ThyssenKrupp verkauft wichtige Unternehmensteile mit zigtausend Arbeitsplätzen. Auch Hamburg ist von dieser Maßnahme betroffen.
Hamburg. Es herrscht wieder Krisenstimmung im Ruhrgebiet. Mehr als 1500 Stahlwerker und Arbeiter aus anderen Industrieunternehmen will die Gewerkschaft IG Metall heute Mittag um "5 vor 12", so der Titel der Demonstration, auf dem Husemann-Platz im Zentrum von Bochum zusammenbringen. Grund ist der geplante Verkauf der Edelstahlsparte von ThyssenKrupp.
Gewerkschafter und Betriebsräte fürchten, dass in den beiden Werken des Konzerns in Bochum und Krefeld kurzfristig bis zu 1000 Arbeitsplätze verloren gehen könnten. Deutschlandweit stehen der Gewerkschaft zufolge bis zu 2500 Arbeitsplätze auf dem Spiel . "Jeder neue Eigentümer muss sichere Standorte und Arbeitsplätze garantieren", sagt Oliver Burkhard, der IG-Metall-Bezirksvorsitzende von Nordrhein-Westfalen. "Wer Werke schließt, bekommt mit uns richtig Ärger."
Die Dimensionen sind nicht so dramatisch wie Anfang 1988, als die Stahlarbeiter von Krupp monatelang gegen die Schließung des Werkes Rheinhausen kämpften und am Ende verloren. Der Arbeitskampf damals erschütterte das Ruhrgebiet und rührte Deutschland. Er war einer der Höhepunkte einer zwei Jahrzehnte lang tobenden Branchenkrise, die in der deutschen Stahlindustrie Zehntausende Arbeitsplätze kostete. Eine der Folgen dieser Entwicklung war die Fusion von Thyssen und Krupp im Jahr 1999. Heute geht es um weniger Arbeitsplätze als Ende der 1980er-Jahre. Gleichwohl trifft die Krise bei ThyssenKrupp erneut das Herz der deutschen Stahlindustrie. Und die Erschütterungen reichen bis nach Hamburg und Norddeutschland.
Nach dem Zusammenschluss von Thyssen und Krupp spezialisierte sich der Essener Konzern auf die Produktion hochwertiger Stähle und auf Anlagen wie Fabrikausstattungen, Schiffe oder Aufzüge. Mitte des vergangenen Jahrzehnts machte ThyssenKrupp Rekordgewinne. Neue Stahlwerke in den USA und in Brasilien wurden gebaut. Auch die Technologiesparte wuchs. In Deutschland baute ThyssenKrupp den landesweit größten Werftverbund TKMS auf. Dazu gehörten Blohm + Voss in Hamburg, HDW in Kiel und die Nordseewerke in Emden, zudem Werften in Schweden und in Griechenland.
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Die Weltwirtschaftskrise seit 2008 traf ThyssenKrupp mit Wucht. Der Stahlbedarf ging rapide zurück, aber auch die Nachfrage nach Produkten wie Containerschiffen aus Emden. Von der Krise hat sich der Konzern längst nicht erholt. Weltweit wuchs in den vergangenen Jahren eine Überkapazität für die Produktion von Edelstahl. Obendrein erwiesen sich die Investitionen in die neuen Stahlwerke in den USA und besonders in Brasilien als Desaster. ThyssenKrupp verbuchte mehrere Milliarden Euro Aufwand an Mehrkosten für den Bau und an Wertabschreibungen für die Werke. Vor allem deshalb schloss der Konzern das zurückliegende Geschäftsjahr 2010/2011 mit rund 1,8 Milliarden Euro Verlust ab.
Um das Unternehmen zu entschulden und es neu auszurichten, will der Vorstand um den Vorsitzenden Heinrich Hiesinger Geschäftsteile mit etwa 35 000 Mitarbeitern und einem Umsatzvolumen von rund zehn Milliarden Euro verkaufen. Das entspricht jeweils etwa einem Fünftel der heutigen Konzerngröße. "Werkstoffe werden weiterhin eine wichtige Säule unseres Geschäfts bleiben, aber nur eine unter mehreren", sagte Hiesinger bei der Hauptversammlung des Konzerns vor einer Woche in Bochum. "Wir setzen in Zukunft noch stärker als bisher auf unsere Technologiebereiche. Aus weltweiten Trends wie Bevölkerungswachstum, Urbanisierung und Globalisierung ergeben sich insbesondere für unser Technologiegeschäft enorme Wachstumschancen, die wir nutzen werden."
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Für das Edelstahlgeschäft gibt es laut Hiesinger drei Möglichkeiten: einen Börsengang, eine Ausgliederung aus dem Konzern ohne Börsennotierung und einen mehrheitlichen Verkauf. Als besonders vielversprechend gilt derzeit ein Verkauf an den finnischen Stahlkonzern Outokumpu.
Auch der zivile Schiffbau soll nicht mehr zu ThyssenKrupp gehören. Lange hatte der Konzern am Aufbau einer schlagkräftigen Werftengruppe für den Bau von Handelschiffen und Yachten, aber auch Marineüberwasserschiffen und U-Booten gearbeitet. Doch die Wirtschaftskrise brachte das Konzept des integrierten Schiffbaus bei TKMS zu Fall. Die Nordseewerke in Emden wurden 2010 an den Stahlbauer Siag Schaaf verkauft, der dort jetzt Komponenten für Windkraftwerke an Land und auf See fertigt. Der zivile Schiffbau von Blohm + Voss in Hamburg soll in den kommenden Wochen endgültig an den britischen Finanzinvestor Star Capital Partners veräußert werden.
Im Konzern bleiben die Konstruktion von Überwasserkriegsschiffen bei Blohm + Voss Naval in Hamburg, die Entwicklung und der Bau von U-Booten bei HDW in Kiel sowie der Marineschiffbau bei Kockums in Schweden. "Wir mussten den Prozess bei TKMS schmerzlich begleiten", sagt Meinhard Geiken, Bezirksvorsitzender der IG Metall Küste in Hamburg. "Der Verkauf des zivilen Schiffbaus folgte einem kurzfristigen Kalkül. Mit einer vernünftigen langfristigen Strategie ist das aus unserer Sicht nicht zu vereinbaren."