74-Jähriger setzte offenbar auf fallende Kurse. Diskussionen über Verkauf des Generikaherstellers Ratiopharm.

Stuttgart. "Die müssen verkaufen", heißt es aus eingeweihten Kreisen in Ulm, "das ist der Knaller". Gemeint ist die milliardenschwere Unternehmerfamilie Merckle, der offenbar nichts anderes übrig bleibt, als sich von ihrem Engagement bei dem Generikahersteller Ratiopharm zu trennen. Der Firmenpatriarch Adolf Merckle (74), dessen Vermögen auf insgesamt 9,2 Milliarden Euro geschätzt wird, steckt in der finanziellen Klemme. Durch riskante Geschäfte mit VW-Aktien soll der laut "Forbes"-Magazin fünftreichste Deutsche rund eine Milliarde Euro verloren haben.

Merckle habe auf fallende Kurse gewettet und sich verpflichtet, zu einem bestimmten Zeitpunkt die Aktien abzunehmen, heißt es. Tatsächlich aber stiegen die Kurse des Konzerns und der Ulmer Industrielle musste statt billigen teure Aktien kaufen. Deswegen braucht er nun Geld - wohl auch von den Banken. Die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), die bei einem Konsortium von potenziellen Geldgebern mitmischen soll, will dazu allerdings keinen Kommentar abgeben. Und geschwiegen wird auch auf die Frage, ob denn die Stuttgarter Großbank den Ulmer Patriarchen auf die Idee mit den VW-Aktien gebracht habe.

Offen ist zudem, ob Merckle tatsächlich bereits Aktien kaufen musste, oder ob es mit potenziellen Anbietern andere Absprachen gab. So könnte auch vereinbart worden sein, dass nur ein Differenzbetrag bezahlt werden muss, meint eine Sprecherin der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Aktienverkäufe, die sich auf einen späteren Zeitpunkt richteten, seien nicht meldepflichtig. Gemeldet werden muss der Behörde eine Veränderung des Anteils an einem Unternehmen, wenn der Käufer einer Aktie dadurch mehr als drei Prozent erwirbt. Soweit hat es Merckle noch nicht gebracht.

Seine riskanten Geschäfte bringen nicht nur Merckle in die Bredouille. Seit Ende vergangener Woche, als erstmals vermutet wurde, Ratiopharm könnte verkauft werden, wächst auch die Sorge in der Belegschaft. "Die Beschäftigten warten auf eine klare Antwort von Merckle", sagte Peter Stolhofer, der zuständige Bezirkssekretär der IG Bergbau Chemie Energie. 2800 der 5400 Mitarbeiter von Deutschlands zweitgrößtem Generikahersteller arbeiten in Ulm und dem nahen Blaubeuren. Das Unternehmen mit 1,8 Milliarden Euro Umsatz ist in der Gegend einer der wichtigsten Arbeitgeber.

Eine Erklärung für den plötzlichen Geldbedarf hat natürlich auch Stolhofer nicht. "Merckle hat in der Vergangenheit gut investiert, aber man hat eben nicht immer ein glückliches Händchen", sagt der Gewerkschafter. Jetzt erwarteten die Mitarbeiter bei einer Betriebsversammlung am kommenden Montag endlich Klarheit über seine Pläne. Bisher, so meint Stolhofer, sei das Klima bei Ratiopharm noch eher familiär gewesen: "Man hat sich auf die Schulter geklopft und gesagt, wir machen des miteinander." Nach dem Einzug des neuen Geschäftsführers Oliver Windholz am 1. April habe sich der Wind allerdings etwas gedreht - noch schärfer könnte er möglicherweise wehen, käme das Unternehmen in die Hände eines ausländischen Interessenten. Ähnlich wie die Chemiegewerkschaft verlangt denn auch der Ulmer Oberbürgermeister Ivo Gönner, Merckle möge der Belegschaft klaren Wein einschenken: "Ich habe die herzliche Bitte, dass die Familie möglichst bald Klarheit schafft."

Gerüchte, Merckle wolle sich auch von der Zollern GmbH & Co. KG in Sigmaringen trennen, werden von Karl Friedrich Erbprinz von Hohenzollern dementiert: Ein Verkauf der Beteiligung von Merckle an dem Unternehmen (3000 Beschäftigte, 530 Millionen Euro Umsatz), das unter anderem Propellerflügel für Turbinen und Getriebe für Windkraftwerke herstellt, sei "kein Thema", teilt der Fürst mit. Zu den VW-Aktien nimmt er nicht Stellung, andere meinen, es seien womöglich "nicht Spekulationen um VW-Aktien gewesen", die für den plötzlichen Geldbedarf sorgen. Noch immer macht auch die Runde, dass Merckle Geld für seine Hauptbeteiligung Heidelberg Cement braucht. Der Kurs sank gestern um mehr als 20 Prozent auf 39,90 Euro.