Arbeitgeber und Gewerkschaften fürchten durch die Beschlüsse zu Hartz IV ein Milliardendefizit und steigende Beiträge zur Arbeitslosenversicherung.

Arbeitgeber und Gewerkschaften warnen vor Milliardendefiziten bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) durch die Hartz-IV-Reform. "Für die Beitragszahler zur Arbeitslosenversicherung haben die Hartz-IV-Beschlüsse milliardenschwere Belastungen zur Folge", sagte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt "Welt Online". "Damit droht der Bundesagentur für Arbeit ein dauerhaftes Defizit", fürchtet Hundt. DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach warf der Bundesregierung "einen unverantwortlichen Raubbau an der Arbeitslosenversicherung" vor. Die Bundesagentur für Arbeit werde in eine Schuldenfalle getrieben, die zwangsläufig zu Kürzungen für Arbeitslose oder aber Beitragserhöhungen führen werde. Es sei in keiner Weise vertretbar, "dass die Beitragszahler und die Arbeitslosen die Zeche zahlen müssen für einen jämmerlichen Hartz-IV-Kompromiss, den die Koalition bei den Kommunen erkauft hat", protestierte Buntenbach, die auch im Verwaltungsrat der BA sitzt.

Um die Zustimmung der SPD-geführten Länder im Bundesrat zur Hartz-IV-Reform zu bekommen, hatte die Bundesregierung den Kommunen versprochen, sie künftig von den Kosten für die Grundsicherung im Alter zu entlasten. Das Geld dafür holt sie sich bei der Bundesagentur in Nürnberg wieder: "Der Bundesagentur für Arbeit werden vier Milliarden Euro aus der Mehrwertsteuer entzogen, die ausschließlich der Beitragssenkung dienten", kritisiert Hundt. Die große Koalition hatte die Mehrwertsteuer 2005 um drei Prozentpunkte erhöht. Die Einnahmen aus einem Prozentpunkt gingen damals an die Bundesagentur für Arbeit, die so ihren Beitragssatz senken und Rücklagen von 17 Milliarden Euro aufbauen konnte.

Einen halben Prozentpunkt nimmt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) den Arbeitsagenturen wieder weg. Bis 2015 rechnet die Bundesagentur deshalb jetzt mit einem Defizit von fast zehn Milliarden Euro. Allein in diesem Jahr wird ein Fehlbetrag von fünf Milliarden Euro erwartet, der durch ein Darlehen des Bundes gedeckt werden soll. Im nächsten Jahr rechnen die Nürnberger mit einem Minus von 2,2 Milliarden Euro, in den beiden darauffolgenden Jahren kommen pro Jahr rund eine Milliarden Euro hinzu.

Schäuble ist optimistischer als die Bundesagentur - obwohl die Berechnung in beiden Fällen auf derselben Konjunkturprognose beruht. Der Finanzminister erwartet, dass die Nürnberger schon 2012 damit anfangen können, ihr Darlehen zurückzuzahlen. "Angesichts rückläufiger Arbeitslosenzahlen und höherer Erwerbsbeteiligung wird die BA im Jahr 2012 einen positiven Finanzierungssaldo aufweisen; sie kann daher mit der Rückzahlung des ihr im Jahr 2011 gewährten Darlehens beginnen", heißt es in den Eckwerten des Haushaltes 2012. Bei "strukturellen Einsparungen" könne die BA das Darlehen bis zum Jahr 2015 vollständig getilgt haben.

Hundt warnte davor, den Beitragssatz wieder zu erhöhen. Dies werde zulasten von Wirtschaftswachstum und Beschäftigung gehen. Die Erhöhung des Beitragssatzes um einen halben Prozentpunkt würde im Jahr vier Mrd. Euro in die Kassen der Arbeitsagenturen spülen. Hundt sieht dagegen die Politik in der Pflicht, "durch Strukturreformen in der Arbeitslosenversicherung eine Gegenfinanzierung sicherzustellen. "Gute Vorschläge dafür liegen seit Jahren auf dem Tisch."

So fordern die Arbeitgeber unter anderem, die Zahlung des Arbeitslosengeldes auf einheitlich zwölf Monate zu begrenzen. So könnten 1,5 Milliarden Euro im Jahr gespart werden. Ältere Arbeitslose können heute maximal 24 Monate lang Unterstützung beziehen. Mit einer Kürzung der Bezugsdauer für die Älteren könne man zugleich Anreize zur Frühverrentung abbauen, argumentieren die Arbeitgeber. Eine weitere halbe Mrd. könnte gespart werden, wenn geförderte Weiterbildungszeiten eins zu eins auf den Arbeitslosengeldbezug angerechnet werden. Bislang fallen nur drei Monate Arbeitslosengeldbezug weg, wenn der Arbeitslose eine Weiterbildung von sechs Monaten absolviert. Sparpotenzial sehen die Arbeitgeber auch durch eine Konzentration und eine Vereinfachung der Arbeitsmarktinstrumente auf nachweislich wirksame Förderansätze. Dies hat sich auch die Koalition im Rahmen ihres Sparpakets vorgenommen.

Besonders erbost über den erneuten Griff in die Kasse der Arbeitslosenversicherung sind Arbeitgeber und Gewerkschaften, weil sich der Finanzminister bereits seit Jahren fünf Milliarden Euro als "Eingliederungsbeitrag" aus dem BA-Haushalt abzweigt. Buntenbach und die Arbeitgeberseite halten dies für verfassungsrechtlich unzulässig und haben gegen den Eingliederungsbeitrag geklagt.

Quelle: Welt Online