Negative Inflationsrate erstmals seit mehr als 20 Jahren vorausgesagt. Die Hauptursache sind die fallenden Rohstoffpreise.

Hamburg. Als Folge der Wirtschaftskrise werden in Deutschland im kommenden Jahr erstmals seit mehr als zwei Jahrzehnten die Preise auf breiter Front wieder fallen. Diese Einschätzung nannten Experten verschiedener Institute dem Abendblatt.

Ein wesentlicher Faktor für das Verschwinden der Inflation ist der Ölpreis, der in den vergangenen Monaten von mehr als 140 Dollar je Barrel (159 Liter) auf derzeit rund 45 Dollar zurückgegangen ist. Das Anbieterkartell Opec versucht, den Preissturz mit einer massiven Kürzung der Förderung zu stoppen. Gestern beschlossen die Mitgliedstaaten der Opec bei ihrem Treffen im algerischen Oran eine Drosselung um täglich 2,2 Millionen Barrel. Es ist die größte Produktionskürzung in der Geschichte der Opec. Seit Oktober hat das Kartell die Förderung damit um täglich insgesamt 4,2 Millionen Barrel verringert. Der Ölpreis sank gestern dennoch weiter.

Ökonomen in Deutschland gehen trotz sehr niedriger Zinsen davon aus, dass die Preise allgemein weiter fallen. "Inflation ist jetzt wirklich kein Thema", sagt Christoph Weil von der Commerzbank dem Abendblatt. "Wenn der Ölpreis auf dem aktuellen Niveau verharrt, werden wir im Juni 2009 im statistischen Durchschnitt sinkende Preise in Deutschland haben, die Teuerungsrate des Statistischen Bundesamtes wird also ein negatives Vorzeichen haben." Dann werde sich auch die Deflationsdebatte wieder voll entfalten.


OPEC-Staaten wollen Öl-Fördermengen drastisch drosseln


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Allerdings sind sinkende Preise über einige Monate noch keine Deflation. Denn erst ein Teufelskreis von sinkender Nachfrage, sinkenden Gewinnen, rückläufiger Kreditvergabe sowie massiv steigender Arbeitslosigkeit über einen längeren Zeitraum führt zu immer weiteren Preisrückgängen, die als Deflation bezeichnet werden. Die Deutsche Bank rechnet mit einer "negativen Inflationsrate" spätestens im Sommer 2009, sagte Stefan Schneider von Deutsche Bank Research dem Abendblatt. Für das Gesamtjahr 2009 erwartet er eine Inflationsrate von 0,8 Prozent.

Sinkende Verbraucherpreise gab es in Deutschland das letzte Mal für einige Monate im Jahr 1986. Damals fielen die Preise im Durchschnitt des Jahres sogar um 0,2 Prozent. Der Auslöser war wie heute der massive Verfall des Ölpreises um zwei Drittel. "Für das gesamte Jahr 2009 erwarten wir nicht eine solche Entwicklung", sagt Gernot Neib, Konjunkturexperte des Ifo-Instituts, dem Abendblatt. "Im Durchschnitt wird die Inflationsrate bei 1,5 Prozent liegen."

Das Hamburgische WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) geht in seiner Konjunkturprognose davon aus, dass die Inflation in Deutschland 2009 unter einem Prozent liegen wird. Sinkende Preise würden aber allenfalls eintreten, wenn die US-Autoindustrie zusammenbreche und davon eine Signalwirkung auf die Wirtschaft der übrigen Welt ausginge, sagt Jörg Hinze, Konjunkturexperte beim HWWI, dem Abendblatt. Da die Mieten aber kaum zurückgehen und die Lohnstückkosten steigen würden, sei dies eher unwahrscheinlich. "Höhere Löhne sind durch die Tarifabschlüsse bereits vorgegeben - und durch bis zuletzt gestiegene Beschäftigung und die sinkende Produktion werden sich die Stückkosten weiter erhöhen", sagt Hinze.

Aral, Marktführer am deutschen Tankstellenmarkt, präsentierte gestern eine Bilanz der Preisentwicklung für dieses Jahr. Eine Tankfüllung von 55 Litern für einen VW Golf kostet demnach rund 21 Euro weniger als während der höchsten Preisstände zur Mitte des Jahres, das sind rund 40 Cent weniger je Liter. Insgesamt hat Aral in diesem Jahr den Benzinpreis nach eigenen Angaben 154-mal erhöht und 139-mal gesenkt.