EZB warnt vor der Staatsschuldenkrise. Sie sei die größte Gefahr für das Finanzsystem. Pakete zur Rettung sollen erhöht werden.
Brüssel/Amsterdam. Griechenland versinkt im Chaos und die EU ringt um ein Hilfspaket. Derweil übert sich die Europäische Zentralbank einen Umgang mit zukünftigen Hilfspaketen. EZB-Ratsmitglied Nout Wellink möchte, dass Hilfen aus dem künftigen Euro-Rettungsprogramm ESM nach Mehrheitsentscheid und nicht auf Basis der Zustimmung aller Mitgliedsländer fließen. Die bisherige Reglung könne zu Blockaden aufgrund politischer Interessen einzelner Staaten führen, warnte der Chef der niederländischen Notenbank. In einer Krise verfielen Politiker und Länder darauf, ihre eigene Interessen zu verteidigen. Das Ziel der Europäischen Union müsse es allerdings sein. die Interessen der Allgemeinheit zu vertreten. „Es ist nicht hinnehmbar, dass Europa strauchelt, weil ein Land sagt, ’wir kooperieren nicht’“, sagte Wellink, der im kommenden Monat seinen Posten bei der niederländischen und bei der Europäischen Zentralbank (EZB) abgibt.
Ausserdem hält Wellink wegen der Griechenland-Krise eine Verdoppelung des europäischen Rettungsfonds auf 1,5 Billionen Euro für erforderlich. Dies sei nötig, wenn es zu einer Beteiligung privater Investoren an einem neuen Hilfspaket für Griechenland kommen solle, sagte Wellink der niederländischen Zeitung „Het Financieele Dagblad“ von Donnerstag. Außerdem bringe ein weiteres Rettungsprogramm viele Unsicherheiten mit sich. So könnten Irland und Portugal dem Beispiel Griechenlands folgen. Diese Ansteckungsrisiken müssten berücksichtigt werden, forderte der niederländische Notenbankchef. „Wenn Sie diese Risiken betrachten, müssen Sie ein Sicherheitsnetz aufbauen“, argumentierte Wellink. „Es sollte sich auf 1500 Milliarden Euro belaufen, und es sollte mehr Flexibilität geben, wie das Geld ausgegeben werden kann.“ Nach Bekanntwerden von Wellinks Äußerungen fiel der Euro auf ein Drei-Wochen-Tief von 1,4113 Dollar.
Die EZB sieht in der schwelenden Staatsschuldenkrise die größte Gefahr für Europas Finanzsystem. Die Finanzkrise ist noch lange nicht ausgestanden, heißt es. Zwar hätten die Banken ihre Kapitalpolster vergrößert. und sind im Falle künftiger Einbrüche wesentlich stabiler, berichtet die EZB in ihrem veröffentlichten Sollte sich allerdings die Schuldenkrise zuspitzten, könnten die Banken jederzeit erneut in Mitleidenschaft gezogen werden.
EZB-Vize-Präsident Vitor Constancio warnte erneut vor einer privaten Beteiligung von Banken und Versicherungen an den Milliardenhilfen für Griechenland, wenn Ratingagenturen diese als Zwang bewerten könnten: „Jede Lösung muss in der Art freiwillig sein, dass eine Staatsinsolvenz oder eine Bewertung als Zahlungsausfall vermieden wird.“ Bisher seien die Ansteckungsgefahren aus Sicht der Märkte auf Griechenland, Irland und Portugal begrenzt. Im Falle einer Staatspleite könne dies nicht mehr garantiert werden. Insgesamt bleibt die Lage im Bankensektor trotz der anziehenden globalen Konjunktur und niedriger Zinsen angespannt, sagte Constancio. Sorgen bereiten den Notenbankern vor allem die Ansteckungsgefahren, die von den klammen öffentlichen Haushalten auf die Finanzmärkte übergreifen könnten. „30 Prozent der Bankenschulden müssen 2011 und 2012 refinanziert werden. Das kann die Banken vor ernste Probleme stellen, die keinen freien Zugang zu den Märkten haben.“
Diese Institute hängen derzeit vor allem am Tropf der EZB. Sollten Ratingagenturen eine private Beteiligung an der Rettung Griechenlands als Staatspleite (Default) bewerten, dürfte die Notenbank griechische Papiere nicht mehr als Sicherheiten für Refinanzierungskredite der Banken akzeptieren. In welchem Umfang die EZB griechische Staatsanleihe in den Büchern hat, wollte Constancio nicht sagen. Der EZB-Vize betonte, dass die Banken ihre Kapitaldecke seit 2007 massiv ausgebaut hätten. Tiefere Einsichten über die Belastungsfähigkeit der Institute verspricht sich die EZB von den aktuellen Bankenstresstests.Constancio bemängelte, dass die Europäische Union und die nationalen Regierungen nicht genügend gegen überbordende Defizite der Euroländer getan hätten. Die EZB verlangt seit Jahren, dass EU-Länder automatisch bestraft werden, wenn sie die im Maastrichtvertrag festgelegte Defizitgrenze von 3,0 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) reißen. Bisher gab es zwar eine Reihe von Strafverfahren, aber keine Sanktionen.
(abendblatt.de/Reuters/dpa)