Abendblatt:
Was bezweckt die Europäische Zentralbank mit niedrigen Zinsen?
Thomas Straubhaar:
Die EZB fürchtet eine Deflation, also eine Entwicklung aus fallenden Preisen, sinkender Wirtschaftsleistung und steigender Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig möchte sie den Abstand zu den Leitzinsen in den USA, die fast bei Null Prozent liegen, nicht weiter steigen lassen, um Aufwertungsdruck vom Euro zu nehmen.
Abendblatt:
Reicht in der Situation eine Senkung um 0,25 Prozentpunkte aus?
Straubhaar:
Nein, das ist absolut enttäuschend. Solche marginalen Zinssenkungen bringen in der derzeitigen Situation nichts. Die Zinsen hätten mindestens um 0,50 Prozentpunkte gesenkt werden müssen.
Abendblatt:
Was hat sich die EZB dabei gedacht?
Straubhaar:
Sie will offensichtlich signalisieren, dass sie die Inflationsgefahren billigen Geldes sehr ernst nimmt. Das ist so, als wenn man einen brennenden Dachstuhl löscht und sich schon Gedanken über die Wasserschäden macht. Das muss zwar sein, hemmt dann aber die akute Brandbekämpfung.
Abendblatt:
Warum erholt sich die Konjunktur trotz Zinssenkungen nicht?
Straubhaar:
Wir stecken in einer Liquiditätsfalle. Die steigende Unsicherheit wirkt stärker als die sinkenden Zinsen. Dazu kommt, dass die Kreditvergabe der Banken auf Basis ihrer schwachen Eigenkapitalbasis eingeschränkt ist. Sie können in dem Moment gar nicht so viele Kredite so günstig vergeben, wie es gesamtwirtschaftlich notwendig wäre.
Abendblatt:
Haben die Banken die Zinssenkungen in ausreichendem Maß weitergegeben?
Straubhaar:
Die Zinsen für Verbraucher und Investoren sind nicht in dem Maße gesunken, wie man das bei den deutlich günstigeren Refinanzierungsbedingungen der Banken erwarten kann. So sind die Baugeldzinsen nur um einen halben bis einen Prozentpunkt gesunken, obwohl die Leitzinsen seit Herbst 2008 um drei Prozentpunkte auf nun 1,25 Prozent reduziert wurden.
Abendblatt:
Welche Gefahren ergeben sich aus der Notenbankstrategie des billigen Geldes?
Straubhaar:
Sobald sich die Wirtschaft erholt, besteht die Gefahr einer hohen Inflation. Ich rechne damit ab 2011.