Die fehlerhaften Überweisungen kosteten den Staat jährlich fast 16 Millionen Euro. In den Griff bekommen hat das Problem bisher niemand.
Athen/Berlin. Es ist ein ordentliches Zubrot für die eine oder andere griechische Familie: Die Verwaltung in Athen zahlt weiterhin Renten an rund 4500 verstorbene Pensionäre - dies hat die Regierung eingeräumt. Die fehlerhaften Überweisungen kosteten den Staat jährlich fast 16 Millionen Euro, sagte die griechische Arbeitsministerin Louka Katseli der Athener Zeitung „Ta Nea“ am Montag. Die Ministerin erklärte, ihre Behörde nehme jetzt alle 9000 der Fälle „unter die Lupe“, bei denen Menschen über 100 noch Rente kassieren.
Das eigentlich Unvorstellbare an der Situation: Das Problem ist der chaotischen Verwaltung des krisengeplagten Landes schon seit fast einem Jahr bekannt - in den Griff bekommen hat sie es bisher aber nicht. Bereits im August 2010 hatte der Vizeminister für Arbeit und Soziales, Giorgos Koutroumanis, der Athener Presse versichert, der Staat werde juristisch gegen alle vorgehen, die „vergessen hätten“, den Tod ihrer Verwandten zu melden.
Schon damals ergab eine genauere Untersuchung, dass in mindestens 320 Fällen Rente an Bankkonten gezahlt wurde, auf denen gar keine Transaktionen mehr stattfinden, oder die seit Jahren nur noch von Kindern oder anderen Bevollmächtigten genutzt wurden.
In Deutschland ist die Empörung über den Fall groß: „Die Tatsache der Rentenzahlung an über 4500 verstorbene Bedienstete ist ein neues Detail des unglaublichen Skandals griechischer Regegierungspolitik und Misswirtschaft“, sagte der Präsident des CDU-Wirtschaftsrats, Kurt Lauk, „Handelsblatt Online“. Sie sei ein überzeugender Beweis dafür, „wie dringend es ist, die griechischen Finanzen bis in jeden Winkel auf den Prüfstand zu stellen, bevor auch nur ein Cent bereitgestellt wird.“ Ankündigungen Athens reichten nicht.
Für den Finanzexperten der FDP-Bundestagsfraktion, Frank Schäffler, zeigt der Renten-Skandal, dass Griechenland vor tiefgreifenden Änderungen steht: „Haftung und Verantwortung müssen in Europa wieder zusammengehören“, sagte Schäffler „Handelsblatt Online“.
Der Grünen-Finanzexperte Gerhard Schick nannte es dagegen ein gutes Zeichen, dass der griechische Staat vorhandene Missstände nun aufdecke und abzustellen versuche. „Fehl am Platz wäre jedenfalls jede Form von Überheblichkeit“, sagte Schick. „Abgabenbetrug zu Lasten der Ehrlichen gibt es auch in Deutschland und anderen Teilen der EU“.
Die Entscheidung über neue Griechenland-Kredite soll sich unterdessen verzögern. Die Eurozone entscheidet wahrscheinlich später als geplant über das zweite Hilfspaket für Griechenland. Es gebe derart viele ungelöste Probleme, dass die Finanzminister das neue Kreditpaket voraussichtlich doch noch nicht am 20. Juni beschließen könnten, sagte ein hochrangiger EU-Beamter dem «Handelsblatt» (Dienstagausgabe). So stoße die geplante Finanzierung des neuen Kreditpakets aus dem Euro-Rettungsfonds EFSF auf unerwartet große Schwierigkeiten im Euro-Staat Slowakei. Das Land ist an den laufenden bilateralen Krediten der Eurozone für Griechenland in Höhe von insgesamt 110 Milliarden Euro nicht beteiligt. Falls das neue Kreditprogramm auf den EFSF übertragen wird, wäre die Slowakei künftig dabei. Deshalb weigere sich die Regierung in Bratislawa, Kredite für Griechenland über den EFSF laufen zu lassen.
Deutschland besteht seinerseits darauf, den EFSF dafür zu nutzen. Denn dann bliebe der Bundesregierung die heikle Abstimmung im Bundestag über das nächste Hilfspaket für Griechenland erspart.
Widerstand gibt es dem Bericht zufolge auch aus Großbritannien. Das neue Kreditpaket solle nämlich nicht nur aus dem Euro-Rettungsfonds EFSF finanziert werden. Auch die verbliebenen Mittel von elf Milliarden Euro im EFSM-Fonds der EU-Kommission sollen dafür mobilisiert werden.
Papandreou bemüht sich um Unterstützung
Der griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou hat sich am Montag in seinem Kabinett um Unterstützung für neue Sparpläne bemüht. Der Regierungschef kam am Nachmittag mit Kabinettsministern zu einem informellen Treffen zusammen. Es war das erste in einer Reihe von Treffen, bei denen er für die geplanten Sparmaßnahmen werben wollte, die Voraussetzung für weitere Hilfe aus dem milliardenschweren Rettungspaket aus IWF und EU sind.
Papandreou sollte am Dienstag die Sparpläne Vertretern seiner regierenden sozialistischen Partei vorstellen, ehe das Kabinett am Mittwoch über die Weiterleitung des Sparvorhabens an das Parlament entscheidet.
Die neuen Sparpläne für das hoch verschuldete Griechenland sehen Maßnahmen im Wert von 6,4 Milliarden in diesem Jahr vor, sowie ein Sparprogramm, das zwischen 2012 und 2015 umgesetzt werden soll. Das Vorhaben ist selbst in den Reihen der regierenden Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (PASOK) auf Kritik gestoßen. Vergangene Woche hatten 16 Vertreter der Partei einen Brief unterschrieben, in dem eine ausführliche Debatte über die Sparmaßnahmen gefordert wurde, ehe diese ratifiziert werden.
Einer der Politiker, die das Dokument unterschrieben, drohte damit, nicht für das Sparpaket zu stimmen. Die PASOK verfügt im 300 Mitglieder umfassenden Parlament lediglich über eine Mehrheit von sechs Sitzen.
Widerstand im Bundestag gegen Athen-Hilfen wächst
Kanzlerin Angela Merkel muss um die Zustimmung ihrer schwarz-gelben Koalition zur neuen Griechenland-Rettung zittern. In den Bundestagsfraktionen von Union und FDP wird gewarnt, dass Athen zu einem Milliarden-Fass ohne Boden werden könnte. Am Mittwoch wird CDU-Chefin Merkel den Fraktionen direkt nach ihrer USA-Reise persönlich ihr Krisenmanagement erklären müssen.
Schwarz-Gelb hat im Bundestag einen Vorsprung von 19 Mandaten vor der Opposition. Nach Angaben aus Koalitionskreisen könnten allein 15 FDP-Abgeordnete den Griechenland-Kurs der Regierung ablehnen. Auch bei der Union werden Abweichler erwartet.
Die FDP knüpft ihre Zustimmung an harte Auflagen. „Klar ist, dass wir erkennen müssen, dass Griechenland Anstrengungen zeigt. Das ist uns als FDP besonders wichtig und ein Gebot der Vernunft“, sagte FDP-Chef Philipp Rösler der Nachrichtenagentur dpa.
Zur Frage, ob notfalls ein Austritt Athens aus der Euro-Gruppe eine Option sei, erklärte der Wirtschaftsminister: „Unser Ziel ist es, zu einer vernünftigen Stabilisierung zu kommen.“
Am Freitag soll im Bundestag ein gemeinsamer Antrag von Union und FDP zur Euro-Rettung beschlossen werden. Das Papier ist als Wegweiser für die Beratungen des nächsten EU-Gipfels am 23. und 24. Juni in Brüssel gedacht.
Union und FDP wollen vor allem eine stärkere Beteiligung privater Gläubiger wie Banken durchsetzen. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle sagte in Berlin: „Ich halte die Beteiligung des privaten Sektors für sehr wichtig.“ Der Bundeshaushalt dürfe nicht zum „Selbstbedienungsladen anderer Länder“ werden.
Die Regierung hofft, am Mittwoch klarer zu sehen. Dann soll der Prüfbericht von Internationalem Währungsfonds, Europäischer Zentralbank und EU-Kommission über den Pleitekandidaten Griechenland vorliegen. Bis dahin sei jede Diskussion über Eventualmaßnahmen nicht sinnvoll, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.
Auch Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) pocht vor weiteren Zusagen an Athen auf eine Beteiligung privater Gläubiger an Hilfsprogrammen für Athen. Es geht hier um einen freiwilligen Rettungsbeitrag etwa von Banken und Pensionsfonds.
Der CDU-Haushaltsexperte Klaus-Peter Willsch kündigte in der „Mitteldeutschen Zeitung“ an, er werde neuen Hilfen nicht zustimmen. Die Datenlage aus Athen sei eine Zumutung: „Das ist unterirdisch.“