1979 verkaufte sie ihr Haus. Zwangsweise. Elisabeth Schwartau (72) erzählt.

Hamburg. Einmal in der Woche kehrt sie zurück, seit Jahren schon. Dann sieht Elisabeth Schwartau (72) in der Kirche St. Gertrud nach dem Rechten, dem einzigen Haus, das von dem ehemaligen Dorf Altenwerder geblieben ist. Durch die Bäume auf dem Friedhof dahinter geht der Blick zu den mächtigen Containerladebrücken. Dorthin, wo die Grundstücke der ehemals 2500 Dorfbewohner unter Millionen Tonnen Spülsand verschwanden, um Platz für Europas modernstes Containerterminal zu schaffen. "Jetzt, wo es endlich beginnt, ist es gut. Jetzt weiß man, wofür man seine Heimat aufgegeben hat", sagt die Küsterin.

Sie sagt das sachlich, fast distanziert. Die Zeit der großen Emotionen ist vorbei. Dennoch erinnert sich Elisabeth Schwartau genau an die Zeit der Kämpfe, der Verzweiflung. Der erbitterte Widerstand der Bewohner machte internationale Schlagzeilen. "Niemand kann sich vorstellen, wie es ist, eine zusammengewachsene Gemeinschaft aufzulösen. Und dann jahrelang zuzusehen, wie doch nichts passiert." Es war an einem Mittag Ende Oktober 1973 als sie das Papier auf der Treppe ihres Hauses am Elbdeich 127 fand. Fast hätte sie es achtlos zusammengeknüllt. Ihr Sohn stoppte sie: "Es war die Mitteilung der Wirtschaftsbehörde, dass Altenwerder als Wohngebiet zu Gunsten der Hafenerweiterung aufgegeben werden muss." Viereinhalb Seiten, unterschrieben vom damaligen Wirtschaftssenator Helmuth Kern. "Es war das Aus, und obwohl wir es all die Jahre gewusst hatten, traf es tief", sagt sie.

Einen ihrer alten Hausschlüssel hat sie bis heute aufbewahrt. Als Symbol, als Verbindung zu ihren Wurzeln. Am 7. Juli 1979 verließ Elisabeth Schwartau mit ihren vier Kindern das Grundstück mit dem mehr als 100 Jahre alten Haus. Seit 1702 gehörte das Land der Familie. Zusammen mit acht Nachbarn zog die Frau, die drei Jahre zuvor ihren Mann verloren hatte, nach Neuenfelde. Am Tag des Auszugs musste sie, wie alle Altenwerder Bürger, ihre Schlüssel frühmorgens bei der Behörde abliefern. Als sie um elf Uhr noch einmal zurückkam, um Blumen im Garten zu schneiden, hatte die Abrissbirne bereits alles zerstört: "Da stand keine Mauer mehr." Der Grund für die Eile war klar: "Die wollten vermeiden, dass das Haus besetzt wird."

Gemeinsam mit anderen hatte Elisabeth Schwartau vorher gekämpft, zog ins Rathaus, wurde nicht angehört, verließ unter Protest den Saal: "Senator Kern hatte uns eingeladen, weil er keine Zeit hatte, nach Altenwerder zu kommen. Er schrieb und telefonierte während des Gesprächs und hörte keinen Moment zu." Es gab viele Situationen ähnlicher Art in den folgenden Jahren. Auch anderes Unverständliche: "Da wurde noch 1968 in Altenwerder die modernste Haupt- und Realschule Europas für 32 Millionen Mark gebaut." Delegationen aus dem Ausland schauten sich das Musterbeispiel an. Schwartau: "Wir schöpften wieder Hoffnung, dachten, das investieren die nicht umsonst." 1961 war der Hafenerweiterungsplan beschlossen und ein Baustopp über das Dorf verhängt worden: "Es durfte nichts mehr gebaut, nichts mehr verändert werden. Die Schule war für uns deshalb ein positives Signal", sagt Schwartau. Doch acht Jahre später wurde die Schule geschlossen, das Amt für Strom und Hafenbau richtete für zwei Jahre ein Büro darin ein. 1978 wurden die Gebäude abgerissen.

Vieles von dem, was damals die Bürger von Altenwerder empörte, erscheint in der historischen Rückschau vermeidbar: Zwietracht und Groll erregten die Taktik des Senats, Nachbarn gegeneinander auszuspielen, Geheimniskrämerei bei den Verkaufsverhandlungen, Druck und Versprechungen. "Es gibt Familien, die bis heute zerstritten sind", sagt Elisabeth Schwartau. Frust erregte auch die Versprechung, 10 000 Arbeitsplätze würden entstehen: "Dafür kann man doch gehen", bekamen die Altenwerder von den Politikern zu hören. Aus den 10 000 wurden rund 400. An Hamburgs damaligen Ersten Bürgermeister Hans-Ulrich Klose (SPD) hat sie dagegen gute Erinnerungen: "Er war der Einzige, der nach Altenwerder kam und bei den Problemen half, zu hörte und für gleiche Behandlung sorgte." Und der Bundestagsabgeordnete für den Kreis Hamburg-Bergedorf-Harburg hat die couragierte Kämpferin nicht vergessen: Er besucht Elisabeth Schwartau immer noch einmal im Jahr.

1998 zog mit dem standhaften Fischer Heinz Oestmann der letzte Bewohner von Altenwerder weg. Die ersten Bäume fielen, der Spülsand kam und machte alles gleich. Auch der Groll ist begraben. Nach 20 Jahren fühlt Elisabeth Schwartau sich endlich in Neugraben zu Hause, in dem Haus, in dem sie mit einem ihrer Söhne und dessen Familie wohnt.

Mit dem Amt für Strom und Hafenbau und der Verwaltung des neuen Containerterminals hat sich ein freundschaftliches Verhältnis entwickelt: "Wir aus Altenwerder wurden zu allen offiziellen Terminen eingeladen und konnten den Terminal wachsen sehen", sagt sie.

Ausgerechnet zur Einweihung des Terminals heute Abend kann sie nicht kommen. Aber nächste Woche ist sie wieder da - in der Kirche von Altenwerder.