Ernst Georg Sonnin war der Baumeister des Michels. Er musste sich mit Murphys Gesetz, Schweineställen und Turmuhren auseinandersetzen.
Jeder, der schon mal ein Haus gebaut hat, kann ein Lied davon singen. Es ist das Lied von Murphys Gesetz, das da lautet, alles geht schief, was schiefgehen kann. Wie muss es erst sein, wenn man kein Einfamilienhaus, sondern eine Kirche baut, und wenn da zwei Bauleiter sind, wenn außerdem der Bauherr aus einem Gremium von Leuten besteht, die zu allem und jedem ihren Senf geben und von überhaupt nichts Ahnung haben. Genauso war es, als im 18. Jahrhundert unser Michel gebaut wurde.
Der Baumeister, der das alles ertragen musste und der über Nerven wie Stahlseile verfügte, hieß Ernst Georg Sonnin, geboren am 10. Juni 1713 in Quitzow, heute Stadtteil von Perleberg, wo Jahrhunderte später ein Baby namens Angela aus Hamburg mit ihren Eltern in das Pfarrhaus einzog. Das kleine Mädchen ist heute Bundeskanzlerin.
Ernst Georg Sonnin hatte, wie eine zeitgenössische Chronik süffisant bemerkte, zuvor "nie ein Gebäude, selbst nicht einen Schweinestall gebauet" und wurde von Bürgermeister Conrad Widow nur ungern ans Werk gelassen. Einem "Professori Medicinae, welcher nicht practiciret" würde man "einen gefährlichen Patienten" nicht anvertrauen, schrieb er bei Auftragserteilung.
Also wurde ein gewisser Johann Leonhard Prey zusammen mit Sonnin eingesetzt, was nicht gut gehen konnte. So wechselten sie sich Woche um Woche ab, jeder machte, was der andere angeordnet hatte, rückgängig und gab neue Anweisungen, die wiederum rückgängig gemacht wurden. Besonders angefressen war Prey, als ihm durch Sonnin ein fetter Auftrag verloren ging. Er war Steinmetzmeister und war davon ausgegangen, dass er entsprechende Arbeiten auch am Michel übernehmen könnte. Als Sonnin nachwies, dass Preys Kostenvoranschlag viel zu hoch war, war das nicht gerade der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Als Sonnin seine Entwürfe vorlegte, ging Prey in Urlaub, sie stritten sich über das Gewölbe und die Form des Daches. Beide hatten "steife Köpfe", mit denen sie immer wieder zusammenrasselten. Sonnin hatte die besten Ideen, Prey bezweifelte alles, forderte immer neue Gutachten, was den Bau nicht nur verzögerte, sondern auch verteuerte. Und dann fummelte auch noch eine Deputation von fünf Senatoren und 15 Bürgern an allem herum. Es muss die Hölle auf Erden gewesen sein.
Aber auch als Prey noch vor Abschluss der Arbeiten von dieser Erde abberufen wurde, hörte der Ärger nicht auf. Jetzt hieß ein Sonnin-Gegner Pohlmann. Der hatte für den Turm eine Uhr geliefert, die ständig falsch ging und einen zu tiefen, dumpfen Schlag hatte. Ständig ging es hin und her, Sonnin verlangte Nachbesserung, Pohlmann wollte mehr Geld. Sonnin verstand etwas vom Fach, er hatte selbst als junger Mann in der Werkstadt seines Freundes Cord Michael Möller an der Steinstraße Wasseruhren gefertigt, und er setzte sich durch. Die ganze Stadt atmete auf. Übrigens erhielt Sonnin für den Bau des Turmes weniger Geld als Pohlmann für seine Uhr.
Ernst Georg Sonnin wurde 81 Jahre alt. Er starb am 8. Juli 1794. Einen Tag vorher war er noch auf den Turm seines Michel gestiegen und hatte einem Fremden unsere Stadt gezeigt. Er war schon ein bemerkenswerter Mann, dieser Sonnin.