Eigentlich wollte Karlheinz Bellmann in Island nur Auskünfte über seine verschwundenen 110 000 Euro bei der zusammengebrochenen Kaupthing-Bank erhalten. Als er vier Tage später die Heimreise ins hessische Dieburg antrat, ging dem Vater von vier Kindern anderes durch den Kopf: „Was kann man tun, um den Menschen hier zu helfen?“Weinende Familienväter hatten ihm vom plötzlichen Verlust des eigenen Jobs, dem der Frau und der Wohnung erzählt.

Reykjavik/Dieburg. Sie hinterließen einen ebenso unauslöschlichen Eindruck wie der Zynismus heimischer Bankmanager an der Bar des Grand-Hotels: "Klar haben wir mit dem Land als Einsatz gezockt, sagten die zu mir. Und dass sie Spaß gehabt hätten. Meistens wär's ja auch gut gegangen."

Weil am Ende aber für Kaupthing und die anderen Großbanken Landsbanki sowie Glitnir gar nichts mehr gut ging, stehen die 320 000 Bürger der Atlantikinsel jetzt vor dem nationalen Ruin. Auf 19 Milliarden Dollar (15 Milliarden Euro) bezifferte Ministerpräsident Geir Haarde den Schuldenberg, den der Expansionsdrang isländischer Banker dem Land beschert hat. Das entspricht zweieinhalb kompletten Staatshaushalten oder zweimal dem jährlichen Bruttoinlandsprodukt.

Der komplette Zusammenbruch des Finanzsektors mit Massenentlassungen und ein praktisch totaler Stopp für die Baubranche seit Oktober dürften nur erste Signale für eine lange Talfahrt gewesen sein. Massive Hamsterkäufe in Supermärkten bei einer Inflationsrate von 16 Prozent sprechen eine deutliche Sprache über die Zukunftsängste der Wikinger-Nachfahren.

Man müsse mit einer Teuerungsrate von über 20 Prozent und einer Arbeitslosenquote von über zehn Prozent rechnen, erklärt die Regierung. Als "normal" galten in Island bis Oktober ein Prozent Erwerbslose. "Robuste Kerle sind vor mir in Tränen ausgebrochen und haben gesagt, dass die Zukunft für Island zu einem schwarzen Loch geworden ist und man wieder in der Steinzeit anfangen muss", berichtet Bellmann. Gezittert wird auf der Insel auch um die im internationalen Maßstab recht gut gefüllten Rentenkassen. Sie sind praktisch die einzige Möglichkeit, Gelder locker zu machen, ohne sich über Generationen hoffnungslos im Ausland zu verschulden. Die Wut der Normalbürger auf die Verantwortlichen scheint sich noch in Grenzen zu halten. Allerdings kommen immer mehr Bürger zur samstäglichen Protestkundgebung vor dem Parlament in Reykjavik.

Einige der 6000 zuletzt hier Versammelten warfen auch schon mal mit Toilettenpapier Richtung Althing, von wo aus ihr Regierungschef noch vor wenigen Monaten erklärt hatte, dass die isländischen Banken robust und die Wirtschaft des Landes gesund seien. Jetzt gibt Haardes Partei plötzlich ihren Widerstand gegen einen EU-Beitritt auf.

Vorerst scheint ein kollektiver Schock mehr als alles andere die Stimmung zu prägen. "Man hat das Gefühl, dass das ganze Land sein Selbstvertrauen verloren hat", meint der Publizist Oskar Gudmundsson. Bellmann drückt es anders aus: "Es wirkt so wie auf der "Titanic", als die Leute noch getanzt haben, obwohl das Schiff den Eisberg schon gerammt hatte." Seine eigene Bankeinlage werde er mit großer Wahrscheinlichkeit vollständig zurückbekommen, haben ihm die Kaupthing-Leute in Reykjavik versichert.