Lehrlinge lernen auf dem Bauernhof. Gespräch mit Unternehmensgründer Götz Rehn.

ABENDBLATT: Herr Rehn, mit Anzug, Hemd und Krawatte entsprechen Sie nicht so ganz dem Klischee eines ökologischen Unternehmers.

GÖTZ REHN: Wie sieht der denn aus?

ABENDBLATT: Eher ein wenig alternativ.

REHN: Ich bin ein Ästhet. Auch bei der Präsentation der Waren in unseren Märkten spielt das Erscheinungsbild eine Rolle.

ABENDBLATT: Lebensmittel mit dem Biosiegel gibt es inzwischen fast in jedem Supermarkt zu kaufen. Selbst Discounter wie Lidl bieten sie an. Können Sie sich gegen diese Konkurrenz noch positionieren?

REHN: Natürlich. Alnatura ist die größte Biosupermarktkette in Deutschland. Allein im vergangenen Geschäftsjahr ist unser Umsatz um 26 Prozent auf 182 Millionen Euro gestiegen. Der konventionelle Lebensmittelhandel bietet in seinen Geschäften vielleicht 40 Produkte mit Biosiegel an, wir 5500 und damit das volle Sortiment.

ABENDBLATT: Die großen Konzerne sind aber oft preiswerter.

REHN: Höchstens im Einzelfall, wenn sie die Bioprodukte nur deshalb anbieten, um neue Kunden zu locken und sie damit nichts verdienen wollen. Aber auch wir sind nicht teuer. Möhren kosten bei uns derzeit 99 Cent das Kilo. Zudem haben wir ständig mehr als 300 Produkte in unserem Sparpreiskonzept.

ABENDBLATT: Wegen der steigenden Nachfrage werden manche Bioprodukte knapp. Wie kann Ihre Branche gegensteuern?

REHN: Vorweg gesagt, mehr Sorgen als die Nachfrage, die 2006 um rund 15 Prozent zugelegt hat, mache ich mir wegen der Witterungsverhältnisse. Wegen des kalten Winters vor einem Jahr und der langen Regenzeit sind Getreide, Äpfel, Birnen und Karotten knapp, was sich auf den Preis auswirkt. Gegensteuern kann man nur, indem noch mehr Bauern auf Bio umstellen.

ABENDBLATT: Wie wollen Sie die Bauern überzeugen?

REHN: Indem sie erkennen, dass sich die Umstellung für sie lohnt. Wir haben vor einiger Zeit bemerkt, dass unsere Biomilch knapp wird, also haben wir der Erzeugergruppe, der 95 Betriebe angehören, in Zusammenarbeit mit der Molkerei fünf Cent mehr pro Liter Frischmilch angeboten. Wir zahlen jetzt 40 Cent. Im Schnitt bezahlt die Biobranche 33 Cent, und Milch aus konventionellen Betrieben wird mit 23 bis 24 Cent pro Liter vergütet. Es nützt uns nichts, wenn Biobauern aufgeben, weil sie ihren Hof mangels Ertrag nicht halten können.

ABENDBLATT: Sie haben in Hamburg gerade ihren 28. Laden eröffnet. Wie viel Geschäfte werden Sie in fünf Jahren haben?

REHN: Diese Frage kann ich nicht präzise beantworten, denn das hängt vor allem davon ab, dass wir die passenden Geschäfte finden. In Hamburg suchen wir noch Standorte in St. Georg, Ottensen und Winterhude. Was ich aber sagen kann ist, dass wir weiter wachsen wollen. Das 1984 von mir gegründete Unternehmen ist erwachsen geworden. In den nächsten Wochen werden wir bundesweit drei weitere Filialen eröffnen. Wir wollen überall hin, wo der Kunde dies will und nach unserem Leitspruch "Sinnvoll für Mensch und Erde" arbeiten.

ABENDBLATT: Das ist ein großer Anspruch, der aber, so dahergesagt, auch als reiner Marketingspruch durchgehen könnte.

REHN: Einspruch. Wir leben diesen Gedanken der Ökologie. So kommen 30 Prozent unseres Obstes und des Gemüses von Erzeugern aus der Region. Äpfel und Birnen beziehen wir für unsere beiden Hamburger Filialen etwa aus dem Alten Land. Auch Brot und andere Backwaren kommen aus der Umgebung.

ABENDBLATT: Sie sind Anthroposoph. Wie wirkt sich das auf Ihr Unternehmen aus?

REHN: Das fängt schon bei der Ausbildung an. Wir haben keine Auszubildenden, sondern Lehrlinge, die aus Erfahrungen lernen. So wird unsere Filiale in Wandsbek die kommende Woche ausschließlich von Lehrlingen geleitet. So lernen sie, Verantwortung zu übernehmen. Wir schicken die Lehrlinge im Rahmen ihrer Ausbildung auch eine Woche zu einem Biobauernhof oder in die Produktion, damit sie dort arbeiten. Und schließlich bringen wir ihnen das Abenteuer Kultur näher, indem sie mit einer Regisseurin Theaterspiele einüben. Demnächst fahren einige für ein Kunstprojekt nach Florenz.

ABENDBLATT: Was hat Kunst mit einer Ausbildung als Einzelhandelskaufmann zu tun?

REHN: Wir brauchen kreative Mitarbeiter, die selbstständig handeln und entscheiden können. Das wird durch Kultur gefördert. Allen Mitarbeitern steht offen, Mal- oder andere Kulturgruppen zu gründen, die das Unternehmen finanziell fördert. Das Ergebnis ist, dass sich unsere 750 Mitarbeiter überdurchschnittlich für das Unternehmen einsetzen. Um solche Gedanken zu fördern, haben wir uns maßgeblich an der Entwicklung eines ganzheitlichen Wirtschaftsstudiums an der privaten Alanus-Hochschule in Alfter bei Bonn beteiligt. Der Studiengang besteht aus Betriebswirtschaftslehre, Kunstpraxis und Tätigkeit in Unternehmen. Auch mein Sohn studiert dort, während meine Tochter in der zwölften Klasse einer Waldorfschule derzeit an einem Entwicklungsprojekt in Ägypten arbeitet.