Warum die Sucht nach Rendite beendet werden sollte und dem ehrbaren Kaufmann die Zukunft gehört.

Die gegenwärtige Wirtschaftskrise bietet manche Erfahrung, aus der man klüger werden kann: Keiner der großen ökonomischen Koryphäen des Neoliberalismus' hat die Krise kommen sehen. Die etablierte Wirtschaftswissenschaft hat sich blamiert bis auf die Knochen. Der "Chefökonom" der "Bild", Professor Sinn, das Beste, was die Zunft offenbar bieten kann, im Nebenberuf Generallobbyist der Privatisierung des Sozialstaates, gab noch Mitte des Jahres Prognosen von sich, die so treffsicher waren wie eine Wettermeldung in New Orleans gewesen wäre, die beim Ansturm von Katrina eine Schönwetterperiode angekündigt hätte.

Noch erstaunlicher ist die Kehrtwende der Marktradikalen, die noch gestern am Staat kein gutes Haar gelassen haben und mit fast religiöser Inbrunst die Erlösung von aller Not und allem Elend vom Markt erwarten. Sie alle, die über den Staat herfielen, rufen heute nach Rettung durch den Staat.

Freilich, das neu entdeckte Vertrauen in den Staat ist bei Licht betrachtet nur ein vorübergehendes Exil. Der Staat soll die Verluste und Schulden wegschaffen, auf dass sie zurückkehren und das alte Gewinnspiel wieder neu beginnen können.

Aber es kann nicht weitergehen wie bisher. Es wird auch nie mehr so, wie es noch vor dem Fall von Lehman Brothers war.

Bisher wurde jede Finanzblase durch die Vorbereitung auf eine neue, noch größere aufgelöst. Auf die Internetblase folgte die Hypothekenblase. Vielleicht versucht auch jetzt wieder jemand, eine neue Blase zu schaffen. Nahrungsmittel waren noch nicht dran. Sie bieten Erpressungsmaterial für neue Spekulationen. Privatisierte Wasserquellen in der Sahara wären ein gefundenes Fressen für Börsenanalysten und die ihnen beigeordneten Ratingagenturen, die von denen bezahlt werden, die sie bewerten. Der Schiedsrichter spielt mit.

Gemach! So viel Luft haben selbst die Pensionsfonds und ihre Gehilfen, die Hedgefonds, nicht, um die jetzige Blase durch die Vorbereitung einer noch größeren zu schlucken. Das Spiel ist aus. Rien ne va plus. Das Kasino wird geschlossen.

Ökonomische Blasen sind virtuelle Hohlräume, die mit nichts anderem als mit Erwartungen gefüllt sind. Mit den Realitäten von Arbeit und Wertschöpfung haben sie so viel zu tun wie Wetten mit Leistung. Das eine ist ein Spiel, das andere Arbeit. Die Wettbüros unterscheiden sich von den Hedgefonds nur dadurch, dass die Wettbüros nicht versuchen, den Staat zu bewegen, Schulden zu übernehmen, die sie bei ihren Kunden ausgelöst haben. Leerverkäufe, auf die sich manche Finanzakrobaten spezialisiert haben, sind eine Art von Bereicherung durch Verlust. Das ist ein origineller Versuch, mehr Geld durch Verlieren als durch Gewinnen zu verdienen. Die gegenwärtige Finanzkrise ist die Rache der Realität der Arbeit an der Virtualität des Geldes. Die Finanzwirtschaft geht von der irrigen Auffassung aus, dass Geld ein Zweck sei. Es ist aber nur ein Mittel. Geld ist ein nützliches Tauschmittel, Wertaufbewahrungsinstitut, Recheneinheit - alles Mögliche; nur produktiv im realen Sinne ist Geld nicht. Die Finanzwelt residiert im Überbau, und der hat sich so entwickelt, dass er die realen Verhältnisse nicht mehr widerspiegelt.

Niemand durchschaut mehr die Finanzgeschäfte. Ein prähistorischer Kuhhandel war dagegen eine Idylle der Transparenz. Kopper, der ehemalige Deutsche-Bank-Chef, empfiehlt, nur noch Finanzprodukte zu erwerben, die man durchschaut. Deshalb kauft der große Banker - klug wie er ist - nicht von allem, was sich im Angebot seiner Bank befindet und wofür die Deutsche Bank wirbt, wie er dummstolz jedermann verkündet.

1980 betrug das Weltsozialprodukt zwölf Billionen Dollar. Die Welt der Finanzanlage, also Aktien, Anleihen, Schuldtitel sowie Bankeinlagen entsprachen damals ungefähr dem Wert der realen Güter und Dienstleistungen. Heute wird das Weltsozialprodukt auf 50 Billionen Dollar geschätzt. Die Finanzmittel dagegen auf 140 Billionen Dollar. Das Geld ist also der Arbeit davongelaufen. Man verdient mehr Geld durch Finanzgeschäfte als durch Produktion. Der Gewinn von Porsche hat den Umsatz übertroffen. Leistung, die der Wertschöpfung dient, wird zur nostalgischen Marotte. Die neuen großen Helden der Weltwirtschaft werden durch "Finanzwetten" reich. Die 27 neureichen Milliardäre Russlands sind zu ihrem Reichtum nicht gekommen, weil sie mehr gearbeitet hatten als die Armen.

Das Wolkenkuckucksheim ist der globale Regierungssitz der Finanzwirtschaft, und jetzt sind die kreativen Kreditkünstler, die aus einem Kredit den Kredit des Kredites des Kredites machten, aus allen Wolken gefallen. Niemand durchschaut mehr die Derivate. Der Zauberlehrling wartet vergebens auf seinen Meister.

Der Weg zur Rettung führt zurück in die Stärkung der Realwirtschaft. Die "Quelle des Wohlstandes der Völker ist die Arbeit". Das wusste und verkündete Adam Smith, der Erzvater der Marktwirtschaft. Seine neoliberalen Enkel haben diese Wahrheit ihres Lehrmeisters vergessen. Sie glauben, dass Geld arbeitet. Ich dagegen habe noch keinen Euro arbeiten gesehen.

Die Restitution der Arbeit wird sich im Bündnis mit einer Renaissance des Mittelstandes und der Rehabilitation des Unternehmers vollziehen, der nicht lediglich Filialleiter der Börse ist, sondern schöpferischer Innovator und verantwortungsvoller Kombinator von Arbeit und Kapital. Das Eigentum wird wieder an Arbeit und unternehmerische Leistung gebunden, von der es seine Legitimation erhält. Das Zeitalter der Manager, die sich von Arbeit und Eigentum emanzipiert haben, geht zu Ende und mit ihnen Unternehmen, die zu einem Bankhaus mit angeschlossener Produktion degeneriert sind. Das Unternehmen wird wieder zu einem Personalverbund, der Arbeit, Eigentümer und Management umfasst.

Eine Globalisierung, welche die kulturelle Errungenschaft, die Sesshaftigkeit, zurücknehmen und Arbeiter zu Jobnomaden zurückverwandeln will, wird nicht gelingen, und das Unternehmen, das nichts anderes als eine Logistikabteilung ist, welche die Zulieferung zur Montage - just in time - organisiert, um die Produkte von der Marketingabteilung mit einem Logo versehen, an die Verkaufsabteilung weiterzugeben, hat keine Zukunft. Ohne Loyalität, die auf Vertrauen und Anerkennung basiert, überlebt kein soziales Gebilde auf Dauer.

Die Marktwirtschaft zehrt von einem moralischen Fundus, den sie selbst nicht schafft. Der homo oeconomicus ist das anthropologische Kontrastprogramm zum "ehrbaren Kaufmann". Während der eine im Dauerstress seiner Nutzenmaximierung lebt, die ihn zu einer permanenten Kosten-Nutzen-Analyse zwingt, ist der andere Repräsentant eines gelungenen Lebens, das in eine moralische Ordnung eingefügt ist. Die Vernunft des homo oeconomicus gebietet ihm die Vorteilssuche. Vernünftig sein heißt vor allem, renditesüchtig sein. Die Vernunft des ehrbaren Kaufmanns dagegen folgt der goldenen Regel, die gebietet, niemandem etwas zuzufügen, was man selber nicht erleiden will. Der homo oeconomicus ist ein trauriger Egoist. Der ehrbare Kaufmann bewährt sich in der Gemeinschaft, in der niemand über den Tisch gezogen wird - und das ist sogar wirtschaftlich vernünftig.