Wie groß ist der Anlegeranspruch auf Informationen? Der EuGH hat die Aktionärsrechte nun gestärkt. Fragen und Antworten im Überblick.

Frankfurt/Luxemburg. Börsennotierte Unternehmen in Europa müssen ihre Anleger früh über neue Zahlen und Ereignisse informieren. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat diese Pflicht nun nach einem jahrelangen Rechtsstreit zwischen Daimler und Aktionären mit einem Urtelil verschärft.

Was ist eine Ad-hoc-Mitteilung?

Das Wertpapierhandelsgesetz verpflichtet einen börsennotierten Konzern, „Insiderinformationen, die ihn unmittelbar betreffen, unverzüglich zu veröffentlichen“. Gemeint sind damit etwa Geschäftszahlen wie ein Gewinneinbruch, geplante Übernahmen/Fusionen oder personelle Veränderungen in Vorstand und Aufsichtsrat. Da solche Tatsachen den Aktienkurs beeinflussen können, sollen sie schnell bekanntwerden – in Form von Ad-hoc-, Pflicht- bzw. Börsenmitteilung. Das soll verhindern, dass Kenner der Materie die Informationen zu ihrem persönlichen Vorteil ausnutzen (Insiderhandel).

+++ Daimler-Prozess: EuGH-Urteil stärkt Rechte von Aktionären +++

+++ Schrempp-Rücktritt: Klage gegen Daimler +++

Gibt es Ausnahmen?

Ja. Nach EU-Recht (Artikel 3 der Richtlinie) darf ein Unternehmen auf eigene Verantwortung die Bekanntgabe einer Insiderinformation aufschieben, wenn eine frühzeitige Veröffentlichung seinen berechtigten Interessen schaden würde. Ein Beispiel sind laufende Verhandlungen über eine Sanierung oder eine Entscheidung der Geschäftsführung, die noch von einem anderen Organ gebilligt werden muss. In Deutschland ist dazu ein Beschluss des Managements nötig, den dieses der Finanzaufsicht Bafin anzeigen muss.

Wer kontrolliert die Veröffentlichungspflichten?

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) . Noch vor der Veröffentlichung muss das börsennotierte Unternehmen die Bafin informieren sowie die Geschäftsführung der Börsen, an denen die Aktien gehandelt werden. Die Börse kann gegebenenfalls vorübergehend den Handel mit der betroffenen Aktie aussetzen.

Was ändert das Urteil?

Die obersten EU-Richter weiten die Informationspflicht aus. Wenn eine Entscheidung in Zwischenschritten fällt, könnte die Pflicht zu einer Ad-hoc-Mitteilung schon vor dem endgültigen Beschluss bestehen. Das Unternehmen muss also kursrelevante Neuigkeiten noch früher öffentlich machen: Schon dann, wenn Entscheidungen noch reifen.

Was heißt das in der Praxis?

Der Europäische Gerichtshof urteilte im Fall Daimler: Im Mai 2005 hatte der damalige Chef des Autoriesen, Jürgen Schrempp, mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Hilmar Kopper erörtert, dass er aus dem Job ausscheiden wolle. Nach und nach erfuhren weitere Daimler- Führungsmitglieder von den Rücktrittsabsichten. Die Öffentlichkeit wurde aber erst im Juli informiert. Zu spät, befanden die Richter. Nun muss der Bundesgerichtshof entscheiden, ob der Kläger, der sich schlecht informiert fühlte, in diesem Fall Schadenersatz bekommt.

Was ändert sich für Aktionäre?

Sie können auf mehr Klarheit hoffen. „Mehr Transparenz ist immer gut – vor allem für Kleinaktionäre, die in der Informationskette immer ganz hinten stehen“, sagt Anwalt Klaus Nieding, Vizepräsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) . „Grundsätzlich sollte das Urteil zu mehr Rechtssicherheit führen und so zu weniger Klagen, weil Aktionäre rechtzeitig etwas mitbekommen.“

Was befürchten Unternehmen?

Kritiker bemängeln, die Folgen für Vorstände von börsennotierten Unternehmen könnten gravierend sein. Die Kriterien seien schwer greifbar, es drohten hohe Bußgelder und Haftungsfallen. Verhandlungen, die auf Diskretion angewiesen sind, seien in Gefahr.

Gibt es Schlupflöcher für Aktiengesellschaften?

Ja. In Zukunft könnten sich Aktiengesellschaften häufiger von der Veröffentlichungspflicht befreien, um keinen Schadenersatz zahlen zu müssen. Allerdings müssten sie dann dafür sorgen, dass ihr Geheimnis nicht nach außen dringt. Nach Ansicht von Aktienrechtlern gehen sie damit das Risiko ein, hinterher verklagt zu werden.

Wie bewerten das Aktionärsschützer?

DSW-Vertreter Klaus Nieding warnt: „Die große Befürchtung ist, dass die Ausnahme zur Regel wird. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Unternehmen sehr umfangreich von Ausnahmetatbeständen Gebrauch machen.“ Allerdings dürfe auch der Informationsdruck auf die Konzerne nicht zu groß werden: Auch Unternehmen bräuchten Rechtssicherheit und einen gewissen Ermessensspielraum, zu welchem Zeitpunkt in einem fließenden Prozess sie die Öffentlichkeit informierten.