Thomas Enders, der seit 2007 dem Flugzeughersteller Airbus vorsteht, wird gerne “Major Tom“ genannt. Im Interview mit WELT ONLINE sprach er über den defizitären Militärflieger A400M, das schlechte Verhältnis zwischen Zivil- und Rüstungsaufträgen sowie seine Hoffnung auf die Wachstumsregion Asien.

WELT ONLINE: Herr Enders, Airbus will das größte Rüstungsprojekt in Europa, den Militärtransporter A400M, angeblich stoppen, sollte nicht "innerhalb der nächsten Tage" eine Verhandlungslösung gefunden werden. Andererseits hört man, eine Einigung stehe unmittelbar bevor. Was stimmt nun? Ultimatum oder Einigung?

Thomas Enders: Weder noch. Die Positionen haben sich zwar angenähert und die Regierungen haben uns ein Angebot zur Kostenbeteiligung gemacht, aber es sind noch eine Reihe von für uns sehr wichtigen Fragen offen, die vor einer Einigung geklärt werden müssen. Und die Zeit drängt, denn wir brauchen Klarheit, nicht zuletzt für unseren Jahresabschluss 2009, aber vor allem für unsere Mitarbeiter und Partner im Programm. Die Ungewissheit über die A400M dauert schon zu lange an.

WELT ONLINE: Mit welchem Ergebnis rechnen Sie denn?

Enders: Mit einem, das für uns gerade noch akzeptabel ist. Machen wir uns nichts vor: Auch wenn wir jetzt eine Basis zur Fortsetzung des A400M-Programms finden - und da bin ich verhalten optimistisch - wird dieses Programm dennoch für viele Jahre eine erhebliche Belastung für Airbus darstellen.

WELT ONLINE: Welches sind die Knackpunkte bei der Suche nach einer Lösung, die unter anderem für Deutschlands Steuerzahler richtig teuer werden kann?

Enders: Wir haben im A400M-Programm ein Kostenproblem von vielen Milliarden Euro. Airbus hat hier schon erhebliche Summen reingeschossen, allein die Verlustrückstellungen betragen 2,4 Milliarden Euro. Wir sind auch bereit, weitere Belastungen zu tragen. Jetzt geht es jedoch darum, wie eine faire Aufteilung der Mehrkosten zwischen uns und den Bestellnationen aussieht.

WELT ONLINE: 2003 hat Airbus in einem Vertrag einen Fixpreis von 20 Milliarden Euro vereinbart. Nun soll das A400M-Programm schon 31 Milliarden Euro kosten. Warum ist ein unterschriebener Vertrag auf einmal nicht mehr bindend? Oder anders gefragt: Warum sollen die Steuerzahler für Ihre Fehler aufkommen?

Enders: Es ist richtig, dass die Industrie vor sieben Jahren Dinge versprochen hat, die, wie wir heute wissen, nicht realistisch waren. Es geht nun darum, eine für beide Seiten akzeptable Lösung zu finden. Denn Fehler haben nicht nur wir gemacht, Fehler gab es auf beiden Seiten. Ich darf als Beispiel nur daran erinnern, dass die Triebwerke gegen unseren Willen an ein Konsortium aus europäischen Firmen ging, rein aus industriepolitischen Gesichtspunkten. Diese Entscheidung allein hat zu mehr als einem Jahr Verzögerung geführt.

WELT ONLINE: Können Sie drei Gründe nennen, warum die Welt die A400M braucht?

Enders: Erstens: Die A400M ist ein Multifunktionsflugzeug, das sowohl für militärische Transporte, also auch für humanitäre Zwecke, als Rettungs- und Tankflugzeug eingesetzt werden kann. Für Einsätze wie in Haiti wäre der Flieger optimal. Zweitens: Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist nach wie vor überzeugend. So kostet die A400M im Vergleich zur Boeing C-17 nur die Hälfte, hat aber 75 Prozent der Ladekapazität. Der Vergleich zur C130J fällt noch krasser aus: Für 50 Prozent mehr Geld gibt es 250 Prozent Leistung. Drittens: Die A400M ist ein Beweis für Europas Fähigkeit, in der Hochtechnologie konkurrenzfähig zu sein - und sie hat durch ihre einzigartigen Fähigkeiten das Potenzial, ein europäischer Exportschlager zu werden.

WELT ONLINE: Sie haben das Lieblingsargument Arbeitsplätze vergessen.

Enders: Ich bin nicht derjenige, der mit Arbeitsplätzen wirbt. Dennoch, aktuell arbeiten in Europa 10.000 Menschen an der A400M, in der Hochlaufphase werden es 40.000 sein.

WELT ONLINE: Werden Sie das Ziel erreichen, drei Jahre nach Erstflug die erste Maschine auszuliefern?

Enders: Das ist der Plan - und das halte ich für realistisch. Wir werden erst die Serienproduktion aufnehmen, wenn die Testflüge einen ausreichenden Reifestand des Fliegers belegen. Wir wollen nicht die Fehler wie bei der A380 wiederholen. Da haben wir zu rasch mit der Serienproduktion begonnen, dann halb fertige Flieger in die Endmontage-Linie geschoben, die dann nachgebessert werden mussten - mit dem Ergebnis, dass die Endmontage heillos verstopft war.

WELT ONLINE: Welche Lehre ziehen Sie aus dem A400M-Desaster?

Enders: Wenn sich der Pulverdampf der A400M-Diskussion verzogen hat, sollten wir uns gemeinsam mit den Auftraggebern zusammensetzen und die Fehler analysieren. Ich habe bei Rüstungsbeschaffungen immer wieder beobachtet, dass beide Seiten bei Vertragsabschluss nicht wirklich ehrlich miteinander umgehen. Die Kunden pressen auf Teufel komm' raus noch das letzte Zugeständnis aus der Industrie. Und die akzeptiert Unmögliches, nur um einen Auftrag an Land zu ziehen - wohl wissend, dass sie damit enorme Risiken eingeht. Das kann nicht gut gehen.

WELT ONLINE: Plädieren Sie denn nun für eine neue Preisformel bei Rüstungsaufträgen?

Enders: Ich plädiere für mehr Ehrlichkeit und Offenheit von Anfang an. Festpreisverträge machen nur dort Sinn, wo die Entwicklungsrisiken begrenzt sind und die Industrie auf vorhandenen Produkten und Technologien aufbauen kann. Sie sind nicht vertretbar, wenn es um komplette Neuentwicklungen geht wie bei der A400M. Ich plädiere daher für vertragliche Vereinbarungen, die die Situation eines Projekts realistisch berücksichtigen: also Fixpreise für vorhandene Technologie - und sogenannte Cost-plus-Verträge, also Aufschläge auf den Basispreis, wenn es darum geht, technologisches Neuland zu betreten. Wir brauchen eine vernünftige Balance.

WELT ONLINE: Vor einem Jahr haben Sie Airbus Military ins Leben gerufen und damit die militärischen Transportflugzeuge von EADS unter das Airbus-Dach genommen. War das nicht ein Fehler angesichts der Probleme bei der A400M?

Enders: Nein. Die Entscheidung, Airbus Military zu gründen, war goldrichtig. Heute wissen wir: Das hätten wir schon früher machen sollen, aber da gab es eben auch erhebliche politische Widerstände. Die Integration der militärischen Transportersparte in Airbus war Voraussetzung für den großen Fortschritt im A400M-Programm, den wir in den letzten 12 Monaten erreicht haben. Ich sehe darüber hinaus erhebliche Synergien zwischen zivilen Plattformen und militärischen Anwendungen.

WELT ONLINE: Gefährden Sie damit nicht Ihr Zivilgeschäft? Das Geld, um die Verluste für die A400M zu tragen, spielen Ihre Verkehrsflugzeuge ein.

Enders: Das stimmt leider. EADS lebt ganz wesentlich von den Gewinnen aus dem zivilen Airbus-Geschäft. Boeing lebt dagegen eher vom militärischen Geschäft. Ich glaube, wir brauchen langfristig einen gesunden Mix aus zivilem und militärischem Geschäft, wie es beispielsweise bei Boeing der Fall ist. Eine Quersubventionierung vom zivilen ins militärische Geschäft, wie jetzt bei der A400M, muss die absolute Ausnahme bleiben. Auch deshalb setzen wir in den nächsten Jahren auf neues Geschäft mit Tankflugzeugen. Vor zehn Jahren wussten wir kaum, wie man das Wort "Tanker" buchstabiert. Heute stellen wir die leistungsfähigsten Tanker der Welt her.

WELT ONLINE: Sie sahen vor zwei Jahren bei einer Ausschreibung über 179 Tanker für die US-Luftwaffe schon wie der sichere Sieger aus. Nun wird die Ausschreibung nach Protesten Ihres US-Konkurrenten Boeing wiederholt. Rechnen Sie sich noch Chancen aus, den 35-Milliarden-Dollar-Auftrag zu gewinnen?

Enders: Wer den besten Flieger anbietet, hat die Luftwaffe ja schon vor zwei Jahren entschieden: wir! Nun erwarten wir die Neuausschreibung bis Ende Februar. Northrop Grumman und wir haben in den vergangenen Wochen den Vorentwurf gründlich analysiert und dem Pentagon Verbesserungsvorschläge unterbreitet. Der Entwurf jedenfalls war keine Grundlage für einen fairen Wettbewerb.

WELT ONLINE: Als Airbus-Chef müsste doch mitten in der Wirtschaftskrise die zivile Sparte Ihr Hauptaugenmerk fordern. Wie viel Zeit verbringen Sie aktuell mit militärischen Fragen?

Enders : Zurzeit sehr viel - aber das liegt an der A400M.

WELT ONLINE: Airbus verfolgt zurzeit nebeneinander drei gigantische Programme: den Riesenflieger A380, den Militärtransporter A400M und das Großraumflugzeug A350, das 2012 seinen Erstflug haben soll. Übernehmen Sie sich damit nicht?

Enders: Drei Programme parallel sind eine gewaltige Herausforderung für Airbus. Unsere Entwicklungsressourcen sind deshalb sehr angespannt. Wir müssen sehr darauf achten, unsere Kräfte und die unserer Partner nicht zu überdehnen. Entscheidend wichtig ist in diesem Jahr, dass wir unsere Entwicklungsmeilensteine beim neuen Langstreckenflieger A350 XWB erreichen, denn schon 2012 soll die A350 ihren Erstflug absolvieren. Wir liegen im Zeitplan, aber ohne große Puffer.

WELT ONLINE: Im vergangenen Jahr hatten Sie zehn Flugzeuge vom Typ A380 ausgeliefert. In diesem Jahr wollen Sie die Zahl verdoppeln. Ist das ein realistisches Ziel?

Enders: Wir wollen mindestens 20 schaffen. Das schrittweise Hochfahren der Produktion ist anspruchsvoll, aber machbar. Wir flankieren es mit einem von den Beschäftigten im A380-Programm weitgehend selbst entworfenen Verbesserungsprogramm.

WELT ONLINE: Sie waren kürzlich in China und auf der Singapore Air Show. Wird in Asien die Zukunft der Luftfahrtindustrie entschieden?

Enders: Der asiatische Markt hat dazu beigetragen, dass in der Wirtschaftskrise die negativen Effekte für unsere Industrie abgefedert wurden. In diesem Jahr werden wir ein Fünftel unserer Produktion nach China absetzen, das sind fast 100 Maschinen. Während Nordamerika und Europa relativ gesättigte Märkte sind, werden die Märkte Chinas und Indiens in den kommenden Jahrzehnten erheblich wachsen. Wir richten deshalb unser Augenmerk immer stärker auf Asien. Das wird auch daran deutlich, dass wir dort Industriekapazitäten aufbauen, etwa unsere Endmontage in China.

WELT ONLINE: Im Januar stieg weltweit das Passagieraufkommen um 3,2 Prozent. Ist die Krise vorüber?

Enders: Für den Luftfahrtmarkt werden 2010 und 2011 voraussichtlich schwierige Jahre werden. Eine deutliche Erholung dürfte es erst ab 2012 geben, was sich dann auch in wachsenden Neubestellungen zeigen wird. In diesem Jahr wollen wir die Produktion auf dem Vorjahresniveau halten, also bei etwas unter 500 Flugzeugen. 250 bis 300 Neuaufträge sollten hereinkommen. Airbus hat zum Glück einen sehr hohen Auftragsbestand, so dass wir uns diese Situation einige Zeit leisten können.

WELT ONLINE: Stehen nach Power 8 und Power 8plus neue Sparprogramme oder Stellenstreichungen ins Haus?

Enders: Wir befinden uns mitten in unserem Kostensenkungs- und Restrukturierungsprogramm Power 8. Allein im letzten Jahr haben wir rund zwei Milliarden Euro eingespart. Natürlich schauen wir ständig, wo weitere Kostensenkungen möglich sind.

WELT ONLINE: Es wird also kein Power 8plusplus geben?

Enders: Wir wollen Kostensenkung als Teil eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses gestalten. Aber mindestens so wichtig sind Effizienzsteigerungen in unseren Entwicklungsprogrammen. Das ist ganz klar ein Schwerpunkt meiner Arbeit.

Quelle: Welt Online