Zwei Siemens-Manager aus Kuwait festgenommen. Staatsanwaltschaft bestätigt Bestechungsvorwürfe. Insider: Fall hat keine weiteren Auswirkungen.

München. Ein neuer Korruptionsfall erschüttert Siemens. Die Financial Times berichtet, dass die Münchener Staatsanwaltschaft zwei in Kuwait tätige Siemens-Manager aufgrund von Bestechungsvorwürfen festgenommen hat. Gegen einen dritten Mitarbeiter liegt ein Haftbefehl vor. In München bestätigte die Staatsanwalt den Bericht. „Es stimmt, dass es bei Siemens neue Ermittlungsverfahren gibt“, sagte Oberstaatsanwältin Barbara Stockinger. „Dabei ist es zu Haftbefehlen und Verhaftungen gekommen.“

Zwar sind weitere Details noch nicht bekannt, doch kam der Anstoß für die Untersuchung vom Siemens- Konzern selbst. "Wir haben den Fall selbst aufgedeckt, die Behörden eingeschaltet und disziplinarische Maßnahmen getroffen.“ Die Münchener Staatsanwaltschaft bestätigte die Aussage. Der Fall sei ein Beleg, dass die Antikorruptionsarbeit bei Siemens nach der großen Korruptionsaffäre funktioniere. „Einzelfälle lassen sich nie ausschließen, systematisches Fehlverhalten schon.“. Erst 2008 geriet das Münchner Unternehmen in den Fokus der Behörden. Im Rahmen einer Schmiergeldaffäre versickerten in den Jahren 2000 bis 2006 1,4 Milliarden Euro in dubiose Kanäle. Als Folge beschäftigt der Konzern heute weltweit mehrere hundert Juristen, um dubiose Geschäfte und Rechtsverstöße aufzuspüren. Dass die Ermittler hin und wieder kleine Verstöße aufdecken, ist Insidern zufolge nicht überraschend. Auch beim Münchner Nachbarn MAN, der seine Compliance-Abteilung nach einer Korruptionsaffäre ebenfalls aufgestockt hatte, waren kürzlich Manipulationen beim Verkauf von Schiffsmotoren ans Licht gekommen. Der Industriegase-Konzern Linde wandte sich ebenfalls an die Staatsanwaltschaft, weil Mitarbeiter möglicherweise geschmiert haben, um an Aufträge zu kommen.

Ein Siemens-Insider sagte, es handle sich um einen vergleichsweise kleinen Fall. „Auf das Geschäft und Ergebnis von Siemens wird das keinerlei Auswirkungen haben.“ Auch an der Börse, wo die Siemens-Aktie nach einem Bericht der „Financial Times Deutschland“ über den Korruptionsfall vor Handelsstart etwas unter Druck stand, spielte der Fall keine große Rolle. Die Siemens-Aktie lag mit 0,4 Prozent wie der Gesamtmarkt leicht im Minus.

Nachfolgend eine Chronologie der Korruptionsaffäre bei Siemens:

– November 2006: Die Münchener Staatsanwaltschaft lässt nach ersten Hinweisen auf ein weitverzweigtes Korruptionssystem innerhalb des Siemens-Konzerns rund 30 Wohnungen und Büros von zum Teil hochrangigen Mitarbeitern durchsuchen. Sie sollen Bestechungsgelder an potenzielle Auftraggeber gezahlt haben. Kurz darauf werden Vorwürfe laut, denen zufolge auch die Konzernspitze von dem Korruptionssystem gewusst hatte.

– Dezember 2006: Die Siemens-Führung räumt die jahrelange Korruption im Konzern offen ein und erklärt, dass 420 Millionen Euro in dubiose ausländische Kanäle geflossen seien. Der im September ausgeschiedene Siemens-Vorstand Thomas Ganswindt und weitere teilweise hochrangige Mitarbeiter werden in Untersuchungshaft genommen.

– Februar 2007: Die Nürnberger Staatsanwaltschaft ermittelt wegen jahrelanger Millionenzahlungen von Siemens an den früheren Chef der Alternativgewerkschaft AUB, Wilhelm Schelsky. Es ist von Schmiergeldern in Höhe von bis zu 34 Millionen Euro die Rede.

Eine Chronologie des Betrug-Skandals:

März 2007: Mit Siemens-Europa-Chef Johannes Feldmayer wird der erste aktive Konzernvorstand vorübergehend festgenommen.
April 2007: Der Aufsichtsratschef von Siemens, Heinrich von Pierer, erklärt wegen des Korruptionsskandals seinen Rücktritt.
Mai 2007 : Im ersten Strafverfahren im Zusammenhang mit dem Korruptionsskandal verurteilt das Darmstädter Landgericht zwei ehemalige Siemens-Manager wegen der Bestechung ausländischer Kunden zu Bewährungsstrafen.
Juli 2007: Peter Löscher übernimmt den Siemens-Vorstandsvorsitz von Klaus Kleinfeld. Er erklärt die Korruptionsbekämpfung im Unternehmen zur obersten Priorität.
November 2007: Die Korruptionsaffäre nimmt immer größere Dimensionen an. Bei internen Untersuchungen stoßen Prüfer auf dubiose Zahlungen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro.
Januar 2008: Staatsanwälte rund um den Globus beschäftigen sich mit dem Korruptionssystem bei Siemens. In Italien, Griechenland, Ungarn, Norwegen, Russland, China und der Schweiz wird gegen Mitarbeiter des Unternehmens ermittelt.
August 2008: Berichte über mögliche Schmiergeldzahlungen an die frühere argentinische Regierung unter Präsident Carlos Menem werden bekannt. Siemens hatte 1998 den Auftrag für den Aufbau und den Betrieb eines elektronischen Systems für Grenzkontrollen und digitale Personalausweise erhalten. Berichten zufolge waren dem damaligen Regierungschef Menem 4,4 Millionen Dollar gezahlt worden seien.
November 2008: Siemens stockt seine Anti-Korruptionsabteilung auf 520 Mitarbeiter auf. Die Experten sollen systematisches Fehlverhalten innerhalb des Konzerns verhindern.
November 2008: Das Landgericht Nürnberg-Fürth verurteilt Schelsky zu viereinhalb Jahren Haft und Feldmayer zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe.
Dezember 2008: Siemens muss wegen der Korruptionsaffäre ein Bußgeld von 395 Millionen Euro an die bayerische Staatskasse sowie eine Strafe von rund 800 Millionen Dollar (rund 600 Millionen Euro) an die US-Börsenaufsicht SEC zahlen.
Juni 2009: Der frühere Chef der griechischen Landesgesellschaft von Siemens wird in Bayern verhaftet. Die griechischen Behörden werfen ihm und sechs weiteren ehemaligen Siemens-Managern Korruption und Geldwäsche im Zusammenhang mit einem Vertrag mit der größten griechischen Telekommunikationsgesellschaft OTE in den 1990er Jahren vor.
September 2009: Siemens erklärt die Korruptionsaffäre für beendet. Der Konzern habe sich in den drei Jahren seit Bekanntwerden der schwarzen Kassen fundamental erneuert und wolle nun gemeinsam mit Konkurrenten sowie unabhängigen Prüfern erneute Bestechungsfälle verhindern, teilt das Unternehmen mit.
Mai 2010: Wegen Geldwäsche im Zusammenhang mit dem Siemens-Bestechungsskandal wird in Griechenland der frühere Verkehrsminister Tassos Mantelis angeklagt.
Mai 2011: Das Korruptionsverfahren gegen den ehemaligen Siemens-Vorstand Thomas Ganswindt vor dem Münchener Landgericht wird gegen die Zahlung von 175.000 Euro eingestellt. Er war wegen vorsätzlicher Verletzung der Aufsichtspflicht in Betrieben und Unternehmen angeklagt worden. Während der Beweisaufnahme stellte sich nach Auffassung des Gerichts seine Schuld als geringer heraus als ursprünglich angenommen.

(abendblatt.de/dapd)