In der Krise lebt Deutschland auf Pump. Volkswirte sind besorgt, was nach der Rezession kommt. Oder anders gefragt: Wann ist Zahltag?

Hamburg. Früher waren die Volkswirte mutiger. Da blickten sie weit über das Jahresende hinaus. Und waren sich sicher, dass ihre Prognosen auch eintreffen, obwohl dies - zurückhaltend ausgedrückt - nicht immer der Fall war. Seitdem die Finanzmarktkrise über die Welt gekommen ist, hat viele Ökonomen der Mut zu detaillierten Vorhersagen in Prozentpunkten verlassen. Zum Beispiel beim Blick auf die Inflationsraten, die im Januar auf ein Fünfjahrestief gefallen sind. Um mickrige 0,9 Prozent haben die Preise zum Jahresanfang angezogen. Doch wie geht es weiter? Müssen sich Deutschlands Verbraucher mittelfristig an deutlich steigende Preise, womöglich zweistellige Inflationsraten gewöhnen? Oder handelt es sich bei derartigen Szenarien nur um die Schwarzmalerei von Möchtegern-Ökonomen, die sich vor allem in Internetforen austauschen?

Immerhin beschrieb das nicht gerade für seine volkswirtschaftliche Inkompetenz bekannte Hamburger Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" erst vor gut zwei Wochen unter dem Titel "Irgendwann ist Zahltag" in anschaulicher Weise die Gefahren ausufernder Haushaltsdefizite. Die Autoren des Artikels zogen Vergleiche mit der Hyperinflation 1923 und beendeten ihre Ausführungen mit dem vielsagenden Satz: "Unvorstellbar ist in dieser Krise jedenfalls nichts mehr." Und auch die "Süddeutsche Zeitung" thematisiert die Angst vor Hyperinflation. "Erst machen Notenbanken Schulden zu Geld. Dann kommt die Inflation", hieß es in der Münchner Gazette Anfang Januar.

In den nächsten zwei Jahren, darin zumindest sind sich nahezu alle renommierten Ökonomen einig, muss niemand in Deutschland Sorgen um sein Erspartes haben. Im Gegenteil. "Im Sommer werden wir wohl drei, vier Monate sehen, in denen die Preise sogar rückläufig sind", sagt Jörg Hinze, Konjunkturexperte vom Hamburger WeltWirtschaftsInstitut HWWI. Bei maximal einem halben Prozent werde die durchschnittliche Inflationsrate 2009 liegen. Hauptgrund für diese Entwicklung sind die deutlich gesunkenen Energiepreise. Während die Deutschen Mitte 2008 noch mit hohen Aufschlägen für Gas, Öl und Benzin zu kämpfen hatten, profitieren sie nun von der weltweiten Rezession. Die geringere Nachfrage nach Energie lässt die Preise fallen. "Bei den Lohnabschlüssen werden wir in diesem Jahr auch keine großen Ausreißer nach oben erleben, sodass die Inflation von dort nicht weiter angetrieben wird ", sagt der Konjunkturchef des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Grömling. Weniger Nachfrage und kaum höhere Einkommen führen zu stabilen Preisen. So lässt sich die für das Portemonnaie vorteilhafte Gleichung in der Rezession zusammenfassen.

Aber wie entwickeln sich die Preise nach der Krise? Hier stellt sich zunächst die Frage: Wann ist die Rezession vorbei? Während Jörg Hinze vom HHWI den Tiefpunkt bereits Mitte 2009 erreicht sieht, datiert der Konjunkturchef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Joachim Scheide, das Krisenende auf 2011. "Vorher wird die Zahl der Arbeitslosen wohl nicht sinken und das Bruttoinlandsprodukt kaum steigen", so Scheide. Wenn der nächste Aufschwung beginnt, dürfte sich nach Meinung vieler Experten entscheiden, ob die Inflation rasant ansteigt oder nicht. "Spätestens dann muss der Staat die Schulden zurückfahren, die EZB ihre Schleusen am Geldmarkt schließen, Zinsen erhöhen", bringt es Stefan Kooths, Konjunkturexperte vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), auf den Punkt. Nur über eine radikale Kehrtwende in der aktuellen Finanz- und Geldpolitik lassen sich also deutlich steigende Inflationsraten verhindern.

Nachdem Bundesfinanzminister Peer Steinbrück das Land mehrere Jahre lang erfolgreich auf Sparkurs gebracht hatte, fährt die Republik seit einigen Monaten wieder mit Vollgas in die Schuldenfalle. Vor wenigen Wochen stimmte der Bundestag dem größten Konjunkturprogramm seit 60 Jahren in Höhe von 50 Milliarden Euro zu. Über die Banken hat der Staat einen Rettungsschirm im Volumen von 480 Milliarden Euro gespannt. Und niemand kann heute sagen, wie viel Geld davon der Steuerzahler am Ende für die Rettung der Geldhäuser tatsächlich berappen muss. Zudem klopfen immer mehr Unternehmen mal zaghaft, mal vehement an die Tür der Regierung und fragen nach einem finanziellen Zubrot. Zwar sind sich die meisten Ökonomen darin einig, dass die Bundesregierung mit Blick auf die Verwerfungen in der Weltwirtschaft im Großen und Ganzen richtig handelt, indem sie die die Konjunktur ankurbelt. Und dennoch bereitet vielen Volkswirten der Blick in die Zukunft große Sorgen. Denn vom einstigen Ziel, die Neuverschuldung auf Null zu reduzieren, ist der Staat derzeit unendlich weit entfernt. Auf mehr als 1,66 Billionen oder 1670 Milliarden Euro werden die Schulden der öffentlichen Hand zum Jahresende angewachsen sein. Um gut 4400 Euro wächst der Schuldenberg in der Sekunde. "Wir müssen aufpassen. Die Verschuldung darf nicht dermaßen nach oben schießen, dass der Staat in seiner Handlungsfähigkeit eingeschränkt wird", sagt DIW-Experte Kooths. Eines Tages könnte die Last aus Zinsen und Tilgung so schwer werden, dass das Geld für notwendige Projekte wie Straßenbau, Kindergärten oder Schulen fehlt. Dann blieben als Alternativen nur noch Steuererhöhungen, die die Konjunktur in die Knie zwingen, oder die Aufnahme neuer Schulden. "Die Zinsen als Risikoprämie für Staatsanleihen könnten dann nach oben gehen", sagt IfW-Konjunkturchef Scheide. Dazu kommt es spätestens, wenn die Gläubiger das Vertrauen in den Staat als Schuldner verlieren. In Griechenland, Spanien und Irland kann man diese Entwicklung bereits beobachten. Die Zinsbelastung nimmt zu, der Staat büßt noch mehr Handlungsspielraum ein.

Am Ende dieser Entwicklung käme es dann wohl darauf an, wie unabhängig die Europäische Zentralbank (EZB) tatsächlich agieren kann. Denn sollten die Euro-Staaten mit Blick auf ihre exorbitanten Schuldenberge die Währungshüter dazu bringen, dass sie die Euro-Presse anwerfen, könnte die Geldentwertung im Eiltempo voranschreiten. "Die EZB wird künftig noch einem großen Druck seitens der Politik ausgesetzt sein", sagt IfW-Ökonom Scheide. "Man kann nur hoffen, dass die Banker dem nicht nachgeben." Auch DIW-Experte Kooths weiß: "Die Unabhängigkeit der EZB muss unbedingt gewahrt bleiben."

Derzeit halten die renommierten Volkswirte eine "Hyperinflation" für unrealistisch. "Aber Sorgen, was die Zeit nach der Krise betrifft, habe ich schon", sagt HWWI-Experte Hinze. Und sein Kollege Grömling vom IW bringt die Verunsicherung der Volkswirte auf den Punkt: "Als Ökonom muss man nach der Lehman-Pleite vieles für möglich halten."