Gegner haben ökologische Bedenken. Konzerne haben Angst, dass sich die Anlagen nicht rechnen. Wird Strom in Deutschland noch teurer?
Hamburg. Am schönsten ist es eben doch zu Hause. In Karlsruhe, am Hauptsitz des Konzerns, baut der Energieversorger Energie Baden-Württemberg (EnBW) derzeit das Rheinhafen-Dampfkraftwerk aus. Der neue, dritte Block des Kraftwerks soll künftig rund 900 Megawatt elektrische Leistung liefern, außerdem können 220 Megawatt Fernwärme für Karlsruhe ausgekoppelt werden. Die Inbetriebnahme der gewaltigen Anlage ist für 2011 geplant. "Wir liegen genau im Zeitplan", sagte Konzernsprecher Ulrich Schröder dem Abendblatt.
So rund lief es für das Unternehmen mit seinen Plänen für neue Kohlekraftwerke zuletzt nicht überall. Im niedersächsischen Dörpen gab EnBW kurz vor Weihnachten seine Beteiligung am Neubauprojekt eines Großkraftwerks auf, weil, wie Schröder sagte, "ein industrieller Abnehmer für die Fernwärme des Kraftwerks weggefallen" sei. In Mannheim wiederum steht EnBW als Teilhaber in einem Konsortium mit RWE und der regionalen MVV Energie dem massiven Widerstand einer Bürgerinitiative gegenüber. Ein prinzipielles Problem mit der Kohlekraft sieht der Konzernsprecher deshalb trotzdem nicht: "Wir setzen auf einen ausgewogenen Energiemix, und dazu zählt für uns auch in Zukunft die Kohlekraft, neben der Kernenergie und den erneuerbaren Energien", so Schröder.
Niemand in der Energiebranche steht derzeit so unter Druck wie jene Unternehmen, die neue Kohlekraftwerke bauen wollen. Allein im Dezember platzten neben dem EnBW-Projekt in Dörpen auch die Pläne für ein Großkraftwerk des dänischen Konzerns Dong Energy im mecklenburg-vorpommerischen Lubmin und für ein regional getragenes Vorhaben in Mainz. Ob ein 1100-Megawatt-Kraftwerk des E.on-Konzerns im nordrhein-westfälischen Datteln vollendet wird, ist derzeit offen; ein Gericht stoppte den Bau im September aus Umweltschutzgründen teilweise. Nun müssen sich das Bundesverwaltungsgericht und der Europäische Gerichtshof damit befassen.
Die Umweltschützer vom BUND zählen für die vergangenen drei Jahre elf geplatzte Projekte für Kohlekraftwerke. Die Organisation hat den Kampf gegen Kohlemeiler zu einem Hauptbetätigungsfeld ausgebaut, bei zahlreichen Klagen bundesweit mischt der BUND mit, auch in Datteln. Die Stromkonzerne investierten "in die Technik von gestern" und ruinierten damit die Chancen für den Klimaschutz in Deutschland, heißt es in der Berliner BUND-Zentrale.
Die Umweltschützer treffen mit diesem Argument auf eine weit verbreitete Grundstimmung in Deutschland, die durch den gescheiterten Klimagipfel von Kopenhagen noch verstärkt worden sein dürfte. Überall wachsen Bürgerinitiativen gegen Kohlekraftwerke heran. Das Hamburger Kraftwerk Moorburg von Vattenfall Europe, das trotz harten juristischen und politischen Widerstands nun doch vollendet wird, ist da eine fast schon spektakuläre Ausnahme.
Tatsächlich scheitern neue Kohlekraftwerke derzeit vor allem aus wirtschaftlichen Gründen - die Konzerne wissen nicht, ob sich die Anlagen rechnen werden. "Wir registrieren im Markt eine starke Verunsicherung", sagte Stephan Kohler, Geschäftsführer der halbstaatlichen Deutschen Energie-Agentur (Dena) in Berlin, dem Abendblatt. "Einerseits ist unklar, wie sich der Stromverbrauch nach der Wirtschaftskrise entwickeln wird. Außerdem bleibt vorerst offen, wie die neue Bundesregierung die versprochene Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke umsetzt."
Die neue Regierung aus Union und FDP hatte das hoch sensible Thema nach Aufnahme der Amtsgeschäfte Ende Oktober in den kommenden Herbst hinein weit weg geschoben - wohl auch, um der Opposition aus SPD, Grünen und Linkspartei keine Steilvorlage für die im Mai stattfindende Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen zu bieten. "Ich halte es für falsch, dass die Bundesregierung die Entwicklung eines nationalen Energieplans so lange hinauszögert", sagte Kohler. "Die Debatte um die Nutzung der Atomkraft wird in Deutschland seit Jahrzehnten im Detail geführt, alle Fakten liegen lange auf dem Tisch. Das hätte schneller entschieden werden können." Immerhin gehe es bei der Debatte um die Laufzeitverlängerungen über das Jahr 2020 hinaus um rund 20 000 Megawatt, die Leistung von mehr als 20 großen Kraftwerken.
Er rechne nicht damit, dass in Deutschland nach der Stornierung von Projekten für Kohlekraftwerke "die Lichter ausgehen", wohl aber damit, dass der Strom dadurch tendenziell teurer werde. "Denn wenn sie keine neuen bauen", so der Dena-Chef, "lassen die Konzerne eben alte Kraftwerke länger am Netz, für die sie mehr Emissionsrechte kaufen müssen. Und das legen sie auf den Strompreis um."