Experten halten weniger als 3600 Punkte für realistisch. Wende in der zweiten Jahreshälfte?

Hamburg. 480 Milliarden Euro hat die Bundesregierung für die Rettung der deutschen Banken bereitgestellt. Diese Summe würde jetzt fast ausreichen, um die gesamte Elite der deutschen Wirtschaft aufzukaufen, die im Deutschen Aktienindex (DAX) versammelt ist. Denn nach dem erneuten Kursverfall kosten diese 30 Unternehmen, darunter klangvolle Namen wie Allianz, Bayer oder Beiersdorf, nur noch 490 Milliarden Euro. Das ist der niedrigste Wert seit sieben Jahren. Aber sehr wahrscheinlich ist, dass damit noch längst nicht der Tiefpunkt erreicht wurde.

Nachdem Deutschlands wichtigstes Börsenbarometer bereits am Montag unter die Marke von 4000 Punkten gefallen war, setzte sich gestern der Ausverkauf fort. 4000 Punkte gilt als psychologisch wichtige Marke. Das Unterschreiten löste viele Verkaufsorders aus, die dann den Abwärtstrend verstärken. In der Spitze fiel der DAX um drei Prozent auf 3816 Punkte. Außerdem gab es viele schlechte Nachrichten. Das deutsche Konjunkturbarometer Ifo-Index war erneut gefallen. Noch schwerer wog die Angst vor einer Pleite des US-Versicherers AIG, den die Regierung bereits mehrmals mit Milliardenhilfen unter die Arme gegriffen hat. "Der Finanzsektor ist wie ein Fass ohne Boden. Niemand weiß, was da noch kommt", beschrieb ein Händler die Stimmung am Markt. Erst am Nachmittag konnte sich der DAX etwas erholen und schloss mit 3896 Punkten.

Die Experten sind sich einig, dass der Aktienmarkt noch nicht an seinem Tiefpunkt angekommen ist. Sie warnen Anleger davor, jetzt schon in den Markt einzusteigen, auch wenn die Kurse optisch billig erscheinen und viele Unternehmen bereits unter ihren Buchwerten, also den Wert für Immobilien, Anlagen und Ausrüstungen notieren, was für die Börse ungewöhnlich ist. "Es stellt sich die Frage, wie realistisch diese Buchwerte sind", sagt Carsten Klude vom Hamburger Bankhaus M.M. Warburg. Er rechnet mit weiteren Kursrückgängen und sieht den DAX am Jahresende bei 3600 Punkten, tiefere Stände im Jahresverlauf sind nicht ausgeschlossen.

"Viele Erwartungen sind noch zu optimistisch", sagt er mit Blick auf die Gewinnschätzungen seiner Kollegen. Die rechnen damit, dass die Gewinne der DAX-Unternehmen in diesem Jahr noch um 14 Prozent steigen. Angesichts einer solchen Einschätzung erscheinen die Kurse günstig. "Wir gehen aber davon aus, dass die Gewinne 2009 um 20 Prozent sinken werden", sagt Klude. Auch hohe Dividendenrenditen sollten Anleger nicht zum Einstieg verleiten. "Viele Erwartungen sind zu optimistisch", sagt Klude. Im Unterschied zum Platzen der Technologieblase von 2000 bis 2003 gebe es jetzt eine schwere Wirtschaftskrise. Das müsse aber nicht heißen, dass der DAX seinen damaligen Tiefpunkt von 2203 Punkten vom 12. März 2003 noch unterschreitet.

Auch Bernd Schimmer von der Hamburger Sparkasse befürchtet, dass die Dynamik nach unten noch zunimmt. "Ob die Börse dabei übertreibt, werden wir erst in einem Jahr sehen können", sagt er angesichts der sehr unsicheren Perspektiven für die Unternehmen. "Die nächste Unterstützung gibt es bei 3600 Punkten", sagt Robert Freiherr von Kappherr von der Hamburger Berenberg Bank. Milliardenschwere Pakete für die Rettung der Banken und zur Ankurbelung der Konjunktur in Europa und den USA haben die Börse bisher nicht beeindrucken können. "Solche Ankündigungen reichen nicht mehr aus, weil viele Fragen zur Rettung der Banken offenbleiben", sagt Kappherr.

Dennoch rechnen viele Experten mit einer Wende am Aktienmarkt noch in diesem Jahr, voraussichtlich im zweiten Halbjahr. "Eine Bodenbildung wird sich abzeichnen, wenn der Ifo-Index und die Auftragseingänge bei den Firmen wieder steigen", sagt Schimmer. Geduld ist gefragt.