100.000 Arbeitsplätze gehen verloren, der Liter Benzin kostet 2,50 Euro, die Marke Opel könnte überleben. Was Deutschlands Leitbranche nach der Krise erwartet - Experten und ihre Prognosen.

Hamburg. Wir schreiben das Jahr 2020: Immer mehr Menschen entscheiden sich bei einem neuen Auto für ein Fahrzeug mit Elektro- oder Hybridantrieb. Diese Technologie macht das Ein-Liter-Auto möglich. Der Spritpreis liegt bei 2,50 Euro. Immer mehr kleine Autos sind auf den Straßen unterwegs - schon weil die Single- und Zwei-Personen-Haushalte keine größeren Fahrzeuge brauchen. So sehen die Visionen von Branchenexperten über die Zukunft der automobilen Gesellschaft aus. Ein Trost für Opel-Fans: Auch 2020 würden danach noch Autos mit dem Blitz unterwegs sein und produziert werden.

Die Marke Opel könnte weiterleben. Schon weil "Automarken ein langes Leben haben", sagt Marc-Rene Tonn, Autoanalyst beim Bankhaus M.M.Warburg. So hat bereits der Mini, jetzt unter dem Dach von BMW, seine Mutter Rover überlebt. "Wenn jedoch Fiat bei Opel einsteigt, wird wohl 2020 nur noch der Name der Rüsselsheimer übrig bleiben", meint Ferdinand Dudenhöffer von der Uni Duisburg-Essen. Aber das ist für ihn die pessimistische Variante.

Vielmehr glaubt der Professor an den Einstieg des österreichisch/kanadischen Zulieferers Magna, des russischen Hersteller Gaz und an General Motors als Minderheitsgesellschafter. "Das wäre eine langfristige Lösung, die schon in den nächsten Wochen festgelegt werden könnte", so Dudenhöffer.

VW und Porsche auf dem Weg zur Nummer 1

Die Konkurrenten VW und Porsche sieht Willi Diez, Leiter des Instituts für Automobilwirtschaft der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen-Geislingen, nach überstandenen Übernahmeproblemen dagegen auf dem Weg zur Nummer eins weltweit. "Die Chancen stehen gut", sagt er. Schon weil der Konzern vom Lamborghini bis zum günstigen Skoda alles anbieten kann, in China gut aufgestellt ist und auch in Indien ein Werk baut.

Während in Deutschland die Zahl der Neuzulassungen bis 2020 unter die Drei-Millionen-Marke kippen könnte, wie Analyst Tonn glaubt, würden die Wachstumsmärkte in zehn Jahren Indien, China, Osteuropa und der Mittlere Osten sein. "Dort nimmt das Bedürfnis nach Mobilität zu und man hat dort Öl", so Dudenhöffer. Denn der Antrieb mit Benzin und Diesel wird auch 2020 dominant sein - darin sind sich alle Experten einig.

Auch Marc Specowius von Greenpeace sagt dies voraus und fordert "leichtere Autos und weniger überzüchtete Motoren". Specowius ist sich sicher, dass bis 2020 ein Tempolimit von 120 Kilometer pro Stunde auf deutschen Autobahnen gilt. "Die Akzeptanz in der Bevölkerung dafür steigt." Doch ob das Emissionslimit für Fahrzeugflotten 2020 bei 80 Gramm CO2 pro Kilometer liegen wird, nachdem die EU derzeit als Höchstgrenze 138 Gramm bis 2015 festgelegt hat, sei offen. Branchenexperte Diez erwartet, dass die Höhe der Kfz-Steuer 2020 dann von den Emissionen abhängt.

Billigfahrzeuge made in Europe

Immerhin dürften beim Neuwagenkauf immer mehr Hybridmotoren eine Rolle spielen, die Benzin, Diesel- und Elektroantrieb kombinieren. Aber auch Autogas-Pkw und serientaugliche Elektrofahrzeuge werden nach Expertenmeinung deutlich mehr Käufer finden.

Tonn geht davon aus, dass künftig günstige Fahrzeuge "made in Europa" für 7500 bis 12 500 Euro angeboten werden. Hinzu kämen gut ausgestattete, deutlich teurere Wagen. Aber auch Billigautos wie der Tata aus Indien, der bereits heute für 5000 Euro zu haben ist, würden künftig mehr Kunden in Deutschland finden. "Einstiegsmodelle wie der 1er BMW, die A-Klasse von Mercedes und der Polo von VW werden eine größere Bedeutung haben", sagt Diez.

Mit einer Konsolidierung der Branche, die seit Jahren schon allein wegen der steigenden Produktivität unter Überkapazitäten leidet, rechnen sowohl Diez als auch Dudenhöffer. Beide sagen einen Abbau von 100 000 Stellen in der Branche auf dann noch 650 000 Arbeitsplätze bundesweit voraus. "Die Beschäftigung in der Produktion wird sinken, dafür werden aber mehr Arbeitsplätze in der Entwicklung entstehen", so Diez. Der Autobau werde aber 2020 noch eine der wichtigen deutschen Industriezweige sein, so Tonn. "Selbst wenn ihr relativer Anteil sinken dürfte."

Allein fahrende Autos ab 2060 - "oder später"

Geraten die Zulieferfirmen wie zuletzt Karmann durch die Krise stärker unter Druck, werde auch hier die Konzentration zunehmen, so der Experte von M.M. Warburg. Dann sei es wahrscheinlich, dass die Hersteller wichtige Zulieferteile wieder selbst fertigen müssten. Eine Fondslösung könnte die Folge sein. "So könnten mehrere Hersteller einen Zulieferer übernehmen und sich so allesamt ihre Versorgung sichern."

Ein Zukunftsszenario für 2020 ist dagegen bereits sicher. Schon 2008 waren 30 Prozent aller Autokäufer älter als 60 und zehn Prozent älter als 70. Und diese Entwicklung wird sich noch verstärken. "Die Autos von morgen müssen dies bei ihrer Sicherheit berücksichtigen und Fehler in der Fahrweise verzeihen", sagt Dudenhöffer. Technische Fahrassistenten, die falsche Lenkbewegungen korrigieren, Schleudern verhindern und nachts die Sicht und Orientierung verbessern, dürften immer stärker gefragt sein. "Künftig könnte ein Auto dann auch automatisch in die Garage gesteuert werden", so Dudenhöffer. Sicherheit werde sich bezahlt machen. "Nur ein Auto, das wie ein fahrender Rollstuhl wirkt, wird niemand kaufen."

Bis Autos allein fahren können, wird aber noch Zeit vergehen. Das werde "frühestens 2060" der Fall sein, sagt Zukunftsforscher Frank Ruff, der den Bereich Trendforschung bei Daimler in Berlin leitet. Oder "eher später".