Ökonomen kritisieren 1,25 Prozent als zu hoch. Die Wirtschaft brauche stärkere Signale.
Hamburg. Fast schien es, als würde die Europäische Zentralbank (EZB) selbst an der Wirkung ihrer schärfsten Waffe zweifeln. Die EZB-Zinssenkung fiel überraschend niedrig aus. Statt wie von den meisten Experten erwartet um 0,50 Prozentpunkte wurde der Leitzins lediglich um 0,25 Prozentpunkte ermäßigt. Dennoch führte diese Zinssenkung auf 1,25 Prozent zum niedrigsten Leitzins seit Einführung des Euro 1999. Seit Oktober 2008 haben die Währungshüter den Leitzins wegen des Kollapses der Wirtschaft und der rasant fallenden Inflation in sechs Schritten von 4,25 Prozent um drei Prozentpunkte gesenkt.
Bei Experten ist die nur geringe Zinssenkung überwiegend auf heftige Kritik gestoßen. "Mit marginalen Schritten lässt sich nichts erreichen", sagte Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen WeltWirtschftsInstituts (HWWI), dem Abendblatt (s. Interview). Kritik kam auch vom Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, Gustav Horn: "Es wäre ein viel deutlicherer Zinsschritt notwendig gewesen, der zeigt, dass die EZB bereit ist, zu einer Null-Prozent-Zinspolitik überzugehen", sagte er dem Abendblatt. Denn die Wirtschaft befinde sich im freien Fall. "Der Schritt war extrem geschickt und hat die Märkte überrascht wie einst die Bundesbank", sagte dagegen Jochen Intelmann von der Hamburger Sparkasse. Dadurch gewinne die EZB Zeit und müsse noch nicht erklären, ob ein Prozent dann die Untergrenze für die Zinssenkungen ist. "Für die Konjunktur macht es keinen Unterschied, ob die Zinsen bei 1,25 oder 1,00 Prozent sind", sagte Intelmann. "Die EZB steckt in einem Dilemma", sagt Heinrich Bayer von der Postbank. "Einige Mitglieder im Rat - darunter auch Präsident Jean-Claude Trichet - hatten sich ja dezidiert gegen eine Nullzinspolitik ausgesprochen."
EZB-Chef Jean Claude Trichet zeichnete ein düsteres Bild von der Konjunktur und brachte eine weitere Lockerung der geldpolitischen Zügel ins Gespräch. "Ich schließe nicht aus, dass wir in sehr maßvoller Weise vom aktuellen Niveau nach unten gehen können.", sagte Trichet. EZB-Experte Michael Schubert von der Commerzbank rechnet damit, dass es bereits im Mai zu einer weiteren Zinssenkung um einen viertel Punkt kommen wird.
Offen ist noch, ob die EZB nach dem Vorbild der amerikanischen Notenbank über den Ankauf von Unternehmensanleihen und anderen Wertpapieren Milliarden in den Wirtschaftskreislauf pumpen will. "Details dazu gibt es das nächste Mal", kündigte Trichet an.
Da die Zinssenkung nur gering ausfällt, werden die Auswirkungen für die Konjunktur nur gering sein. "Schnelle Effekte sind in der gegenwärtigen Situation nicht zu erwarten", sagte Horn. "Erst müssen die Banken wieder auf die Beine kommen." Dazu nutzten die Banken die sinkenden Refinanzierungskosten, um ihre Gewinnmargen zu erhöhen.
Das spüren die Verbraucher vor allem bei den Kreditzinsen. "Einen vergleichbaren Zinsrutsch wie bei den Geldanlagekonditionen sucht man im letzten halben Jahr bei den Ratenkreditzinsen und beim Dispositionskredit vergeblich", sagte Marcus Preu vom Verbraucherportal Biallo. Während Banken und Sparkassen vor einem Jahr durchschnittlich 12,25 Prozent für den Dispo verlangten, berechnen sie aktuell 12,05 Prozent. Im selben Zeitraum stiegen die Zinsen für einen Ratenkredit von 5000 Euro und mit einer Laufzeit von 60 Monaten sogar leicht von 8,26 Prozent auf 8,36 Prozent.
Lediglich die Zinsen für Baukredite sind von knapp über fünf Prozent auf jetzt rund 4,2 Prozent gesunken. Jedoch hänge die Entwicklung der Hypothekenzinsen weniger stark mit dem Leitzins für die Euro-Zone zusammen, weil Baudarlehen anders finanziert würden als Konsumentenkredite, sagte Max Herbst von der FMH-Finanzberatung, die Bankkonditionen vergleicht. So werden Baudarlehen mit Pfandbriefen refinanziert und die Pfandbriefrenditen sind nicht so stark gesunken wie die Renditen der Staatsanleihen. Sparer müssen dagegen mit weiter sinkenden Zinsen rechnen. "Es wird bei den Sparanlagen weitere Zinssenkungen geben", sagte Herbst.