Ausstoß sinkt auf Niveau der 50er-Jahre. Schon 40 000 Beschäftigte der Branche befinden sich in Kurzarbeit.

Hamburg. Flächendeckende Kurzarbeit, kalte Hochöfen und Tausende Beschäftigte, die aus Angst vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes mit Trillerpfeifen und wütenden Sprechchören auf die Straße gehen - der deutschen Stahlindustrie geht es so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die Produktion der Hüttenwerke ist im März nach neuen Statistiken auf das Niveau der 50er-Jahre abgestürzt. 1,28 Millionen Tonnen Roheisen und 2,1 Millionen Tonnen Rohstahl wurden hergestellt - ein Minus von 50 Prozent.

Die Preise sind im Keller, haben sich für die wichtigsten Stahlsorten seit Mitte 2008 nahezu halbiert. Die Gewinne der erfolgsverwöhnten Konzerne schmelzen dahin. Für rund 40 000 der insgesamt rund 95 000 Beschäftigten der Branche haben die Betriebe bereits Kurzarbeit beantragt. "Die Stahlindustrie befindet sich in einer massiven Krise", sagt Marc Schlette, Sprecher des für die Branche wichtigsten IG-Metall-Bezirks Nordrhein-Westfalen, dem Abendblatt. "Und die Beschäftigungssituation, da gibt es nichts schönzureden, ist schlecht", so der Gewerkschafter. Die Wirtschaftsvereinigung Stahl rechnet inzwischen damit, dass die deutsche Rohstahlproduktion in diesem Jahr auf rund 35 Millionen Tonnen zurückgehen wird. Zum Vergleich: 2008 hatte die Schwerindustrie noch 45,8 Millionen Tonnen hergestellt.

Deutschlands größter Stahlproduzent ThyssenKrupp denkt bereits über den Abbau von mehreren Tausend Arbeitsplätzen nach, im In- und Ausland hat sich der Branchenriese mit weltweit 200 000 Beschäftigten von 5000 Leiharbeitern getrennt. An einem Protestzug der ThyssenKrupp-Mitarbeiter in Duisburg nahmen gestern auch 1000 Beschäftigte der drei zum Konzern gehörenden Werften teil. Die bundesweite Nummer zwei der Stahlindustrie, die Salzgitter AG, musste wegen des Nachfrageeinbruchs sogar einen Hochofen stilllegen.

Auch Hamburg trifft die Krise mit Wucht. So hat ThyssenKrupp für seine Hamburger Werft Blohm + Voss nach Abendblatt-Informationen ab 1. Mai Kurzarbeit beantragt. Mehrere hundert Beschäftigte sollen zunächst davon betroffen sein. Auch die rund 560 Arbeitnehmer der Hamburger Stahlwerke, die zum Luxemburger Konzern ArcelorMittal gehören, sind in Kurzarbeit. Zudem hat ArcelorMittal nach Informationen des Abendblatts in Hamburg Stellen von Leiharbeitern gestrichen und der Verlust von festen Stellen könnte in den kommenden Monaten näher rücken. Aus dem Umfeld des Unternehmens hieß es gestern: "Wenn das ansonsten starke Frühjahr schwach läuft, ist das Gesamtjahr nicht mehr zu retten." ArcelorMittal-Sprecher Arne Langner nennt für die vergangenen Monate einen Produktionsrückgang von bis zu 45 Prozent. Die Krise in der Auto- und Bauindustrie würde dem Stahlriesen immens zusetzen. Und das Werk in Hamburg ist von beiden Entwicklungen betroffen. Denn hier wird nicht nur Langstahl für die Bauindustrie, sondern auch Feindraht für die Produktion von Autoreifen hergestellt.

Auf die Frage, ob es zu einem Personalabbau am Standort Hamburg kommen werde, antwortet Langner ausweichend: "Wir beobachten die Marktsituation und treffen dann unsere Entscheidungen." Fakt ist: Seit Anfang des Jahres läuft bei ArcelorMittal in Hamburg ein freiwilliges Abfindungsprogramm für die Stammbelegschaft. Die Resonanz darauf soll nach Abendblatt-Informationen allerdings sehr zurückhaltend sein.