Angela Merkel lässt den Mantel der Geschichte wehen: Im Rheingold-Express von Bonn nach Berlin stellt sie sich in die Tradition der Urväter der Union.

Bonn/Erfurt. Die Kanzlerin auf Adenauers Gleisen. 60 Jahre Bundesrepublik, 20 Jahre Mauerfall – den Wahlkampf in der Schlussphase mit einem Schuss Geschichte zu verbinden, lag in diesem Jubiläumsjahr recht nahe. Im Sonderzug von Bonn nach Berlin stellt sich Angela Merkel am Dienstag ganz in die Tradition der Urväter der Union, auch zur Pflege ihrer Stammwählerschaft. Dass es für Schwarz-Gelb immer enger wird, kontert Merkel mittlerweile auch wie einst ihr Vorbild Konrad Adenauer mit der Warnung vor Experimenten. Die Anspannung im Unions-Lager ist auch im Zug zu spüren.

Fläschchen mit „Möselchen“, die Adenauer einst so liebte, werden in den Waggons mit dem Flair der 70er und 80er Jahre an diesem Tag zwar nicht angeboten. Aber ansonsten läuft die Reise ähnlich ab, wie einst vor rund 50 Jahren, als der erste Kanzler als Wahlkämpfer durch das Land zog. Stopp des Sonderzugs. Aussteigen. Kleine Kundgebung auf dem Bahnhofsvorplatz. Dann weiter. Nach ein paar hundert Kilometern wieder ein Halt. Erneut Kundgebung. Weiterfahrt. So geht es zunächst nach Koblenz, Frankfurt am Main und Erfurt. Vor dem Zielort sollte noch einmal in Leipzig haltgemacht werden.

Nur, dass im Jahr 2009 mehr Menschen an Bord des „Rheingolds“ sind - besser des „Gesellschaftswagens TEE“, wie die Nostalgiebahn auf dem Bonner Bahnhof angekündigt wird. Die Idee mit dem Sonderzug hatte Adenauer übrigens auch schon aus den USA. Inzwischen ist die Amerikanisierung des Wahlkampf aber weitergegangen. So ist eine junge Unterstützertruppe vom „TeAM Angela Merkel“ mit dabei. Und nicht nur vier oder fünf Journalisten, sondern rund 50.

Ob diese Tour angesichts der kritischen Wahlkampfphase gerade zum richtigen Zeitpunkt stattfindet, fragt sich so mancher auf der Tour. Aber an diesem Dienstag jährt sich nun einmal der 60. Jahrestag der Wahl Adenauers zum ersten Kanzler. Erste Stationen sind historisch folgerichtig Rhöndorf und Bonn.

Im Kreis der Familie des „Alten“ legt Merkel am Morgen auf dem Friedhof des Orts zunächst einen Kranz am Grab des Gründervaters der Bundesrepublik nieder. Dann kommt sie ins Museum Koenig in Bonn. Dort hat der Parlamentarische Rat vor sechs Jahrzehnten das Grundgesetz geschaffen – unter dem wachen Auge einer ausgestopften Giraffe, die aus dem Hauptsaal der Naturkunde-Ausstellung damals nicht schnell genug weggeräumt werden konnte.

Das große Tier blickt dort auch heute noch in die Runde. Nach einer kurzen Begrüßung des Museumsdirektors sagt Merkel, dass sie an diesem Tag eine Reise unternehmen wolle, „wie sie Adenauer nicht machen konnte“. Sie erinnert daran, dass es schließlich auch in den Osten gehen soll. Davon hätte Adenauer geträumt. Sanft leitet sie zum Wahlkampf von heute über. Sie lässt Revue passieren, dass Adenauer sich vor 60 Jahren für eine Koalition mit den Liberalen entschieden habe, obwohl es damals recht knapp gewesen sei.

Aus „Angst um die soziale Marktwirtschaft“ habe er es getan, obwohl längst nicht alle aus der Union damals dafür gewesen seien, teilt die CDU-Chefin mit. Was will sie damit sagen? Dass Schwarz-Gelb auch heute in der Union nicht gerade beliebt ist oder dass Mut ein guter Kompass ist?

Auf ihren Kundgebungen warnt sie wie einst der „Alte“: „Wir können uns keine Experimente erlauben.“ Das zielt wie damals auf die Sozialdemokraten. Merkel unterstellt diesen, eine große Koalition in der kommenden Legislaturperiode bei der erstbesten Gelegenheit platzen zu lassen – zugunsten von Rot-Rot-Grün. Das ist die Schlussbotschaft der Union in diesem Wahlkampf.

Schon mehrfach hat Merkel zuletzt den Mantel der Geschichte wehen lassen. Gleich nach der Sommerpause besuchte sie den immer noch angeschlagenen Alt-Kanzler Helmut Kohl in Oggersheim. Zur Erinnerung an die Öffnung des Grenzzauns vor 20 Jahren reiste sie im August nach Ungarn. Nun diese Tour. Merkel will eine gute Enkelin sein.

Nach dem TV-Duell hatte es den Anschein, als könne es doch noch zu einer Trendwende in diesem Wahlkampf kommen – jedenfalls, dass es für Schwarz-Gelb vielleicht doch nicht reichen könnte. Die Nervosität stieg im Union-Lager. Auch im Zug ist dies noch zu spüren. Dann kommen Meldungen über die neuesten Trends: Alles stabil für die Union und die Popularität bleibt hoch.

An diesem Freitag geht Merkel vor die Bundespressekonferenz in Berlin. Sie will noch einmal Rede und Antwort stehen. Nächste Woche reist sie in die USA zum G20-Weltfinanzgipfel. Zwei Tage vor der Wahl muss sie Ergebnisse nach Hause bringen.