Immer mehr Hamburger zeigen sich selbst wegen Steuerhinterziehung an und entgehen so oft einer Strafe. Doch die Gesetze werden ab Mai verschärft.
Hamburg. Olaf Dahlmann hat schon einige gestandene Männer weinen sehen, seltener Frauen. Doch die Hosen herunterlassen, eine Lebensbeichte ablegen und reinen Tisch machen müssen sie alle - um wieder eine weiße Weste zu bekommen. Olaf Dahlmann, 54 Jahre, ist Fachanwalt für Steuerrecht und für diejenigen, die, manchmal über Jahre, ihr Geld in den einschlägigen Steueroasen wie etwa der Schweiz oder Liechtenstein an der Staatskasse vorbei vermehrt haben, häufig so was wie der letzte Strohhalm. Eigentlich müsste es ja heißen: den ehemaligen Steueroasen.
Die Zeiten für Steuerhinterzieher sind rau geworden. Nicht nur, weil alle Bundesländer ihre Steuerfahndungsstellen personell kräftig aufgestockt haben, sondern vor allem deswegen, weil von Zeit zu Zeit immer mal wieder geheimnisvolle Daten-CDs auftauchen, die den Steuerfahndern häufig umständliches Ermitteln ersparen und bis dato unbescholtene, honorige Besserverdiener zu Straftätern mutieren lassen. Und spätestens seitdem der ehemalige Postchef Klaus Zumwinkel medienwirksam von einer Staatsanwältin aus seinem Haus geführt wurde, gilt auch die alte Stammtischparole nicht mehr: "... und die Großen lässt man laufen!" Ganz im Gegenteil.
Die Angst der Steuersünder vor drakonischen Strafen ist sicherlich berechtigt. Steuerhinterziehung sei nun mal kein Kavaliersdelikt mehr, obwohl sie bei vielen nach wie vor als ein solches angesehen werde, sagt Dahlmann, lehnt sich in seinem ledernen Chefsessel zurück und lässt den Blick aus seinem Bürofenster in der vierten Etage des Zippelhauses über die Speicherstadt schweifen. Seit 1988 tummelt sich der Hamburger Rechtsanwalt bevorzugt im verflochtenen Dschungel der Steuerparagrafen. Im Laufe seiner Berufsjahre will Dahlmann festgestellt haben, dass die Hamburger Richter durchschnittlich härtere Urteile fällen als ihre Kollegen in Schleswig-Holstein und Niedersachsen.
+++ Info: Tipps zur Selbstanzeige +++
Die Zahl der (unfreiwillig) reuigen Steuersünder in der Hansestadt hat sich binnen eines Jahres mehr als verdreifacht. Das sind diejenigen, die mit einer Selbstanzeige die Flucht nach vorne antreten und so auf Straffreiheit hoffen. Weit über 500 solcher "Geständnisse" sind derzeit bei der Hamburger Oberfinanzdirektion in Bearbeitung, im Jahr 2009 waren es noch 189, in den Jahren davor jeweils unter 100.
Wahrscheinlich gehörten die Geschwister B. aus dem Westen Hamburgs, Ingrid, 49, und ihr Bruder Bernd, 47, zu den ersten Hanseaten, die sich wegen verkaufter Schweizer Bank- und Steuergeheimnisse zum ebenso schmerzhaften wie auch befreienden Schritt der Selbstanzeige entschlossen. "Dabei wollten unsere Eltern wie so viele Eltern nur, dass wir Kinder es einmal besser haben sollten", erzählt Ingrid, die als Studienrätin an einem schleswig-holsteinischen Gymnasium arbeitet. Ihr Bruder Bernd ist Mitinhaber einer Spedition im Hafen. Vor sieben Jahren, am Heiligabend 2004 hatte ihr Vater, damals 77 Jahre alt, ein ehemaliger Kaufmann, seinen beiden Kindern 600 000 Euro in bar unter den Tannenbaum gelegt. Das großzügige Geschenk war mit der "Bitte" verbunden, es "unversteuert" bei der Credit Suisse anzulegen. Immerhin handelte es sich ja um "Schwarzeinnahmen" aus diversen Exportgeschäften in den 1980er-Jahren. Aber das sollten (und wollten) die Geschwister überhaupt nicht wissen.
Der Geldkoffer, den er aus Liechtenstein geholt hatte, wurde von seinen Kindern wunschgemäß in die Schweiz geschmuggelt. Im betagten Kleinwagen, um nicht aufzufallen. "An der Grenze haben wir ganz schön geschwitzt", erinnert sich Bernd, "aber die Zöllner winkten uns durch." Das vorgezogene Erbe legten sie in Wertpapieren und Aktien an. Die Deklarierung der Kapitaleinkünfte und Gewinne aus Aktiengeschäften fiel in den Steuererklärungen der Geschwister freilich fünf Jahre lang unter den Tisch. Der Steuerschaden: 20 000 bis 30 000 Euro pro Jahr. Als plötzlich die Existenz einer angekauften CD mit Kontodaten von Credit-Suisse-Kunden bekannt wurde, bekamen die Geschwister kalte Füße und zeigten sich im Frühjahr des vergangenen Jahres selbst wegen Steuerhinterziehung an.
Da jedoch auch die Herkunft des Geldes geklärt werden musste, gab es ein Problem: Die zehnjährige Verjährungsfrist für ihre Eltern war noch nicht eingetreten. Die wollten natürlich keine Selbstanzeige abgeben, da sie nun Steuern plus Zinsen für die Jahre 1999 bis 2009 hätten nachzahlen müssen; für ein Vermögen, das sie ihren Kindern inzwischen geschenkt hatten. Aber durch die Selbstanzeige der Geschwister saß nun die ganze Familie gezwungenermaßen in einem Boot. Am Ende mussten die Geschwister Ingrid und Bernd B. jeweils 100 000 Euro Steuern nachzahlen, ihre Eltern rund 130 000 Euro, was sie jedoch nur durch ein Darlehen ihrer Kinder schafften - da sie ihr Vermögen ja bereits verschenkt hatten. Immerhin gingen die B.s straffrei aus, doch die einstige Familienharmonie hat tiefe Risse bekommen.
Seit dem Auftauchen der ersten Daten-CD aus Liechtenstein verzeichnen die Finanzämter schon mehr als 1,4 Milliarden Euro an unverhofften Steuereinnahmen. In den kommenden Jahren dürften es wohl noch ein paar Milliarden mehr werden.
"Für alle Steuersünder tickt die Uhr jetzt immer schneller", sagt Rechtsanwalt Dahlmann und verweist auf die verschärfte Systematik der Abgabenordnung (§ 371), die die steuerliche Selbstanzeige gesetzlich regelt. Mitte März hatte der Bundestag eine Novellierung dieser Verordnung beschlossen, und bei der vorgesehenen abschließenden Beratung im Bundesrat am 15. April sind nach Ansicht der meisten Steuerexperten keine Änderungen mehr zu erwarten. So wird die neue Abgabenverordnung voraussichtlich Anfang Mai mit der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt in Kraft treten.
Bisher hießt es: "Wer (...) unrichtige oder unvollständige Angaben bei der Finanzbehörde berichtigt oder ergänzt oder unterlassene Angaben nachholt, wird insoweit straffrei." Die novellierte Fassung unterscheidet sich auf den ersten Blick kaum von der alten: "Wegen Steuerhinterziehung nach § 370 wird nicht bestraft, wer gegenüber der Finanzbehörde zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt." Aber eben nur auf den ersten Blick, so der Rechtsanwalt, "denn die strafbefreiende Selbstanzeige muss jetzt vollständig sein, sonst ist sie unwirksam". So würde aus der Selbstanzeige ein klassisches Eigentor. Darüber hinaus sei die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige zukünftig an schärfere Bedingungen geknüpft. Straffreiheit tritt demnach schon dann nicht mehr ein, wenn "vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung dem Steuerpflichtigen eine Betriebsprüfung angekündigt wurde".
Das bedeutet für Steuersünder, dass sie in Zukunft nicht mehr wie bisher noch rasch die Flucht nach vorne antreten können, wenn die Prüfer auf dem Parkplatz aus dem Auto steigen. Außerdem müssen sie sämtliche Vermögenswerte und Konten angeben. Bislang entgingen sie auch durch scheibchenweise vorgetragene Geständnisse einem Steuerstrafverfahren. "Jetzt kann sogar ein versehentlich übersehenes Sparbuch oder Konto dazu führen, dass die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige nachträglich wieder wegfällt", warnt Olaf Dahlmann.
Vor allem aber sollte man die zu entrichtenden Steuern nebst den sechs Prozent Zinsen pro Jahr, die der Fiskus nachfordert, auch besitzen. Denn länger als vier Wochen warten die Finanzämter für gewöhnlich nicht auf die fällige Nachzahlung. Ansonsten komme es zu einem Strafverfahren mit Insolvenzverfahren, so Dahlmann. "Die ganz Ausgebufften melden ihre Insolvenz vorzugsweise in den Niederlanden oder in Großbritannien an. Wer nachweisen kann, dass er in einem dieser beiden Länder seinen Wohnsitz hat, benötigt dann höchstens ein Jahr, um wieder sauber dazustehen. Allerdings verlangen darauf spezialisierte Anwälte für ihre Dienstleistung sehr hohe Honorare." Für besonders schwere Fälle von Steuerhinterziehung hat der Gesetzgeber jedoch noch eine weitere, neue Bedingung an die strafbefreiende Selbstanzeige geknüpft: So soll bei Steuerhinterziehungen von über 50 000 Euro pro Jahr und Steuerart künftig ein Zuschlag von fünf Prozent auf die hinterzogenen Steuern erhoben werden, um die Strafverfolgung abzuwehren (§ 398a).
Der Versicherungsmakler Yannis V. entschied sich nicht zuletzt wegen dieser zu erwartenden verschärften Gesetzeslage im letzten Moment zu einer Selbstanzeige. Der 55 Jahre alte Mann hatte seit dem Jahr 2001 insgesamt rund 1,5 Millionen Euro bei mehreren Schweizer Banken sowie einem Institut in Singapur unversteuert angelegt. Das Geld stammte aus Provisionen, die von den Abteilungsleitern mehrerer Versicherungsunternehmen für die Vermittlung von großvolumigen Verträgen direkt auf seine Auslandskonten überwiesen wurden. "Dieser Fall zeigt exemplarisch, wie wichtig es ist, stets alle Beteiligten in das Selbstanzeigeverfahren zu involvieren", sagt Dahlmann. "Wir mussten die entsprechenden Anzeigen aller Abteilungsleiter zeitlich und inhaltlich abstimmen. Hätten wir einen Alleingang angetreten, wären die Versicherungsleute wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung dran gewesen und mein Mandant hätte seine sämtlichen Geschäftskontakte verloren."
Yannis V. konnte davon ausgehen, dass seine Kontodaten - zumindest diejenigen der Credit Suisse - durch den umstrittenen Ankauf der Daten-CD auch bei der Hamburger Steuerfahndung vorlagen. Und wenn die Steuerfahndung erst mal die Fährte aufgenommen hat, kann es richtig unangenehm werden. Der schwergewichtige Mann, sichtlich ein Genussmensch, war in der Lage gewesen, sich freizukaufen. Er habe zwar mächtig bluten müssen, sagt er, doch dafür könne er wieder ruhig schlafen. Außerdem habe er auf diese Weise auch das Überspringen der "Fünf-Prozent-Hürde" vermieden, die nach Ansicht der Rechtsexperten der Bundesregierung dazu beiträgt, dass der "Grundsatz der Strafbefreiung bei einer steuerlichen Selbstanzeige" erhalten bleiben kann.
Die Oppositionsparteien, besonders Sozialdemokraten und Linke, hatten hierin eine Privilegierung der Besserverdienenden vermutet, die zum Teil die Steuerhinterziehung als Geschäftsmodell genutzt hätten. Während der Debatte im Bundestag Mitte März forderten sie die gänzliche Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige, auch um eine Zwei-Klassen-Steuersündergesellschaft zu vermeiden. "Mit dem neuen Gesetz wird es Taktierereien mit der strafbefreienden Selbstanzeige künftig nicht mehr geben. Dies stärkt die Steuergerechtigkeit und macht unmissverständlich klar, dass sich Steuerhinterziehung nicht lohnt", widersprach der finanzpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Klaus-Peter Flosbach. Da die Kapitalertragssteuer in der Schweiz mittlerweile fünf Prozentpunkte über dem deutschen Satz liegt und die Zinsen für Festgeld im Durchschnitt niedriger sind, mag diese Ansicht sogar in doppeltem Sinne zutreffen.
Parteiübergreifend, wenn auch nur hinter vorgehaltener Hand, ist man sich in den Finanzministerien von Bund und Ländern, von links bis rechts, längst darüber einig, dass die steuerliche Selbstanzeige ein probates Mittel sei, um verloren geglaubte Steuereinnahmen zu generieren. "Das hat in jüngster Zeit allerdings nur deshalb so gut funktioniert, weil durch die anonymen Informanten und dem Ankauf der entsprechenden Daten sehr viel Unruhe bei den Steuerhinterziehern hervorgerufen wurde", sagt Olaf Dahlmann. Inzwischen vermute er wie viele seiner Kollegen, dass allein schon die bloße Ankündigung eines Finanzministeriums über eine neue Daten-CD einen neuen Schwung Selbstanzeigen auszulösen vermag. "Vielleicht", orakelt der Anwalt und lächelt versonnen, "hat es einige dieser Daten-CDs ja niemals gegeben."