In seinem Gastbeitrag erklärt Friedhelm Steinberg, Präsident der Hanseatischen Wertpapierbörse Hamburg, wozu wir Aktien benötigen.
Hamburg. Aktien braucht man nicht. Eine Aussage, die auf den ersten Blick angesichts der aktuellen Kursrückgänge berechtigt erscheint; ist doch die Gefahr, mit Aktien Geld zu verlieren, wieder einmal Realität geworden. Aber sind wir nicht jeden Tag von diversen Gefahren umgeben?
Wir nutzen beispielsweise die Bahn, das Auto, das Flugzeug - und sind uns möglicher Gefahren dieser grundsätzlich sicheren Verkehrsmittel durchaus bewusst. Doch niemand käme auf die Idee, wegen des "Restrisikos" beispielsweise von Hamburg nach München zu Fuß zu gehen. Absolute Sicherheit gibt es eben nicht.gallery
Im übertragenen Sinne gilt dies auch für alle Geldanlagen. Wir sehen die Gefahren und unterschätzen die Chancen. Sollten wir unser Geld deshalb also nur auf dem Sparkonto oder in Bundesobligationen anlegen? Sicher nicht. Beides steht für weitgehende Sicherheit; aber nach Abzug der Steuern und der Inflationsrate wird der verbleibende Zinsertrag das Anlagekapital nur marginal erhöhen. Hohe Sicherheit hat also einen "hohen Preis".
Das Risiko von Kursverlusten bei einer Aktienanlage sollte uns daher nicht abschrecken. Vielmehr sollten wir die Risiken sondieren, um die Chancen der Aktie als einen Vermögensbaustein zu nutzen.
Vor dem Hintergrund der Kursexzesse der letzten Monate sowie der aktuellen Kursrückgänge werden Diskussionen um die Aktienanlage oft emotional geführt und verstellen den Blick für die Chancen der Aktie. Dabei sind Aktien keine neue "Erfindung". Erste Urkunden dieser Art stammen aus dem 13. Jahrhundert vom schwedischen Bergwerk Falun. Der Grundgedanke von Aktien war eher volkswirtschaftlicher Natur und diente in erster Linie der Finanzierung großer Projekte mit Eigenkapital, da die Investitionssummen von einer Person allein kaum noch aufzubringen waren. Bedeutende Entwicklungen (zum Beispiel der Eisenbahnbau) waren ohne Aktien kaum vorstellbar. Zudem konnte das mit einer derartigen Investition stets verbundene Risiko auf verschiedene Schultern verteilt werden. Und das Aktienkapital blieb unbefristet im Unternehmen, anders als beispielsweise bei einem Kredit. All das gilt bis heute.
Aktiengesellschaften sind aus dem Wirtschaftsleben der meisten Länder nicht mehr wegzudenken. Der volkswirtschaftliche Nutzen überwiegt bei Weitem das Risiko möglicher Kursrückgänge. Was damals vorwiegend Kaufleuten vorbehalten war, ist heute jedermann möglich.
Der eigentliche Charakter der Aktie - die längerfristige Bindung zwischen Unternehmen und Eigentümern - geriet in den vergangenen Jahren oft in Vergessenheit. Viele Marktteilnehmer sahen in Aktien vorrangig ein Instrument für die kurzfristige Gewinnmaximierung. Die unternehmerische Beteiligung spielte eine eher untergeordnete Rolle. Das ist bedauerlich, denn die Kursschwankungen der jüngsten Vergangenheit verschleiern leicht den Blick für die langfristigen Chancen einer Aktienanlage, die nach wie vor gut sind. Die jährlich vom Deutschen Aktieninstitut errechneten Aktienrenditen zeigen dies deutlich.
Um die Akzeptanz der Aktie in der Bevölkerung zu erhöhen, bedarf es dringend der Wiederherstellung von Vertrauen und Transparenz. Alle Marktteilnehmer müssen wieder lernen, die Aktie als eine Unternehmensbeteiligung zu begreifen, nicht als Objekt wilder Zockerei. Kaufmännische Grundsätze und ethische Prinzipen sind nicht altmodisch, sondern unbedingte Voraussetzung für den Handel mit Aktien.
Auch Politiker können durch klare Rahmenbedingungen die Aktien stärken. Die Abschaffung der Spekulationsfrist und die beabsichtigte Börsenumsatzsteuer sind in jedem Fall kontraproduktiv. Sie treffen auch den Privatanleger, für den die Aktienanlage bei der Altersvorsorge eine wichtige Rolle spielen sollte.
Auf den ersten Blick mögen die gesehenen Kursverluste erschrecken - und ja, sie können schmerzhaft sein. Auch erfordert die Aktienanlage viel Erfahrung - eigene oder fremde. Aber wenn alle Marktteilnehmer ihre Hausaufgaben machen und Anleger bei der Aktienanlage Vorsicht und Umsicht walten lassen, kommt man an Aktien nicht vorbei.
Friedhelm Steinberg (63) ist Präsident der Hanseatischen Wertpapierbörse Hamburg.