Tradition: Schon in den Fünfzigern gab es sie in Hamburg an jeder Ecke. Sie bieten Qualität und ausgefallene Sorten, nennen den Beruf ihr Hobby. Begeisterung und Besessenheit sind ihre Antriebsfedern. Und sie haben Erfolg.

Hamburg. Der Augenblick ist goldrichtig. Genau 925 Sekunden haben die Bohnen aus Guatemala im mächtigen, schwarzen Röster verbracht, jetzt prasseln sie mit ohrenbetäubendem Lärm ins runde Auffangsieb. Warmer Kaffeeduft erfüllt die Räume in der Hamburger Speicherstadt. Es knackt und knistert, während sich mehr als 800 Aromen ihren Weg ins Freie bahnen.

"Kaffeerösten ist eine Kunst", sagt Thimo Drews (41), Geschäftsführer der Hacienda San Nicolas GmbH. "Unsere Aufgabe dabei ist es, den Geschmack einer Bohne zur vollen Entfaltung zu bringen." Gemeinsam mit seinem Freund und Kompagnon Andreas Wessel-Ellermann (31) betreibt Drews seit einigen Wochen die Speicherstadt Kaffeerösterei. Mitten im gut besuchten Cafe unweit des Hamburg Dungeon veredeln die Jungunternehmer ihre Bohnen. Rösten als Event.

Der Betrieb am Kehrwieder ist der jüngste Zuwachs in der immer größer werdenden Rösterszene der Hansestadt. Fast ein Dutzend kleiner Unternehmen verteilen sich über das Stadtgebiet. Das sind zwar noch längst nicht so viele wie etwa in den fünfziger Jahren, als es quasi an jeder Ecke eine Minirösterei gab. Doch die Entwicklungsrichtung ist unverkennbar.

Daß sich gerade Hamburg zu einem Zentrum der deutschen Kaffeekultur mausert, ist kein Zufall. Der Hafen ist der größte europäische Umschlagplatz für Rohkaffee, gilt als Drehscheibe für Lieferungen nach Skandinavien und als Gateway für Mittel- und Osteuropa, Österreich und die Schweiz. 720 000 Tonnen werden jährlich im- und 480 000 Tonnen wieder exportiert. Mit Tchibo hat der deutsche Marktführer hier ebenso seinen Sitz wie Kaffeekönig Darboven.

Röster wie Drews sitzen damit praktisch an Europas Kaffeequelle und nutzen ihre guten Kontakte, um an wahre Kaffeeraritäten zu kommen. Kopi Tongkonan Toraja aus Indonesien zum Beispiel, der teuerste Kaffee der Welt, den eine Handvoll Familien im Hochland von Sulawesi anbaut. Der Kaffee wird ausschließlich in handbemalten Balsaholzfäßchen ausgeliefert und wird bei Kennern für sein leichtes Süßholzaroma geschätzt. Kostenpunkt: 150 Euro pro Pfund. Daneben gibt es aber auch eine "einfache" Tasse selbstgerösteten Kaffee für zwei Euro.

"Der Trend, daß kleinere Röstereien eröffnen, läßt sich nicht nur in Hamburg sondern auch in anderen deutschen Städten beobachten", sagt Holger Preibisch, Geschäftsführer des Deutschen Kaffeeverbands. Kaffee habe sich immer mehr zu einem Lifestyle-Getränk entwickelt. Coffeeshops wie Starbucks oder Balzac haben den Röstereien ebenso den Boden bereitet wie der Boom bei Kaffeevollautomaten und Espressomaschinen. Hinzu kommt der generelle Trend zu höherwertigen Lebensmitteln, wie er auch bei Schokolade zu beobachten ist.

Allen kleinen Röstereien gemein ist ihre Liebe zur Kaffeebohne, der sie besonders viel Zeit geben, um ihr Aroma zu entfalten. "Die Industrie röstet in 90 Sekunden und kühlt die Bohnen danach auch noch mit Wasser ab", sagt Martina Landscheidt (47). Die resolute Inhaberin der Kaffeerösterei Alsterdorf braucht hingegen für ihre Röstungen zwischen acht und 20 Minuten.

Alles in Landscheidts Laden, den die ehemalige Journalistin vor zweieinhalb Jahren übernahm, atmet noch den Geist alter Zeiten: Kaffee, Tee und Schokospezialitäten lagern in verschnörkelten Gefäßen. Eine Bodenklappe führt in den winzigen Keller, wo Röster "Sultan" seinen Dienst versieht - ein fast schon antikes Modell, Baujahr 1949.

"Die lange Röstzeit läßt die Säure besser aus den Bohnen weichen, der Kaffee wird magenfreundlicher", sagt Landscheidt, während sie acht Kilo Los Volcanes-Bohnen aus Guatemala in den Röster wuchtet. Zu Beginn duften die Bohnen noch nach frisch gebackenem Brot, dann erst entfaltet sich allmählich der Kaffeeduft. Der Zucker im Inneren karamelisiert, die Bohnen werden immer größer, bis ein Knacken anzeigt, daß der optimale Zeitpunkt für das Ende der Röstung erreicht ist. "Der Volcanes ist ein Gedicht von einem Kaffee. Elegant und mit einer ganz leichten Schokoladennote", schwärmt Landscheidt.

Das Vokabular der Kaffeegourmets gleicht mittlerweile stark der Sprache der Sommeliers. "Im Grunde geschieht jetzt bei Kaffee das, was schon vor Jahrzehnten beim Wein passiert ist", sagt Annika Taschinski (34), die zusammen mit ihrem Partner Thomas Kliefoth (34) die Rösterei Elbgold in Winterhude betreibt. "Die Deutschen entdecken die Feinheiten der einzelnen Sorten."

Auch bei Elbgold ist der große Röster zentraler Punkt im modern, aber trotzdem warm eingerichteten Cafe. Die Chefin selbst schwärmt derzeit für den Hawaii Kona Extra Fancy ("nicht bitter, vollmundig, leicht nussig"), hat aber auch noch teurere Raritäten wie den Jamaika Blue Mountain auf ihrer Karte. "Solche Spezialitäten sind immer schwieriger zu bekommen, weil weltweit die Nachfrage nach guten Kaffees zunimmt", sagt Partner Kliefoth. "Russen und Japaner kaufen den Weltmarkt leer."

Doch für einen guten Kaffee ist den Elbgold-Chefs kaum ein Weg zu weit. Thomas Kliefoth fuhr schon als Schüler mit seiner Vespa quer durch Hamburg für den besten Espresso der Stadt, den es damals bei Filipo in Winterhude gab. Später reiste er zusammen mit Freundin Annika auf eigene Kosten nach Mexiko - immer auf der Suche nach den besten Bohnen der Welt.

Nachdem die beiden ihren ersten Kaffee noch in der Pfanne geröstet und Seminare belegt hatten, entschieden sie sich nach neun Jahren Vorbereitung dafür, das Hobby zum Beruf zu machen. "Dazu gehört wohl eine gewisse Begeisterung", sagt Annika Taschinski. Dann hält sie einen Moment inne und sagt: "Vielleicht ist es doch eher Besessenheit."