In Hamburg könnten langfristig die Müllgebühren steigen, weil Abnehmer von Recyclingmaterial in Asien wegen der Finanzmarktkrise komplett ausfallen: “Schiffe kommen aus China zurück, ohne entladen worden zu sein.“
Hamburg. Eine solche Achterbahnfahrt der Preise hat Hans-Jürgen Friedeheim noch nie erlebt. "Vor einem Jahr konnten wir noch über einen Geldregen jubeln, heute jedoch herrscht Katerstimmung." Friedeheim ist als Abteilungsleiter bei der Hamburger Firma Ludwig Melosch für Kommunale Dienste und damit für das Sammeln, Verwerten oder Verkaufen von Altpapier zuständig. Herrschte vor Jahresfrist in der Branche noch eine Art Papierjagd, weil es damals für beste Qualitäten bis zu 120 Euro pro Tonne des Rohstoffs aus dem Sammelcontainer gab, gammelt das Altpapier inzwischen in Lagerhallen vor sich hin. Denn Käufer finden sich kaum noch. Und wenn, dann wollen sie es kostenlos. Die Preise sind im Keller.
"Die Stimmung in der Branche ist schlecht", sagt Jörg Lacher, Sprecher des Bundesverbandes Sekundärrohstoffe und Entsorgung (bvse) dem Abendblatt. Der bvse vertritt rund 600 kleinere und mittelständische Betriebe. "Viele unserer Mitgliedsfirmen fürchten, dass sie wegen der schlechten wirtschaftlichen Situation in diesem Jahr Stellen abbauen müssen", so der Experte. Er schätzt, dass fünf bis sechs Prozent und damit rund 10.000 der rund 200.000 Jobs in der Branche der jetzigen Recyclingkrise zum Opfer fallen werden. Denn nicht nur das Geschäft mit gebrauchtem Papier ist mau, sondern auch beim Sammeln von Metallschrott oder Kunststoff schlittert die Branche in der Abwärtsspirale. "Der Preis für Schrott hat sich binnen einiger Monate um zwei Drittel auf 150 Euro pro Tonne reduziert", so Lacher. Ähnlich sehe die Entwicklung bei Kunststoff aus.
Die Gründe für die Misere sind schnell auszumachen. Wenn die Unternehmen in der Krise weniger produzieren, brauchen sie weniger Recyclingmaterial zur Aufarbeitung. Somit spürt die Recyclingbranche, wenn die Autoindustrie lahmt, die Papierindustrie stottert oder die Chemieindustrie Fabriken stilllegt.
Hinzu kommt, dass nicht nur der deutsche Markt betroffen ist, sondern die ganze Welt. Und damit sind die Abnehmerländer in Asien, wie China und Indien, die bislang tonnenweise Waren aus Deutschland abgenommen hatten, komplett weggefallen. "Mir sind sogar Fälle bekannt, wo voll beladene Schiffe aus China umkehren mussten", sagt Karsten Hintzmann, Sprecher des Bundesverbandes der Deutschen Entsorgungswirtschaft (BDE), dem Abendblatt. Die potenziellen Abnehmer wollten nicht den zuvor vereinbarten Preis bezahlen.
Der BDE hat bereits die Kommunen, in deren Auftrag die Mitgliedsunternehmen des Verbandes Sekundärrohstoffe einsammeln, aufgefordert, über neue Verträge nachzudenken. Denn die derzeitigen Sammelvereinbarungen zwischen städtischer Müllabfuhr und den Recyclingunternehmen wurden in der Regel in Zeiten abgeschlossen, in denen die Abnahmepreise für Abfall höher waren als jetzt.
"Wenn jetzt nichts passiert, riskieren wir, dass ein innerhalb von vielen Jahren mit hohen Investitionen aufgebautes Wertstofferfassungssystem den Bach heruntergeht", sagt Verbandssprecher Hintzmann. Die rund 5000 Unternehmen zählende Branche habe in den vergangenen zehn bis 15 Jahren rund 30 Milliarden Euro in Sortier- und Trennungsanlagen sowie in die Wertstoffsammlung investiert. "Nur so ist Deutschland Recyclingweltmeister geworden." Nach Angaben des BDE werden jeweils 90 Prozent des Papiers sowie des Altglases wieder aufgearbeitet sowie 74 Prozent der Metalle und 67 Prozent der Kunststoffprodukte.
Für Vertragsänderungen sieht Rüdiger Siechau, Sprecher der Geschäftsführung der Stadtreinigung Hamburg und Vorstandsvorsitzender des Verbandes kommunale Abfallwirtschaft, keine Notwendigkeit. "Wir haben die Verträge ausgeschrieben und die Entsorger haben sich mit ihren Angeboten beworben", sagt er. Siechau fühlt sich zudem seinen Kunden verpflichtet und damit den Hamburgern, die jedes Jahr ungefähr 100.000 Tonnen Altpapier in die Sammelcontainer oder die Blauen Tonnen geben. Bundesweit waren es 2008 rund 15,42 Millionen Tonnen.
"Auf Basis der jetzigen Altpapierpreise müssten wir bis Jahresende mit einer Unterdeckung von rund drei Millionen Euro rechnen", sagt er. Im Klartext bedeutet dies, dass er die Müllgebühren, die in Hamburg seit 2001 annähernd stabil geblieben sind, erhöhen müsste. Doch Siechaus Verträge mit drei Sammelbetrieben laufen schon länger und die Konditionen sind besser als jetzt. Deshalb seien die drei Millionen Euro Unterdeckung nicht realistisch. Im Mai schließt die Stadtreinigung neue Verträge mit den Sammlern ab. "Bis dahin hat sich die Situation vielleicht schon wieder gebessert", sagt Siechau.
Auch Hans-Jürgen Friedeheim von Ludwig Melosch glaubt an eine Verbesserung der Lage. "Wenn die Lager der Verwender leer sind, wird wieder mehr Altpapier gekauft." Die Firma Ludwig Melosch musste wegen der Krise bereits 20 der ehemals bundesweit 290 Mitarbeiter entlassen. Über den Hamburger Altpapiermarkt macht sich Friedeheim keine allzu großen Sorgen. "Wir haben einen festen Liefervertrag an eine Papierfabrik." Der Preis liegt über den jetzigen Krisenpreisen.