Als Müll noch Müll hieß, ging alles noch ganz einfach: Wegwerfen, deponieren, vergessen. Das ist lange her. Müll heißt nicht mehr Müll, sondern Wertstoff. Und ist eine echte Herausforderung - für die Menschen, die Industrie, und, wie manche meinen, für Wohl und Wehe des ganzen Landes.

Berlin. Mit dem Eifer des Goldsuchers graben Firmen, Forscher, ja sogar der Staat immer tiefer im Müll. Denn der weltweite Wettlauf um Rohstoffe hat den Abfall zur Goldgrube gemacht. Reich durch Recycling, heißt die Parole.

Ein Kongress in Berlin. "Kostbarkeiten", "Schätze" lauten die Schlagwörter im Hörsaal der Technischen Universität. Es geht um Abfall und Schrott. Begleitet von Leibwächtern betritt der Kanzleramtschef den Hörsaal - das Thema Müll beschäftigt längst die höchsten Stellen der Republik. "Bis in die 70er war Abfall eine Last", sagt Thomas de Maizière (CDU), jedoch: "Deutschland ist ein rohstoffarmes Land." Heute sei Abfall das Reservoir für Rohstoffe, ihre Sicherung eine Zukunftsfrage.

"Im deutschen Hausmüll ist mehr Kupfer enthalten als in der größten Mine der Welt", sagt Axel Schweitzer, Chef des Berliner Entsorgers ALBA AG. Allein in der Hauptstadt bringe ALBA jährlich zehn Millionen Tonnen Rohstoffe zurück in den Kreislauf, 1,5 Millionen seien es in Brandenburg. "Wir sind überzeugt, dass unsere Branche nichts anderes ist als eine rohstofferzeugende Industrie."

Wir der Müll zu Wertstoff veredelt, wird aus dem Schrotthändler der Rohstoffdienstleister. Einer von ihnen ist Marcus Ferch. Mit Anzug, weißem Hemd und Krawatte, das Handy am Ohr, präsentiert sich der Berliner auf seiner Website vor einem Berg von rostigem Stahl. Räder, Stangen, Platten, Rohre - alles lässt sich heute zu Geld machen. Ferch, der sich 2006 selbstständig gemacht hat, spricht von der "Faszination Rohstoffe". Je mehr wieder zu neuen Produkten werde, desto mehr Kosten blieben der Volkswirtschaft erspart.

Daran ändert wenig, dass in die Wirtschaftsflaute die Preise teils dramatisch gefallen sind. Kupfer kostet nur noch halb so viel wie vor einem Jahr, und es lohnt derzeit kaum, hochwertiges Altpapier zu verwerten. Doch die nächste Rohstoff-Rallye stehe bevor, meint de Maizière. Das Wachstum der Schwellenländer werde wieder zunehmen - und ihr Rohstoffhunger. "Die schwache Weltkonjunktur verschafft uns nur eine Atempause."

Nach Ansicht von Forschern gibt es viel zu tun: "Mülldeponien sind Rohstofflager", sagt Martin Faulstich. Sie seien nur noch nicht ganz erschlossen. Der Münchner Professor berät im Sachverständigenrat für Umweltfragen die Bundesregierung. Auf deutschen Halden lagern nach Faulstichs Worten 30 bis 40 Millionen Tonnen Metall, die Klärschlammdeponien enthalten zehn Millionen Tonnen Phosphat - genug, um den deutschen Bedarf von zehn Jahren zu decken. Und schließlich sind in Straßen und Häusern millionen Tonnen von Rohstoffen verbaut. Alles abreißen? Soweit werde es nicht kommen, noch gebe es andere Quellen.

Den Außenhandel etwa: 2007 kaufte Deutschland nach offiziellen Angaben im Ausland Energie, Erz, Kupfer und anderen Rohstoffe für mehr als 100 Milliarden Euro - und gab zugleich Millionen Tonnen billig ab, in Form von Autos, Fernsehern, Maschinen. Faulstich erklärt: Ihr Auto fahren die Deutschen durchschnittlich sieben Jahre, dann erlebt der Wagen noch sieben Jahre in Osteuropa und sieben in Nordafrika - wo er auf dem Schrottplatz landet. Samt der wertvollen Bauteile. Faulstich fordert sogar: "Wir müssen Demontagezentren in Nordafrika errichten und so die Rohstoffe zurückholen."

Doch auch im Inland könnten die Unternehmen noch tiefer in der Goldgrube Müll schürfen - Forschung vorausgesetzt. ""Die Sortiertechnik ist noch nicht so gut, als dass sie alles bewältigen könnte", sagt Thomas Pretz von der Rheinisch-Westfälisch Technischen Hochschule Aachen. Aus Asche von Müllverbrennungsanlagen etwa könnten derzeit nur zwei Drittel der Eisenmetalle gewonnen werden und nur ein Fünftel der Nicht-Eisenmetalle wie Aluminium, Chrom und Kupfer. Im rohstoffarmen Deutschland seien also noch einige Schätze zu heben.