Privat gab er sich bescheiden, beruflich riskierte er viel: Als Rechtsanwalt arbeitete Adolf Merckle in Hamburg, ehe 1967 sein ganz persönliches Wirtschaftswunder begann. Er häufte ein Vermögen von sieben Milliarden Euro an und stieg zum fünftreichsten Mann Deutschlands auf, der 100.000 Menschen Arbeit gab.

Hamburg. Zunächst war es nicht mehr als ein Gerücht. Mitte November wurde in Finanzkreisen gemunkelt, der schwäbische Unternehmer und Milliardär Adolf Merckle sei in Geldschwierigkeiten geraten und müsse einen erheblichen Teil seines Firmenimperiums verkaufen, weil er sich in großem Stil mit VW-Aktien verspekuliert habe. Merckles Vermögensverwaltungsfirma VEM räumte wenige Tage später Verluste im "niedrigen dreistelligen" Millionenbereich ein, während Insider von mehr als einer Milliarde Euro sprachen.

So mancher Kleinaktionär, der durch die Finanzmarktkrise gebeutelt worden war, mag bei dieser Nachricht so etwas wie Schadenfreude empfunden haben. Sollte sich der fünftreichste Mann Deutschlands, laut Forbes-Liste mit einem Vermögen von rund sieben Milliarden Euro, wirklich verzockt haben wie ein unbedarfter, vorwitziger Börsenlaie?

Niemand konnte vor acht Wochen ahnen, welche Wendung die Affäre nehmen sollte - dass sie Merckle schließlich dazu treiben würde, seinem Leben auf so schreckliche Weise ein Ende zu setzen. Zu den Motiven dafür hat sich seine Familie gestern unmissverständlich geäußert. Adolf Merckle ist demnach das erste prominente Todesopfer der Finanzkrise.

"Mir ist fremd, etwas aufzugeben", hat er von sich selbst gesagt. Er hätte in den nächsten Monaten aber viel von dem aufgeben müssen, was er geschaffen hatte. Mit erheblichem Wagemut war es ihm gelungen, ein Firmengeflecht mit mehr als 100 000 Beschäftigten und mehr als 30 Milliarden Euro Umsatz aufzubauen.

"Wir sind lieber unter normalen Leuten"

Dabei lebte er in der Kleinstadt Blaubeuren bei Ulm seit Jahrzehnten das Leben eines schwäbischen Mittelständlers - mit allen Attributen, die dazugehören. So gab sich Merckle trotz seines Reichtums bescheiden. "Wir sind lieber unter den normalen Leuten, nicht unter den Großkopferten", sagte er. In der Bahn fuhr er zweite Klasse. Anstatt am Wochenende ans Mittelmeer zu einer Luxusyacht zu jetten, radelte er lieber oder machte sich mit seiner Frau zu Touren in die geliebten Berge auf.

Als er im Skiurlaub mit den vier Kindern die Liftkarten zu teuer fand, kaufte er kurzerhand die Ifen-Bergbahn im Kleinwalsertal. Auch im Geschäftsleben hasste Merckle vermeintlich unnötige Ausgaben: Weil der Geschäftsführer eines seiner Unternehmen eine repräsentative Firmenzentrale bauen lassen wollte, wurde er gefeuert.

Tatsächlich war Merckle jedoch weder Schwabe - er wurde in Dresden geboren - noch begann er seine Laufbahn wie ein typischer Familienunternehmer aus dem "Ländle": Bis 1967 arbeitete der promovierte Jurist als Rechtsanwalt in Hamburg. Erst in jenem Jahr, als die Aufbau-Ära der Bundesrepublik schon fast Vergangenheit war, begann Merckles ganz privates Wirtschaftswunder.

Gründung von Rathiopharm 1974

Er übernahm von seinem Vater eine Arzneimittelfirma, die damals mit 80 Beschäftigten einen Umsatz von gerade einmal vier Millionen D-Mark erwirtschaftete. Den Grundstein gelegt hatte der Großvater im Jahr 1881 mit einem Handel für chemische Rohmaterialien.

Merckles erster großer Wurf war die Gründung von Ratiopharm im Jahr 1974. Das Firmenkonzept hatte Merckle in den USA entdeckt: die Produktion von sogenannten Generika, also Nachahmungen von teuren Markenmedikamenten, deren Patentschutz abgelaufen ist.

Von nun an geht es Schlag auf Schlag. Der umtriebige Unternehmer baut durch Zukäufe den Pharmagroßhändler Phoenix zum Marktführer in Deutschland auf. Mit dem Baustoffunternehmen seiner Mutter als Basis wagt Merckle schließlich den Einstieg bei HeidelbergCement, sein teuerstes Engagement.

"Raffgierig, nachtragend, missgünstig"

Doch in dieser Zeit wird immer deutlicher, dass sein freundliches, beinahe gütig wirkendes Äußeres nur den einen Teil von Merckles Persönlichkeit wiedergibt. Er kämpft mit immer härteren Bandagen um die stetige Vergrößerung seines Firmenparks.

Weggefährten sagen ihm eine extrem ausgeprägte Lust am Steuersparen nach. "Raffgierig, nachtragend, missgünstig" nennt ihn ein früherer Ratiopharm-Manager. Selbst Merckles zweitältester Sohn Philipp Daniel äußert indirekt Kritik am Geschäftsgebaren des Vaters.

Am Niedergang des Firmenimperiums ist vor allem eine weitere Leidenschaft von Merckle schuld: riskante Finanzdeals. Immer wieder erzählt der Unternehmer stolz von seinen einträglichen Aktiengeschäften. Doch damit mehrt er über lange Zeit nicht nur sein Privatvermögen. Mit gewagten Finanzkonstruktionen und hohen Krediten treibt er auch die milliardenschwere Expansion seiner Konzerne voran.

Fehler in der Finanzkrise

Die Finanzkrise hat der Mann mit dem guten Riecher fürs Geschäftliche allerdings nicht vorausgesehen. Die rasant sinkenden Börsenkurse ließen den Wert der Aktienbestände, die er seinen Banken zur Besicherung der Kredite übereignet hatte, dramatisch zusammenschmelzen, die Banken wollten neue Sicherheiten.

Als der Druck immer größer wurde, plante der gewiefte Börsenjongleur Merckle die Spekulation mit VW-Aktien als Befreiungsschlag: Er wettete auf sinkende Kurse, doch stattdessen ließ die schrittweise Übernahme der Wolfsburger durch Porsche die Volkswagen-Papiere in schwindelnde Höhen steigen.

In dieser Situation verließ Merckle auch noch das sichere Gespür für das Machbare: Er bat die Landesregierung von Baden-Württemberg um eine Bürgschaft. Ministerpräsident Günther Oettinger, der Merckle vor gut drei Jahren das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse verliehen hatte, lehnte ab. Ein derartiges Stützungspaket wäre politisch wohl auch kaum vermittelbar gewesen.

"Die Firma ist mein Kind"

Seitdem rang Merckle mit den Banken um neue Kredite, die es ihm ermöglicht hätten, wenigstens einen Teil seines Lebenswerkes zu retten. Dies muss ihm näher gegangen sein, als nach außen erkennbar war. Immer wieder war die Rede davon, zumindest Ratiopharm müsse verkauft werden. Gerade an dieser Firma aber hing Merckle besonders.

"Das ist mein Kind", hatte er vor Jahren der "WirtschaftsWoche" gesagt. Arm wäre er zwar nicht geworden, selbst wenn er sich von mehreren seiner Konzerne hätte trennen müssen. Ihm wären immer noch die Skilifte geblieben, große Waldgebiete und das 1994 von der Treuhand gekaufte Schloss Hohen Luckow in Mecklenburg-Vorpommern, in dem 2007 die Teilnehmer der G8-Konferenz tafelten.

Es war am Ende wohl die Niederlage als solche, mit der Merckle nicht leben konnte und die den leidenschaftlichen Unternehmer, wie es in der Erklärung seiner Familie heißt, "gebrochen" hat.