Berlin. Nach extremen Regenfällen treten Flüsse und Bäche über die Ufer. Zehntausende Helfer sind im Einsatz. Mindestens ein Retter stirbt
Im Landkreis Pfaffenhofen an der Ilm ist die Lage wie an so vielen Orten in Süddeutschland dramatisch. Es herrsche ein extremes Hochwasser, „das wir so noch nie verzeichnen mussten“, sagt ein Vertreter der Feuerwehr, während in Reichertshofen gerade der Marktplatz überflutet wird. „Wir können nichts mehr tun, wir müssen quasi jetzt aufgeben.“ Die Menschen sollten umgehend die Erdgeschosse ihrer Häuser verlassen. Kurz zuvor waren am Sonntag zwei Dämme gebrochen. Eine Reparatur sei unmöglich, nun müssten Leben gerettet werden.
Es war eingetreten, was Meteorologen für weite Teile Deutschlands, vor allem im Süden und Osten, vorhergesagt hatten: extreme Wetterverhältnisse mit stundenlangen Niederschlägen, Unwettern, Starkregen. Während die Situation in Thüringen, Sachsen oder Hessen zunächst kontrollierbar blieb, spitzte sich die Lage in Baden-Württemberg und Bayern von Stunde zu Stunde zu.
Mancherorts fiel binnen 24 Stunden mehr Regen, als im Durchschnitt eines ganzen Monats. In Kißlegg in Baden-Württemberg seien es am Freitag 130 Liter auf den Quadratmeter gewesen, teilte der Deutsche Wetterdienst (DWD) am Sonntag mit. In Bad Wörishofen in Bayern waren es den Angaben zufolge 129 Liter.
Hochwasser: Katastrophenalarm in mehreren Landkreisen
In vielen Gegenden traten daraufhin Flüsse und Bäche über die Ufer. Keller liefen voll, Dörfer und Stadtteile, auch Zugstrecken und Autobahnen wurden überschwemmt. Die Flüsse Günz, Memminger Ach, Kammel, Mindel, Paar und Maisach zum Beispiel verzeichneten Pegelstände, wie sie statistisch gesehen nur einmal in 100 Jahren erreicht werden. In mehreren Landkreisen Bayerns riefen die Behörden Katastrophenalarm aus.
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Vom Hochwasser eingeschlossene Menschen mussten mit Schlauchbooten oder Helikoptern aus ihren Häusern gerettet werden. Hunderte Menschen brachten sich in Sicherheit. 140 Seniorinnen und Senioren mussten aus zwei Altenheime evakuiert werden, in Memmingen musste ein Gefängnis geräumt werden. Im oberbayerischen Schrobenhausen wurde eine vermisste Person in einem vollgelaufenen Keller vermutet. In der bayerischen Gemeinde Allershausen verletzte sich ein Arbeiter bei Stromarbeiten am Rathaus lebensgefährlich.
In der Nacht zu Sonntag war bereits ein Feuerwehrmann bei einer Rettungsaktion auf der Ilm ums Leben gekommen. Der 42-Jährige sei bei einem Einsatz mit drei Kollegen mit dem Schlauchboot gekentert und am frühen Morgen tot geborgen worden, teilte ein Sprecher des Landratsamts mit.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), der sich am späten Vormittag in Bayern ein Bild von der Lage machte, zeigte sich bestürzt: „Die Einsatzkräfte, ehrenamtliche wie hauptberufliche, riskieren in den Hochwassergebieten ihr Leben, um Menschen zu retten.“ Das sei keine Selbstverständlichkeit. Am Sonntagnachmittag wurde ein weiterer Feuerwehrmann im Landkreis Günzburg in Schwaben vermisst.
Stadt Augsburg richtet Notunterkünfte ein
Allein in Bayern waren nach Angaben von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Sonntag rund 40.000 Einsatzkräfte unterwegs. Das Technische Hilfswerk (THW) hatte mehr als 1800 Kräfte in die Hochwasser-Regionen entsandt. Hunderte Feuerwehrleute waren im Dauereinsatz. Das Landratsamt Dillingen im bayerischen Teil Schwabens forderte sogar Hilfe bei der Bundeswehr an.
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Besonders gefährdet von den Schauern und Gewittern am Sonntag waren die Schwäbische Alb, Bereiche etwas nördlich davon sowie die Region um Augsburg, Nürnberg, Bamberg und Regensburg. Im Landkreis Augsburg mussten in der Nacht die Evakuierungsaufrufe mehrmals ausgeweitet werden. Betroffen waren vor allem Kommunen am Fluss Schmutter. In der Augsburger Messe wurde eine Notunterkunft eingerichtet.
Wetterdienst: Weiter Gefahr lokaler Überflutungen
Auch die Deutsche Bahn wurde von dem Hochwasser getroffen. Mehrere Strecken waren gesperrt. Im baden-württembergischen Schwäbisch Gmünd entgleiste am Samstag ein ICE nach einem Erdrutsch. Einem Bahnsprecher zufolge sprangen die ersten beiden Waggons auf der Fahrt von München nach Köln gegen 23.20 Uhr aus den Gleisen, kippten aber nicht um. Die 185 Passagiere blieben unverletzt und wurden aus dem Zug geholt. Dieser war wegen des Hochwassers in Süddeutschland auf die Strecke umgeleitet worden, auf der sich das Unglück ereignete.
Durchatmen können Bevölkerung und Einsatzkräfte in den betroffenen Gebieten wohl noch nicht. Von Norden her zögen neue Schauer und Gewitter auf, die vor allem im Verlauf des Sonntags nochmals die Gefahr lokaler Überflutungen mit sich brächten, erklärte der Deutsche Wetterdienst. Die Schauer könnten kräftig ausfallen und zögen nur langsam ab. „Wenn das auf die gesättigten Böden trifft, dann hat man dort auch wieder schnell Überflutungen“, sagte ein Meteorologe.
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NIederbayern rüstet sich bereits für eine Verschärftung der Lage am Montag und Dienstag. In Passau könnte nach Angaben der Stadt der Pegelstand der Donau 8,50 Meter erreichen und damit die höchste Meldestufe. Der Scheitel des Hochwassers wird dort sogar erst für Dienstag erwartet. Immerhin ist laut DWD in fast allen betroffenen Regionen danach mit einer Entspannung der Wetterlage zu rechnen.
Auch BundeskanzlerOlaf Scholz (SPD) danke den Rettern und Einsatzkräften. Er will sich am Montag ein Bild von der Lage in den Hochwassergebieten machen. Er plane eine Reise ins Katastrophengebiet, hieß es am Sonntag in Regierungskreisen. Weitere Details waren zunächst nicht bekannt.