Pieter Wasmuth, Chef von Vattenfall Hamburg, über alte Feindbilder, neue Marktstrategien sowie eine notwendige Revision der Ökostromförderung.
Hamburg. Der schwedische Energiekonzern Vattenfall ist in Hamburg der größte Stromversorger. Obwohl die Verbraucher insgesamt unter 160 Anbietern wählen können, liegt der Marktanteil von Vattenfall bei 82 Prozent. Nach langen politischen Auseinandersetzungen baut das Unternehmen aktuell das neue Kohlekraftwerk Moorburg in der Hansestadt. Der Ausbau der Fernwärmeleitungen ist unterdessen weiterhin umstritten.
Pieter Wasmuth steht seit Oktober als neuer Generalbevollmächtigter an der Spitze von Vattenfall Hamburg und Norddeutschland. Zuvor war der 44-jährige Manager für den Windkraftanlagenbauer Repower tätig. Das Abendblatt sprach mit Wasmuth über die geplante Erhöhung der Ökostromabgabe nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und die aktuelle Energiepolitik in Hamburg.
Hamburger Abendblatt:
Herr Wasmuth, Sie kommen von einem kleinen Windenergieunternehmen und sind nun Generalbevollmächtigter von Vattenfall - wie weh tut da der Liebesentzug?
Pieter Wasmuth:
Davon habe ich noch nichts bemerkt. Im Gegenteil, ich spüre ein großes Interesse am Thema Energie.
In Hamburg kommt man von Vattenfall auch schnell zum Widerstand. Man will weder das Kohlekraftwerk Moorburg noch die Kernkraftwerke, noch die Leitungen, die Strom oder Wärme transportieren.
Wasmuth:
Aber man erwartet jederzeit den Strom aus der Steckdose.
So, wie man Moorburg nicht will.
Wasmuth:
Ein solches Projekt wird ja nicht ohne klaren Konsens gestartet. Und den gab es bis zum Jahr 2007 mit der Stadt. Damals entschlossen wir uns, Moorburg zu bauen. Nach den Bürgerschaftswahlen hat sich die Lage plötzlich verändert, aber für uns gab es angesichts der schon getätigten Investitionen kein Zurück mehr. Moorburg wird eines der effizientesten und saubersten Kohlekraftwerke der Welt. Wenn deswegen ein anderes Kraftwerk vom Netz geht, wird der CO2-Ausstoß verringert.
Zum Beispiel durch die Abschaltung des Kraftwerks in Wedel?
Wasmuth:
Ja, wenn wir Wedel vom Netz nehmen könnten, würde dies eine CO2-Reduktion von rund 450 000 Tonnen pro Jahr ergeben. Doch das zählt offenbar nicht. Weil Moorburg auf dem Gebiet der Stadt steht und Wedel nicht, wird aus Hamburger Sicht nur der CO2-Ausstoß von Moorburg berücksichtigt. Doch das ist eine gefährliche Sichtweise. Wir können doch nicht das globale Klima retten, indem wir virtuelle Grenzen ziehen.
Gibt es wegen Moorburg noch Differenzen mit der Stadt?
Wasmuth:
Nein, mit dem Bau des Hybridkühlturms erfüllen wir alle Auflagen der Stadt. Auch welche wie die Verkleidung von Teilen der Fassade mit Klinkern. Streng genommen müsste mal geprüft werden, wie viel CO2 durch die Brennung von Klinkerziegeln entsteht, die nicht sein müssten.
Wird Moorburg die Stadt künftig auch mit Fernwärme versorgen können?
Wasmuth:
Diese Frage ist wegen des benötigten Leitungsbaus noch offen.
Weil die Baumbesetzer kommen?
Wasmuth:
Ja, die kommen aber nur, weil die Stadt die Leitungen nicht unter der Straße, sondern durch Parks verlegen lassen wollte. Inzwischen gibt es aber die Diskussion, ob man die Fernwärmeversorgung Hamburgs durch Moorburg überhaupt noch möchte. Für den Betrieb unseres Kraftwerks ist dies aber nicht entscheidend.
Fühlen Sie sich wegen Moorburg und der Gründung des neuen städtischen Versorgers Hamburg Energie eigentlich durch die Stadt gemobbt?
Wasmuth:
Das ist das falsche Wort. Ich glaube, dass man ein Unternehmen, das seit mehr als 100 Jahren zu einer Stadt gehört, nicht mobben kann. 1997 hat der rot-grüne Senat aus Haushaltsgründen den Verkauf der HEW beschlossen. Jetzt gibt es eine andere Sicht. Einzelne Stimmen in der Stadt - auch in der Politik - fordern, man solle die Großen aus der Stadt treiben, weil es die Bösen sind - besonders wenn es sich um Energieversorger handelt. Ich halte diese Tendenz aber nicht für repräsentativ. Wir verstehen, dass sich die Sicht verändert hat, und wollen uns konstruktiv mit der Stadt auseinandersetzen. Aber die Rolle eines Schmuddelkindes werden wir nicht übernehmen.
Setzen Sie nun auf Deeskalation? Zuletzt hat Vattenfall mit juristischen Mitteln versucht, die Stadt und die Bundesrepublik unter Druck zu setzen.
Wasmuth:
Es ist immer die Frage von Ursache und Wirkung. Bei diesem Verfahren hat das schwedische Staatsunternehmen den deutschen Staat wegen Moorburg verklagt. Aber es gab eine Vorgeschichte. Vattenfall war und ist nicht streitsüchtig, uns liegt der Konsens mit der Stadt am Herzen.
Ist die Zusammenarbeit mit dem neuen Bürgermeister Ahlhaus eigentlich leichter geworden?
Wasmuth:
Ich glaube nicht, dass man das ausschließlich an der Person des Ersten Bürgermeisters festmachen sollte. Die harte rechtliche Auseinandersetzung hat wohl dazu beigetragen, dass beide Seiten einsehen, dass man miteinander klarkommen muss. Insofern stellen wir eine konstruktivere Atmosphäre fest und die wollen wir nutzen.
Welche drei Wünsche haben Sie an die Stadt?
Wasmuth:
Ein klarer Wunsch ist, dass wechselseitig ein Geben und Nehmen akzeptiert wird. Zweitens wünsche ich mir noch mehr Transparenz darüber, wohin wir in Hamburg wollen. Drittens sollte man Vattenfall und anderen Großen nicht per se unterstellen, rückwärtsgewandte Unternehmen zu sein, die nicht in der Lage sind, sich weiterzuentwickeln.
Welchen Marktanteil strebt Vattenfall in Hamburg an? Sind vor dem Hintergrund, dass es immer noch eine Bewegung hin zu neuen Anbietern gibt, gut 80 Prozent wie heute noch realistisch?
Wasmuth:
Wir haben aktuell einen Anteil von 82 Prozent. Aber die Frage muss man von der anderen Seite betrachten. Es gibt 160 Anbieter in Hamburg, bei denen Sie Strom kaufen können. Dennoch gibt es nur eine relativ geringe Bandbreite bei den Preisen. Der Wettbewerb ist also da, und er macht mir keine Angst. Der Anteil der Hamburger Kunden, die wegen Boni oder anderen Vorteilen öfter wechseln, liegt bei 20 bis 25 Prozent. Aber es gibt keine singuläre Abwanderungswelle von Vattenfall weg.
Macht Ihnen der städtische Anbieter Hamburg Energie Angst?
Wasmuth:
Nein. Fraglich ist auch, ob Hamburg Energie seine Kunden auf Dauer betriebswirtschaftlich sinnvoll versorgen kann. Im Moment macht Hamburg Energie Verluste, die die Stadt subventioniert. Am Ende kommt der Bürger dafür auf. Meine Erwartung wäre, dass Hamburg Energie nach einem bestimmten Zeitraum transparent profitabel wird. Denn sonst müsste man sich fragen, ob Hamburg einen 160. Stromanbieter braucht oder nicht schon 159 reichen.
In der Stadt droht Ihnen schon wieder neues Ungemach: Hamburg erwägt, die Konzession für die Strom- und Gasnetze nach 2014 nicht mehr an Vattenfall und E.on Hanse zu vergeben. Was bedeutet dies für Vattenfall?
Wasmuth:
Die Frage, wer ein Netz betreibt, spielt heute eigentlich keine Rolle mehr. Denn das Netz ist komplett vom Regulierer kontrolliert, selbst die Entgelte für die Netznutzung sind festgelegt. Jeder Betreiber, ob wir oder andere, muss jedem neuen Anbieter den diskriminierungsfreien Netzzutritt gewähren. Deshalb stellt sich für mich eher die Frage, was die Stadt mit dem Netz anfangen will.
Warum hat Vattenfall vor Kurzem sein Übertragungsnetz in Deutschland an andere Betreiber verkauft?
Wasmuth:
Weil dies politisch gewollt war. Auch E.on hat sein Höchstspannungsnetz verkauft. Ich hätte es besser gefunden, wenn man in Deutschland eine Netz AG mit Beteiligung des Staates gegründet hätte. Zwar bin ich grundsätzlich kein Fan von Staatsbeteiligungen, aber weil wir an einer neuen Struktur der Energieversorgung arbeiten, halte ich es für einen schweren Fehler, dass die Infrastruktur dafür vom Staat aus der Hand gegeben wurde. Unser Käufer ist eine belgische Pensionskasse. Und wenn es jetzt um den Netzausbau in Deutschland geht, muss sich der Regulierer mit einem Investor unterhalten, dessen Hauptanliegen sichere Renditen für seine Mitglieder sind.
Die Abgaben zur Förderung der erneuerbaren Energien, also die EEG-Abgaben, sollen im nächsten Jahr um 3,5 Cent je Kilowattstunde Strom steigen. Werden sich deshalb auch die Strompreise in Hamburg erhöhen?
Wasmuth:
Jeder Anbieter muss sich natürlich die Frage stellen, ob er die EEG-Abgabe über seine eigene Kostenkalkulation ganz oder teilweise kompensieren kann. Und das wird nicht immer gelingen. Deshalb müssen sich die Kunden auf steigende Preise einstellen. Die EEG-Förderung ist ein fester Mechanismus. Je mehr regenerative Energie erzeugt wird, umso höher steigt die Abgabe. Wir als Versorger sammeln die Abgabe nur ein und geben sie weiter.
Wie viele Jahre werden wir noch wegen der EEG-Abgabe höhere Strompreise bezahlen müssen?
Wasmuth:
Natürlich sehe auch ich die Gefahr, die das EEG auf der Erzeugerseite darstellt. Zu Beginn der Förderung war es richtig, Erbauern von Anlagen eine 20 Jahre andauernde Vergütung für jede Kilowattstunde Strom zu garantieren. Ohne diese Unterstützung wären die erneuerbaren Energien nicht so gut vorangekommen. Aber inzwischen birgt die 20-jährige Garantie eine Gefahr. Denn mit zunehmenden Erzeugungskapazitäten baut sich eine irrsinnige Welle an Kosten auf, die auf uns zurollt. Zweitens wird heute mehr Strom produziert, als ins Netz eingespeist werden kann. Deshalb muss das EEG dringend angepasst werden, damit nur noch Mengen, die auch ins Netz kommen, bei der Vergütung berücksichtigt werden. Im Hinblick auf die großen neu entstandenen Fotovoltaikanlagen in Deutschland ist dies notwendig. Wenn dies nicht passiert, wird das EEG eine immer stärker steigernde Auswirkung auf den Strompreis haben.