Es soll das größte Öko-Energieprojekt der Geschichte werden: Für 400 Milliarden Euro wollen europäische Konzerne Strom in Nordafrika produzieren – aus Sonnenkraft. Nun hat Siemens in Spanien mit dem Probelauf begonnen und ein sogenanntes solarthermisches Kraftwerk errichtet. Es soll Siemens zur Macht werden lassen.
Spanien steckt zwar in der tiefsten Wirtschaftskrise der letzten Jahrzehnte, doch eines geht den Iberern niemals aus: das Sonnenlicht. Das Geschäft mit den Sonnenstunden auf der Iberischen Halbinsel hat jetzt auch der deutsche Siemens-Konzern entdeckt und baut gerade sein erstes solarthermisches Kraftwerk in Lebrija, einem Dorf knapp 80 Kilometer südlich von Sevilla. Bis vor kurzem wuchs hier noch Baumwolle. Doch nun ist der Fortschritt auch im strukturschwachen Andalusien angekommen, ehemalige Erntearbeiter installieren jetzt lange Reihen von riesigen parabelförmigen Spiegeln. "Um möglichst viel Licht einzufangen gehen die insgesamt 6048 Parabolen immer mit der Sonne", erläutert Projektleiter Moshe Shtamper. "Trotz ihrer riesigen Oberfläche sind sie imstande, sich über den Tag bis auf ein Zehntel Grad exakt auf den Stand der Sonne auszurichten".
Moshe kommt von der israelischen Firma Solel Solar Systems (SSS), die die Spiegel liefert, die in der Negev-Wüste erprobt wurden. Siemens hat Solel vor einem halben Jahr übernommen, jetzt arbeitet Moshe für die Deutschen. Mit dem Zukauf kann Siemens nun aus einer Hand schlüsselfertige Projekte anbieten: mit Solarfeld, Kraftwerksblock und Dampfturbine. Im Januar 2011 geht das neue Kraftwerk ans Netz und kann 50.000 spanische Haushalte versorgen. Es könnten mehr sein, doch durch die strengen Vorgaben bei der Einspeisevergütung in Spanien muss die Leistung des neuen Solarkraftwerks auf 50 Megawatt beschränkt bleiben.
Ganze 300 Mio. Euro hat sich der Münchner Konzern das Projekt in Spanien kosten lassen und dabei vor allem ein Ziel vor Augen: Man will seine Kompetenz beim Geschäftsfeld der Zukunft, nämlich Solarstrom in der Wüste herzustellen, schon mal in Andalusien unter Beweis stellen.
Denn in den Schubläden liegen die Pläne für das multinationale Desertec-Projekt, mit dem Sonnenstrom aus der Sahara nach Europa geleitet werden soll. Im Jahr 2050, so hoffen die Initiatoren, soll Strom aus solarthermischen Kraftwerken in Nordafrika und Mittleren Osten bis zu 15 Prozent des europäischen Strombedarfs decken und ganz nebenbei die wachsende Bevölkerung vor Ort mit einer stabilen Energieversorgung beglücken. Siemens ist Gründungsgesellschafter der Desertec Foundation, die von der Bundesregierung und der EU unterstützt wird. Schließlich soll der emissionsfreie Strom eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Klimawandel spielen. Mit von der Partie bei Desertec sind auch die Deutsche Bank, Munich Re und die Stromanbieter RWE, E.on, Solar Millenium und viele weitere Partner. Das gigantische Solarprojekt, so die Hoffnung, die alle eint, soll eines Tages Milliardenaufträge bringen.
Wenn es um Desertec geht, gerät Bernd Utz, bei Siemens Technologiechef für erneuerbare Energien und Projektleiter für Desertec ins Schwärmen. "Mit dem Strom aus der Wüste wird saubere Energie zur Realität". Denn in Nordafrika herrschen noch viel günstigere Bedingungen für Sonnenstrom als in Südspanien, die überschüssige Energie könnte über sogenannte Stromautobahnen nach Europa geleitet werden. Siemens liefert auch die Netztechnik und ist führend auf dem Gebiet der effizienten Überführung von großen Mengen elektrischer Energie über weite Strecken.
"Die Sonne ist eine Energiequelle mit gigantischem Potenzial. Im Prinzip würde ein kleiner Teil der Wüsten, etwa eine Fläche so groß wie Österreich, ausreichen, um den globalen Energiebedarf zu sichern", so Utz. In zwei bis drei Jahren soll der Finanzrahmen für das Desertec-Projekt stehen, erklärt Utz zuversichtlich. Mehr als hundert Unternehmen hätten ihr Interesse für Desertec signalisiert. Nun geht es darum, das Geld zusammenzubringen. Auf 400 Mrd. Euro veranschlagt das deutsche Institut für Luft- und Raumfahrt (DLR) die Kosten des Projekts, 50 Mrd. fallen für die Stromübertragung an, der Rest auf die Kraftwerke.
Wenn die Finanzierung erst einmal steht, soll mit den Regierungen von Marokko, Algerien, Tunesien und Ägypten geredet werden. Allerdings sieht auch der Siemens-Manager das ambitionierte Projekt inzwischen etwas nüchterner. Als vor knapp einem Jahr der Startschuss fiel, hieß es, dass bereits 2020 ein großer Teil des Energiebedarfs aus Europa mit Strom aus der Sahara gedeckt würde. Das wird ein Wunschtraum bleiben. "Wir wissen noch nicht einmal, in welchem Land welche Anlage entsteht, das muss mit vielen Regierungen abgesprochen werden und da gibt es kollidierende Interessen", so Utz. Hinzu kommt, dass die wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede in der Region groß sind, was es dem Terrornetzwerk al Qaida ermöglichte, in Nordafrika einen schlagkräftigen Ableger zu gründen.
Bis der Startschuss in Afrika fällt, bleibt den Münchnern reichlich Zeit für ihre anderen 500 Solarprojekte rund um den Globus. Auch in Spanien will man sich weiter engagieren. Auf dem Tisch liegen bereits die Pläne für den Bau von Lebrija II und Lebrija III. Derweil liefert Siemens auch Komponenten wie etwa Dampfturbinen an andere deutsche Unternehmen, etwa Solar Millenium. Die Firma hat in der Nähe von Granada ebenfalls ein solarthermisches Kraftwerk gebaut.
Siemens will in der Solartechnik die Nummer eins auf dem Weltmarkt werden. "Die Nachfrage nach Sonnenstrom wird in den nächsten Jahren dramatisch wachsen", sagt Réné Umlauft, Chef der Sparte Erneuerbare Energien bei Siemens. Bis 2020 werden im Geschäft mit der Sonnenenergie 22 Mrd. Euro umgesetzt werden. Bei der Windenergie hat Siemens in den letzten zehn Jahren den Umsatz verzehnfacht und ist inzwischen Marktführer im Offshore-Bereich. Umlauft erklärt kämpferisch: "Diese Erfolgstory wollen wir mit der Sonnenenergie wiederholen."