Sie wurde gefeuert wegen Unterschlagung von 1,30 Euro, vor Gericht siegte sie und ist nun wieder zu ihrem Arbeitgeber zurückgekehrt.
Berlin. Der erste Arbeitstag. "Frühstück, Kaffee, wie immer", sagt Emmely. Um zehn Uhr soll sie da sein, sie kommt lieber um halb zehn. Die stellvertretende Marktleitung ist da und der Distriktmanager. Sie zeigen Emmely ihren neuen Arbeitsplatz: Vorn, beim Eingang, stehen Obst und Gemüse, hinten die Fleisch- und Käsetheke. Ganz links, vor der Kasse, die Süßigkeiten. Die Kasse funktioniert wie früher, auch die Treueherzchen gibt es noch. Emmely kann anfangen. Nach zwei Jahren und vier Monaten Arbeitslosigkeit. An diesem Tag im Juli sitzt Emmely an Kasse 2 des Kaiser's-Supermarkts im Lindencenter Berlin-Hohenschönhausen. "Hallo", sagt sie zu jedem Kunden. Und: "Sammeln Sie Treueherzchen?" Sie trägt ein weißes Hemd, eine braune Schürze und ein schwarzes Halstuch - die Dienstkleidung bei Kaiser's, die Uniformität symbolisieren soll. Wir sind ein Team. Doch Kaiser's wollte Emmely in diesem Team nicht dabeihaben.
Emmely wurde nach mehr als 30 Jahren Betriebszugehörigkeit entlassen, weil sie zwei Pfandbons im Wert von 1,30 Euro eingelöst hat. Die Manager von Kaiser's sagten, dass Emmely Kundenbons entwendet und illegal eingelöst hätte. Emmely sagte, die Bons gehörten ihr. Vor einem Monat hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass Emmely ihren Job zurückbekommen soll. Zwar habe ein schwerwiegender Vertragsverstoß vorgelegen, das Vertrauen des Arbeitgebers könne jedoch dadurch nicht "aufgezehrt" worden sein. Auch sei der entstandene Schaden gering. Emmely konnte zurück an die Kasse. Ende Juni fing sie wieder an.
Ihre Kollegen arbeiten still vor sich hin. Zu Emmely äußern wollen sie sich nicht. Die Marktleiterin verweist auf die Konzernpressestelle, alle sind für Emmelys Rückkehr instruiert worden. Die Kaiser's-Anwältin hatte nach dem Prozess gesagt, dass keiner der Kollegen Emmely wieder bei Kaiser's haben wolle. Emmely kehrt deshalb nicht in ihre frühere Filiale zurück, sondern in eine andere. Ursprünglich hatte ihr Kaiser's eine Filiale angeboten, die eine Stunde von ihrer Wohnung entfernt liegt. Mithilfe ihres Anwalts bekam sie dann doch einen Laden direkt um die Ecke.
"Ich gebe den Kollegen keinen Anlass, dass sie über mich reden können", sagt Emmely. "Ich mache meine Arbeit." Es gebe aber durchaus Kollegen, die sie freundlich und höflich aufgenommen hätten, und die ihr zu verstehen gegeben hätten, dass sie Emmelys Kampf unterstützt haben. "Toll, dass du das gemacht hast", hätte einer gesagt.
Emmelys Kampf und Emmelys Sieg. In ihrer Zweizimmerwohnung, fünf Gehminuten vom Lindencenter entfernt, redet Emmely gern darüber. Sie trägt jetzt eine bequeme schwarze Hose, Badeschlappen und ein weißes T-Shirt. Ihre braunen Augen wirken ruhig, nicht mehr so gehetzt wie vor einem Monat im Erfurter Gerichtssaal. Die Wohnung ist vollgestopft mit Möbeln. Früher hatte sie eine helle Vierzimmerwohnung mit Blick bis zum Fernsehturm am Alexanderplatz. Als sie ihren Job verlor, musste sie in die kleinere Wohnung ziehen, mit Blick auf die Fassaden der Nachbarhäuser.
Emmely heißt eigentlich Barbara Emme. Aber schon zu DDR-Zeiten riefen sie alle nur Emmely. Sie wollte Porzellanmalerin werden, aber dafür war sie in Staatsbürgerkunde zu schlecht. So bewarb sie sich beim Handel, bekam einen Ausbildungsplatz. In Neubrandenburg lernte sie, 1976 zog sie nach Berlin. Man brauchte junge Leute, die drei Stadtbezirke mit aufbauen, hieß es. Einer dieser jungen Bezirke war Hohenschönhausen. Als die Wende kam, hatte sie drei Kinder - und Bedenken gegen die Wiedervereinigung. "Man hatte ja viel über den Kapitalismus gehört und wusste nicht, wie man damit umgehen würde. Wir hatten ja eine ganze Menge Sachen in der DDR, die wir heute vermissen", sagt sie. Mehr Miteinander, weniger Ellenbogen, keine Angst. Kaiser's kaufte die DDR-Handelskette HO. Es gab zu viele Filialen, einige mussten schließen. Emmely engagierte sich bei Ver.di, organisierte Streiks. Sie sagt, anfangs hätten noch mehrere Kollegen mitgestreikt, zum Schluss sei sie allein gewesen. Und unbeliebt bei ihren Chefs. Da sei die Sache mit den Pfandbons gerade recht gekommen.
Wenn man Emmely beim Erzählen zuhört, dann bekommt man den Eindruck, dass der Rauswurf ihr die Tür zu einem neuen Leben geöffnet hat. Sie zeigt auf elf Aktenordner, in denen sie alle Presseberichte über sich abgelegt hat. "Wenn mir das nicht passiert wäre, hätte ich das nicht alles erleben können." Sie holt ein Album hervor. Es ist das Poesie-Album des Protestes. Es beinhaltet Solidaritätsappelle aus aller Welt. "Beiß dich durch", steht da. "Gemeinsam sind wir stark", schrieb der Bundesverband der Migrantinnen. Sie hat ihren Terminkalender in das Album geklebt, Städtenamen stehen da. Überall dort haben Protestveranstaltungen stattgefunden, in vielen dieser Städte ist Emmely aufgetreten.
Sie ist zu einer Ikone geworden. Ihr Fall empörte viele, weil er auf dem Höhepunkt der Finanzkrise publik wurde. Ein Solidaritätskomitee konstituierte sich und lotste Emmely durch ihr neues Leben. Die Linkspartei unterstützte sie. Emmely ließ sich Presseberichte kommen über Arbeitnehmer, die geknebelt wurden. "Wenn man mitreden will, muss man sich informieren", sagt sie. Das nötige Vokabular hat sie auch schon drauf: "Andere verbraten die Kohle und bekommen Boni und sind dann einfach weg. Und unsereins darf sich gar nüscht zuschulden kommen lassen und ist Staatsfeind Nummer eins." Sogar nach Paris ist sie eingeladen worden. Da war sie vorher nie. Eine Künstlerin hatte für sie ein abstraktes Bild gemalt: "Befreit die Kassiererinnen" stand als Titel daneben. Emmely hat das Bild neben ihre Bahntickets und die Louvre-Eintrittskarte geklebt. Über der Seite steht "tour de france". "Ich werde oft gefragt, ob ich niedergeschlagen war. Dazu hatte ich keine Zeit. Ich habe das durch die Gespräche mit den Menschen aufgearbeitet", sagt sie. 2000 Menschen habe sie kennengelernt. Im vergangenen Jahr gab es nur 20 Tage ohne einen Termin.
Aber sie wollte ihren Job zurück. "Weil das mein Arbeitsplatz ist. Und weil mir die Arbeit Spaß macht." Woanders hätte sie nichts mehr bekommen. Weil sie jetzt 52 ist. Und unvermittelbar wegen Prominenz. Jetzt muss Kaiser's ihr Lohn nachzahlen und Urlaubsgeld.
Dass sich die Politiker an sie rangehängt haben, registriert Emmely. Noch viel besser findet sie, dass ihre alten Kunden sie nicht vergessen haben. Die Stammkunden aus der alten Filiale kommen jetzt in ihre neue Arbeitsstätte. "Ich seh mich nicht als Heldin, nicht als Star. Ich wollte nur mein Recht und meinen Arbeitsplatz haben, und das habe ich bekommen."
Emmely arbeitet 33 Stunden in der Woche, eine Schicht dauert sechseinhalb Stunden. Sie sitzt an der Kasse, räumt Produkte in Regale und sammelt leere Kartons ein. Sie verdient 1800 Euro brutto im Monat. Sie sagt, die körperliche Arbeit habe ihr gefehlt, auch mit der geistigen Arbeit sei sie "nicht zufrieden gewesen". Und wie fühlt es sich an, wieder bei dem Arbeitgeber zu arbeiten, der sie entlassen hat? Eigentlich ganz gut, sagt sie. "Ich habe mit Kaiser's kein Problem. Es sind nur einzelne Kollegen, die sich nicht korrekt verhalten."
Ein Buch will sie schreiben, über ihren Fall. 2011 will sie nach Venezuela reisen, zur Weltfrauenkonferenz. Und sie will ihre Berühmtheit nutzen, wenn es Demos gegen Bagatellkündigungen oder Hartz IV gibt. Emmely: "Ich glaube, das erwartet man auch von mir."