Selbst in diesen turbulenten Zeiten an der Börse ist ein Kurssprung, wie ihn die Volkswagen-Stammaktie gestern tat, ein mehr als außergewöhnliches...

Selbst in diesen turbulenten Zeiten an der Börse ist ein Kurssprung, wie ihn die Volkswagen-Stammaktie gestern tat, ein mehr als außergewöhnliches Ereignis: Gegen Mittag schoss das Papier innerhalb von Minuten um zeitweise fast 55 Prozent auf 452 Euro nach oben, ohne dass es einen offensichtlichen Anlass für einen Kursanstieg gab. Der im Deutschen Aktienindex (DAX) stark gewichtete Titel zog damit das gesamte Börsenbarometer um rund 60 Punkte nach oben. Ebenso plötzlich sackte die VW-Notierung jedoch wieder ab, von dem Kursgewinn blieb bis Handelsschluss nichts übrig. Hätte allerdings jemand am Morgen zum Beispiel 100 VW-Akten für je 300 Euro gekauft und sie zum Höchstkurs von 452 Euro wieder verkauft, hätte ihm dieses Geschäft immerhin 15 200 Euro eingebracht.

Am Markt kursierte eine Reihe unterschiedlicher Erklärungen für den extremen Kursausschlag. "Es kann sich nur um einen Short-Squeeze gehandelt haben", sagte der Wertpapierexperte Achim Urbschat vom Hamburger Privatbankhaus M.M.Warburg & CO dem Abendblatt. Mit dem Börsianerfachbegriff ist ein fehlgeschlagenes Leerverkaufsgeschäft gemeint: Ein Großanleger hat darauf spekuliert, dass die VW-Aktie sinkt, hat sich von einem anderen Marktteilnehmer ein großes Paket dieser Titel für einen bestimmten Zeitraum geliehen und sie dann sofort verkauft - mit der Absicht, sie rechtzeitig vor Fristablauf zu niedrigeren Kursen nach und nach über die Börse wieder einkaufen zu können. Allerdings ist der Kurs der VW-Aktie in den vorigen Monaten nahezu stetig gestiegen. Daher war der Großanleger gezwungen, nun unmittelbar vor dem Ablauf der Leihfrist zu hohen Kursen die gesamte Stückzahl zusammenzukaufen. Als dies gestern die Notierung nach oben trieb, "sind Spekulanten auf den Zug aufgesprungen", so Urbschat. Dies habe die Kursbewegung weiter beschleunigt.

Andere Börsianer vermuteten Aktivitäten von Hedgefonds oder argumentierten mit Optionsgeschäften auf VW-Aktien, möglicherweise in Zusammenhang mit der Absicht des Stuttgarter VW-Großaktionärs Porsche, die Kapitalmehrheit an dem Wolfsburger Konzern zu erlangen. Ebenfalls gestern erklärte Porsche, am gleichen Tag ein "kleines Aktienpaket" außerhalb der Börse erworben und damit die Beteiligung an VW von derzeit 35 Prozent aufgestockt zu haben. Der Kaufpreis habe aber deutlich unter den aktuellen Marktwerten gelegen.

Fundamental sei der Kurs der VW-Papiere nach der Aufwärtsbewegung der vergangenen Monate ohnehin nicht mehr zu rechtfertigen, meint Urbschat: "In der Spitze war Volkswagen jetzt dreimal so viel wert wie Daimler und BMW zusammen. VW mag zwar ein guter Autokonzern sein, aber so wertvoll kann das Unternehmen nun doch nicht sein." Bei einem Kurs von 452 Euro wurde Volkswagen an der Börse mit rund 130 Milliarden Euro bewertet. Schon vor dem Kurssprung war VW gemessen am Börsenwert vor Toyota der größte Autobauer der Welt.