debattiert, das einen Umfang von bis zu 120 Milliarden Euro haben könnte. Entschieden werden solle aber erst im Juli. Der Streit dreht sich um die Beteiligung privater Geldgeber an einem zweiten Hilfspaket. Nach Darstellung der Bundesregierung gibt es darüber grundsätzlich Konsens. Umstritten seien aber das Wie und die Details einer Privatbeteiligung. Berlin pocht darauf, dass sie substanziell, quantifizierbar, verlässlich und freiwillig ist.
Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte als ein Modell vorgeschlagen, private Geldgeber zu einem Zahlungsaufschub und zu einer Laufzeitverlängerung griechischer Staatsanleihen von sieben Jahren zu bewegen. Inzwischen taucht diese Forderung nicht mehr auf. Vor allem die Europäische Zentralbank (EZB), aber auch Frankreich hatten sich skeptisch zu Schäubles Vorstoß geäußert. In einem Überprüfungsbericht hatten EU-Kommission, EZB und IWF ein neues Hilfsprogramm gefordert, bevor die Kredittranche im Juli ausgezahlt wird. Darauf hatte vor allem der IWF gedrungen. Von einer allzu harten Linie rückte der Fonds offenbar ab. Der Sprecher Rehns sagte, es gebe in dieser Frage eine enge Abstimmung mit dem IWF.
Mit der Auszahlung der Juli-Tranche wäre Griechenland zunächst bis September abgesichert. Rehn sagte weiter: „Ich rufe alle Entscheidungsträger in der EU, und insbesondere die Euro-Finanzminister am nächsten Sonntag auf, die verbleibenden Meinungsunterschiede zu überwinden und zu einer verantwortungsvollen Entscheidung an diesem kritischen Punkt zu kommen.“ Rehn rief zum wiederholten Mal die politischen Parteien in Griechenland auf, an einem Strang zu ziehen. „Es ist bedauerlich, dass die Bemühungen, eine nationale Einheit zu schmieden, gestern scheiterten.“ Die Anstrengungen, eine Pleite zu vermeiden, müsse die Sache aller politischen Kräfte sein. „Die nächsten Tagen werden entscheidend sein für die Finanz-Stabilität und die wirtschaftliche Erholung in Griechenland und in Europa“, erklärte Rehn.
Wieder Streiks in Griechenland
Aus Protest gegen ein 78 Milliarden Euro schweres Sparprogramm der Regierung wird heute (Mittwoch) in Griechenland wieder gestreikt. Züge, Fähren und die Athener Vorstandbahn sollen betroffen sein, Ministerien und staatliche Unternehmen sowie viele Banken für 24 Stunden bestreikt werden. Die Tourismusbranche soll darunter nicht direkt leiden, die Fluglotsen nehmen nicht am Streik teil. Außerdem wird es von 6.00 Uhr Ortszeit (5.00 Uhr MESZ) an keine Nachrichten im Radio und Fernsehen mehr geben.
Zu dem Streik haben die beiden größten Gewerkschaftsverbände aufgerufen, auch die hauptsächlich über das Internet organisierte Bewegung der „Empörten Bürger“ will sich beteiligen. Die „Empörten Bürger“ wollen alle Zufahrtsstraßen zum Parlament in Athen sperren. Sie demonstrieren seit mehr als 20 Tagen täglich vor dem Parlament und beschimpfen die Politiker des Landes als „Diebe und Verräter“.
(abendblatt.de/dpa/rtr)